ZimmermannAlthoff20000710 Nr. 10089 ZRG 118 (2001)
Althoff,
Gerd, Die Ottonen.
Königsherrschaft ohne Staat (= Urban-Taschenbuch 473). Kohlhammer, Stuttgart –
Berlin – Köln 2000. 283 S.
Die ottonische Epoche der deutschen Geschichte, die
Regierungszeit der deutschen Könige aus der sächsischen Dynastie der
Liudolfinger (919‑1024) war in jüngerer und jüngster Zeit mehrfach
Gegenstand von historischen Darstellungen. Das erklärt sich aus der usuellen,
aber auch oft problematisierten Datierung der Begründung des Deutschen Reiches
in diese Zeit, aus der folgenschweren Erneuerung des römischen Kaisertums durch
Otto den Großen 962 oder auch nur aus dem Interesse an dem politischen Wirken
vielfach umstrittener Herrscherpersönlichkeiten, wie etwa der nicht zufällig gerade
in allerletzter Zeit immer wieder ins Gerede gekommene Otto III. zeigt, der
Kaiser und König der Jahrtausendwende (983‑1002). Eine auch für Studenten
bestens geeignete Gesamtschau dieser Geschichtsperiode hat zuletzt der 1995
verstorbene Marburger Mediävist Helmut Beumann 1987 und in 3. Auflage
1994 als 384. Band der Kohlhammer‑Urban’schen
Taschenbücher geliefert. Offensichtlich soll dieser Band nun durch den neuen
ersetzt werden, weil das Interesse an der Ottonenzeit erfreulicherweise anhält
und ein vom Autor nicht selbst revidierter Nachdruck nicht sinnvoll erschien.
Ob gleichwohl nach der ergänzten Auflage Beumanns von 1994 die
Notwendigkeit zu einer neuen Darstellung der Ottonenzeit bestanden hat, etwa
wegen grundsätzlich neuer Fragestellungen und dem Erscheinen wichtiger, das
ganze Geschichtsbild verändernder Literatur, darf gefragt werden, so dankbar
man für die Ergänzung des. wie in Taschenbüchern üblich, am Ende stehenden
Literaturverzeichnisses für die Jahre 1995‑1999 ist, auch wenn dafür
ältere Publikationen verschwinden und dem Vergessen anheimgegeben werden
mußten. Mehrfach verweist Althoff auf seinen Lehrer Carlrichard Brühl
und setzt sich (mit Recht kritisch) mit dessen 1990 erschienenen Buch über das
Entstehen Deutschlands und die „Geburt“ des deutschen Volkes auseinander. Das
hat aber schon Beumann getan. Eine hervorstechende Eigenheit der
Althoffischen Darstellung ist ihre Skepsis gegenüber dem Wahrheitsgehalt
historiographischer Berichte, die nicht nur subjektiv, sondern meist in zeitlichem
und örtlichem Abstand von den Ereignissen verfaßt wurden. Diese Zurückhaltung
ist heutzutage weit verbreitet und droht die historischen Fakten zu einer
bloßen Reflexion der Chronisten zu machen, so sehr durch Textkritik
andererseits dem Erfassen von Autorenindividualitäten gedient wird.
Althoff zitiert oft in deutscher Übersetzung
Quellenstellen und macht auf die Schwierigkeiten ihrer Aussagen aufmerksam.
Entschieden zu kurz kommt die Heranziehung von Urkunden, die als stets
objektive Primärquellen ein Regulativ gegenüber der Subjektivität der
Historiographen und den Differenzen in ihren Schilderungen einunddesselben
Vorganges gebraucht werden. Aus seinen bisherigen Forschungen erklärt sich Althoffs
positive Einstellung zu prosopographischen Quellen, wie etwa Eintragungen in
Verbrüderungsbüchern und Nekrologien. Unleugbar hat die Tellenbach‑Schule
neue Zugänge eröffnet und profitiert davon auch die Darstellung der
Ottonenzeit, wenn sich etwa beobachten läßt, daß Heinrich I. seine Herrschaft
klug auf Freundschaftsbündnissen basieren ließ, während sein Sohn Otto nur mit
Schwierigkeiten seiner Autorität Geltung verschaffen konnte. Schwerlich wegen
seines Regierungsstils ist ihm der Beiname Magnus verliehen worden, höchstens
wegen seiner Erfolge als Reichsgründer, ein Rang, den ihm der für heutiges
Denken sympathischer agierende Vater nun streitig macht. Aber was in Rom und
kirchlich passiert ist, scheint Althoff ohnehin wenig zu interessieren.
Nur wer sich kritisch zum sogenannten „ottonischen Reichskirchensystem“
geäußert hat, wird noch der Erwähnung wert erachtet, obwohl man überall fast
das gleiche liest, nicht diejenigen Autoren, die sich in älterer oder jüngerer
Zeit um die Erforschung dieser Regierungspraktiken bemüht haben. So ist auch
der rechtshistorische Ertrag des neuen Ottonen‑Buches gering oder muß vom
Leser nach einer meist mühseligen Lektüre selbst zusammengetragen werden. Den
Untertitel „Königsherrschaft ohne Staat“ wird man als Propagandamittel abtun
dürfen, denn dieser Anachronismus soll wohl nur potentielle Käufer anlocken.
Nirgendwo nimmt die Darstellung auf diese „Staatlichkeit“ dezidiert Rücksicht,
lediglich am Ende des Buches finden sich als letztes Kapitel eines kurzen
systematischen Teils vier Seiten über „vorstaatliche Herrschaftsformen“ ohne
große Neuigkeiten. Trotzdem steht zu hoffen, daß Althoff
möglichst vielen, mit der Ottonenzeit noch wenig vertrauten Lesern ein Tor zu
ihrem Verständnis öffnet.
Tübingen Harald
Zimmermann