WolfjürgenPribnow20000914
Nr. 845 ZRG 118 (2001)
Pribnow,
Volker, Die Rechtfertigung obrigkeitlicher Steuer- und kirchlicher
Zehnterhebung bei Huldrich Zwingli (= Zürcher Studien zur Rechtsgeschichte 34).
Schulthess, Zürich 1996. 111 S.
Die
Entwicklung des mittelalterlichen Feudalstaates zum frühneuzeitlichen
Steuerstaat ist geprägt von der Ausweitung des Staatszwecks und der
Interpretation seiner Ziele durch privilegierte Gruppen. Die Frage an die
Theologen, ob Steuererhebung aus christlicher Sicht zulässig ist, hat ein
Thomas von Aquin mit dem Hinweis beantwortet, dass dieser Raub nur dann erlaubt
sei, wenn er dem Gemeinwohl diene. Für den Ständestaat war es
selbstverständlich, dass Steuern nur mit Zustimmung der Besteuerten erhoben
werden konnten, wer immer sich als ihr Repräsentant betrachtete. In den
lutherisch geprägten Fürstenstaaten im Heiligen Römischen Reich hat die
Reformation keine Änderung dieser Mitwirkungsrechte bewirkt. Volker Pribnow
hat sich in seiner Zürcher Dissertation die Aufgabe gestellt, die Aussagen des
Schweizer Reformators Huldrich Zwingli zu öffentlichen Abgaben einschließlich
des kirchlichen Zehnten zu untersuchen und diese im größeren Zusammenhang
seiner Lehren über die Aufgaben von weltlicher Obrigkeit und Kirche zu
würdigen.
Pribnow geht
zunächst kurz auf die Biographie Zwinglis ein, dessen Wirkungsfeld von 1519 bis
zu seinem Tod im Jahre 1531 Zürich war, zunächst als Leutpriester am
Großmünster, schließlich als Chorherr.
Seit 1523
bildete die Bibel und ihre Auslegung die alleinige Grundlage einer Reformation,
die nach der Abschaffung der katholischen Messen und nach der Säkularisation
der Obrigkeit nicht zuletzt die Aufgabe der Sozialfürsorge zugewiesen hatte.
Der
Verfasser schildert ausführlich den Wandel von der persönlichen Dienstleistungspflicht
zur abgestuften Geldleistungspflicht, den Ausbau der Staatlichkeit und seine
Hemmnisse im Reich und den Territorien, bevor er auf die Entwicklung der
städtischen Steuerverfassung eingeht. Die Einheit von Grundsässigkeit,
Bürgerrecht und Steuerpflicht blieb auch nach der von den Zünften geforderten
Einbeziehung von Proportionalelementen im städtischen Verband bestehen. Kurz
werden die mittelalterliche Lehre von der Steuerrechtfertigung und die
Entwicklung des Zehnten angesprochen, bevor Pribnow auf die formal noch
immer reichszugehörige Eidgenossenschaft und die Reichsstadt Zürich
überblendet. Ihre Wirtschaftsverhältnisse im 15. Jahrhundert werden
ausführlich, auch in den Auswirkungen auf den Stadthaushalt, geschildert. Mit
überaus unterschiedlicher Intensität übte die Stadt Rechte in den Landvogteien
aus, und die Herrschaftskonsolidierung war geprägt von Eingriffen in das „alte
Recht“. Der Kampf der Einwohner dagegen verknüpfte sich mit der Forderung nach
Abschaffung von Grundlasten und Zinsen. Die Erhebung von Steuern innerhalb der
Stadt zur Deckung außerordentlicher Aufwendungen für Krieg und
Territorialerwerb, zunächst anlassbezogen seit 1417, wurde ab 1450 regelmäßig
und auf die Landschaft ausgedehnt. Der Widerstand dagegen erhielt durch die
Reformation mit der Frage nach der Rechtfertigung kirchlicher und weltlicher
Steuererhebung neue Nahrung. Gegen das grundsätzliche Infragestellen der
Mitwirkung an weltlicher Herrschaft durch die Täufer in Zürich wandte sich
Zwingli im Juli 1523. Er unterschied zwischen göttlicher und menschlicher
Gerechtigkeit, und ermöglichte dadurch die Rechtfertigung konformen Verhaltens
unabhängig von der Gesinnung. Gewalt über die menschliche Gerechtigkeit aber
besitzt die Obrigkeit. Ihre strikte Trennung von Religionsfragen wird von der
Verpflichtung überlagert, als Mitchrist gegen Irrlehren einzuschreiten, wenn
sie von der Kirche darum gebeten wird. Dem prophetischen Wächteramt gegenüber
dem Staat schrieb Zwingli eine privilegierte Stellung gegenüber der Gemeinde
zu, die der Obrigkeit zu gehorchen hatte. Freilich konnte schon sein Nachfolger
diesen hohen Anspruch nicht mehr durchsetzen. Die Widerstandspflicht gegenüber
einer Gott ungehorsamen Obrigkeit wird durch das gleichzeitige Gewaltverbot
entschärft.
Gegenüber
den Täufern, die das Recht auf Privateigentum bestritten, akzentuierte Zwingli,
dass auch der Anspruch der Armen auf Umverteilung nur sündhafter Eigen‑
und Habsucht entspränge. Die dem Christen obliegende Teilung muss ein Ergebnis
der Glaubenseinsicht sein; das zu Unrecht erworbene Gut sollte so an die Armen
zurückfließen. Dies ist im Zwingli’schen Sinne gleichwohl nur bei Kirchenbesitz
geschehen. Wie die Besitzrechte im göttlichen System begründet sind, so besteht
auch kein Anlass, die Steuerpflicht anzuzweifeln. Nur ein Aspekt, die Erhebung
von Steuern zur Besoldung von Amtsträgern, war für Zwingli zu hinterfragen. Die
Rechtfertigung ist simpel: eine Verdienstausfallentschädigung ist legitim und
keine unverdiente Bereicherung an der Allgemeinheit, für die der Empfänger
Verzicht leisten muss. Ein Missbrauch des Besteuerungsrechts kann so nur durch
Fürsten, nicht aber in republikanischen Verhältnissen wie den Zürichern
erfolgen. In der Monarchie geht das Gemeinwesen zugrunde, weil der Fürst von
Interessenten ausgebeutet wird. Steuererhebung wird so dem Verhalten von
Raubvögeln vergleichbar.
Es kann so
wenig verwundern, dass der Verfasser feststellen muss, dass sich Zwingli zu den
von ihm synonym gebrauchten Steuern und Abgaben so gut wie nicht geäußert hat.
Nach seinem Selbstverständnis waren in dem wohl geordneten Gemeinwesen Zürich,
unter seinem Wächteramt, solche Zahlungen an die Obrigkeit von Gott
gerechtfertigt. Seine Mitbürger sahen es kaum anders. Widerstand regte sich
aber gegen die kirchliche Zehnterhebung. Die Zehntpflichtigen verwahrten sich
gegen die Verwendung außerhalb des zweckgebundenen Almosens, die Inhaber sahen
ihn als privates Vermögensobjekt. Da Zehntverweigerer und Täufer einander
nahestanden, wurde die Stellungnahme Zwinglis zum Politikum. Bei seiner
Feststellung, dass der Zehnte eine Privatschuld sei und über dessen
mißbräuchliche Verwendung die Obrigkeit zu wachen habe, blieb Zwingli auch, als
er am Vorabend des Bauernkrieges die „tatsächlichen Aufrührigen“ in den gegen
den Zehntentzug protestierenden Prälaten und Mächtigen ausgemacht hatte. Erst
der Missbrauch durch geistliche Nutznießer und Kirchengemeinden habe die
Zehnten als käufliches Gut in die Hände von Kaufleuten gelangen lassen. Der
jetzige Besitzer könne aber nicht rechtlos gestellt werden. Diese Position der
notwendigen Vertragstreue wurde von Zwingli beibehalten. Einen Ausweg aus dem
Dilemma sah er nur im kirchlichen Bereich, wo die Rückführung des Zehnten zum
ursprünglichen Bestimmungszweck des Almosens durch Nicht-Wiederbesetzung der
Klöster und Stifter innerhalb zweier Generationen abgeschlossen sein sollte.
Pribnow sieht in
diesem Lösungsansatz des Rückfalls der Zehnten an die Kirchgemeinden, mit dem
Zwingli den weltlichen Besitzern entgegenkam, die kirchlichen Besitzer durch
den Faktor Zeit eliminieren wollte und damit schließlich der berechtigten
Kritik in einem Teilbereich Raum gab, einen erfolgreichen Beitrag zur
Befriedung. Als Fazit einer faktenreichen Zusammenstellung bleibt dieses
Ergebnis: Zwingli hat sich möglichst wenig zu Steuern und Zehnten geäußert,
seine Rechtfertigung ist bestehenden Verhältnissen geschuldet, und in dieser
Zurückhaltung zeigt sich vielleicht doch eher der Kirchenpolitiker als der
Theologe. Die Arbeit Pribnows bemüht sich, die wenigen Aussagen Zwinglis
in den Gesamtkontext der Besteuerungsentwicklung zu stellen. Nicht gestellt
wird die Frage, welche persönliche Interessenlage Zwingli beeinflusse haben
könnte oder welche Interessentengruppen in der Stadt Zürich von seiner
Rechtfertigungslehre Vorteile erhielten.
Dresden Jürgen
Rainer Wolf