WolfguntherEickhoff19991130
Nr. 1254 ZRG 118 (2001)
Eickhoff,
Ekkehard, Kaiser Otto III. Die erste
Jahrtausendwende und die Entfaltung Europas. Klett-Cotta, Stuttgart 1999. 480
S.
Nun liegt der zweite Band ‑ längst erwartet nach dem
großen Erfolg des ersten - des großen Historiengemäldes der ersten
Jahrtausendwende von Ekkehard Eickhoff vor.
Um es vorwegzunehmen: der zweite Band steht dem ersten
(Theophanu und der König, Otto III. und seine Welt, 2. Aufl. 1997) an Qualität
in keiner Weise nach. Wir haben ein auf profunder wissenschaftlicher Kenntnis
beruhendes, aber auch durchaus „lesbares“ Buch vor uns, was eben durch diese
doppelte Qualität gerade in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft nicht
eben häufig ist.
Das Buch gliedert sich ‑ in grundsätzlich
chronologischer Reihenfolge ‑ in 24 Kapitel und einen Anhang.
Dabei kommt die „Weltkenntnis“ des Verfassers besonders auch
dem Anfangskapitel zugute, in dem die gesamte damalige Welt nach Raum und Zeit,
nach ihren Grundvorstellungen ausgeleuchtet wird. Mit gekonntem „Kunstgriff“
gruppiert Eickhoff auch die Themen „Kaiser und Papst“, „politischer
Hintergrund“ und das Auftreten Gerberts von Aurillac wie des Böhmen
Wojtech/Adalbert um die Krönungssynode vom Mai 996.
Das Zentrum des zweiten Kapitels bildet Rom, die „Ewige
Stadt“: eine facettenreiche Schilderung der dortigen Gegebenheiten.
Anschaulich beschreibt das dritte Kapitel Byzanz und die
dortigen Machtkämpfe, auch zwischen den beiden, Theophanu, und damit mittelbar
Otto III. verwandten Häusern der Skleroi und Phokades, z. T. auch mit bisher
kaum bekannten Details. Dabei ist bewundernswert, wie Eickhoff selbst
entfernte Gegenden des östlichen Kleinasien in den Blick nimmt, u. a. die Taufe
des Vladimir von Kiev und seine Vermählung mit einer Porphyrogeneta aus Byzanz.
Eickhoff stellt dann die wichtige Frage, ob und wieviel man davon im
Westen wusste.
Das vierte Kapitel hat die wichtigen und grundlegenden
Gespräche Kaiser Ottos III. mit Adalbert von Prag und Gerbert von
Aurillac/Reims zum Gegenstand.
Das fünfte Kapitel beinhaltet „Ostmission und Ostpolitik“
mit dem Untertitel „Adalbert und die Ottonen“. Im Zusammenhang mit dem fünften
Kapitel ist das sechste Kapitel („Entfaltung nach Osten. Die Bekehrung der
Kiever Rus“) zu sehen, beide drehen sich um die „Erweiterung Europas“ nach
Osten.
Ausführlich und zutreffend wird die „Ostpolitik“ Theophanus
und Ottos III. geschildert, die freilich weniger auf die „Rückgewinnung“ (S.
ll0) der 982 verlorenen „Ostgebiete“ zielte, als auf die Einbindung
Ostmitteleuropas in ein „europäisches Staatensystem“ christlicher Prägung nach
dem Vorbild der byzantinischen „Familie der Könige“ (F. Dölger).
Die Heiratspolitik der ottonischen Familie erreichte in in
der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts mit der Enkelin Theophanus und Nichte
Ottos III., Richeza, und ihrer Kinder einen eindrucksvollen Höhepunkt: Piasten,
Arpaden und der Kiever Zweig der Rurikiden stammen von ihnen ab.
Das siebente Kapitel behandelt die „Nordmission“der Ottonen,
weitgehend ein „Stiefkind“ der Forschung. Eickhoff schildert da
kenntnisreich die Beziehungen des „Reichs“ zu Skandinavien, wobei man in diesem
Kapitel gern noch etwas über die Beziehungsentwicklung zwischen den Ottonen und
England erfahren hätte.
Ein zentrales Motiv des achten Kapitels ist der tiefe
Eindruck, den Adalbert von Prag und dessen Martyrium auf Otto III. machte,
sowie die Rolle Gerberts von Aurillac als Lehrer Ottos.
Im neunten Kapitel wird die Christianisierung Ungarns
behandelt, dabei auch die bisweilen übertriebene Rolle Adalberts zu Recht
relativiert.
Dagegen teilt der Rezensent nach wie vor die Auffassung von M.
Uhlirz (1954) auch gegen Eickhoff u. a., dass am Stephanstag 996
Adalbert den Waiyk/Stephan von Ungarn getauft habe, und anschließend die
Hochzeit Stephans mit Gisela von Bayern (die ja bekanntlich erst 996 das
heiratsfähige Alter von 12 Jahren erreicht hatte) stattfand.
Leider ist hier auch anzumerken, dass Eickhoff ‑ wie
schon im ersten Band ‑ noch immer der irrigen Meinung ist, dass die
Kaisertochter Sophia die älteste, 975 geborene Schwester Ottos III. gewesen sei
(S. 20 und 22).
Das zehnte Kapitel („der Gegenpapst“) ist im Zusammenhang
mit dem zwölften Kapitel („Nemesis“) zu sehen: das Scheitern des Johannes
Philagathos und das Ende des Crescentius Nomentanus, beides Belastungen für
Ottos III. Gewissen, das ihn auch auf Anregung des hl. Nilus von Rossano und
des Romuald von Camalduli zu langdauernden Bußübungen zwang und den Kaiser auf
Endzeitprophezeiungen hinführte.
Das elfte Kapitel „Aachen“ steht in Zusammenhang mit dem
dreizehnten Kapitel: „Im Goldenen Rom/Die Renovatio Imperii Romanorum“. Für
Aachen steht: Karl der Große, das große Vorbild, dessen Elevatio und
Kanonisation von Otto beabsichtigt, verhindert wird durch den frühen Tod Ottos.
Rom ist die Stadt der Apostel, das caput
mundi die „Hauptstadt der Welt“, auch die „Hauptstadt des imperium“ wie es das für Otto zu
erreichen gilt. Gekonnt arbeitet Eickhoff die „Bipolarität“ Rom/Aachen
heraus, wobei Rom als sedes apostolorum
deutlich wird, deren Sachwalter als servus
apostolorum Kaiser Otto ist. Hier hätte man gern noch etwas über die
„Rolle“ Roms in der Ideologie im Wandel der Zeiten erfahren. Die Bedeutung
Aachens sowohl für Karl den Großen wie für Otto III. wird hervorragend
herausgearbeitet, auch die Bedeutung Karls des Großen selbst für Otto als
Vorbild, die in der Grabesöffnung des Jahres 1000 gipfelte.
Aachen/Rom (mit Einschränkung auch Ravenna) sollte zur
„Achse“ des Reichs werden, die Stiftungen zugunsten des hl. Adalbert
allerorten, für Aachen die Kanonisation Karls (nach der 999 erfolgten
Adalberts) als weiterer „Reichsheiliger“ die Bedeutung Aachens unterstreichen. Eickhoff
bietet hier eine Fülle höchst interessanter Details, ohne jedoch den „Faden“ zu
verlieren.
Die Kapitel XI („Aachen“), XII („Nemesis“) und XIII („Im
Goldenen Rom ‑ Die Renovatio Imperii Romanorum“) bilden Kernstück und
Mittelpunkt des Buches. Und immer wieder erfährt man viele interessante
Einzelheiten, ohne dass dies ermüdet.
Die römischen Ereignisse der Jahre 997/98 spielen für Ottos
III. Selbstverständnis gerade auch in chiliastischer Hinsicht eine wesentliche
Rolle, mehr als bisher oft angenommen. Dies deutet auch Eickhoff an.
Von besonderem Interesse ist der vierte Abschnitt des
dreizehnten Kapitels „Renovatio Imperii und die Nationalromantik des 19.
Jahrhunderts“, in dem sich Eickhoff mit Gregorovius und Giesebrecht
auseinandersetzt. Leider wird auf die neuere Forschung zu „Otto III. und Rom“
nur passim eingegangen. Mit Recht betont Eickhoff (S. 213): „Die Politik
Ottos III. war nicht weniger wirklichkeitsnah als die der drei sächsischen
Herrscher vor ihm ‑ und auf ihre Weise weitsichtig und folgenreich, wie
die Ottos des Großen, was die Ostpolitik betraf.“
In ausgewogenen Formulierungen gibt Eickhoff dann
doch im „Rom‑Kapitel“ den neuesten Stand der Forschung wieder, fußend vor
allem auf den grundlegenden Arbeiten K. Görichs.
Einer gesonderten Besprechung bedürfte das Kapitel XIV
(„Wege des Wissens. Öffnung zum maurischen Spanien“) und das Kapitel XVIII
(„Von Island nach Nordamerika. Entdeckung, Besiedelung, Bekehrung am
Nordatlantik“), auf die hier nur mit Nachdruck hingewiesen werden kann. Hier
wird in besonderen Maße die „Weltläufigkeit“ des Autors Eickhoff
spürbar.
Das Kapitel XV („Politische Pilgerfahrt. Der langobardischer
Süden“), das Kapitel XVI („Herrschaft, Buße, Reform“), das Kapitel XVII
(„Gnesen und Gran. Kirche und Königtum in Polen und Ungarn“) und das Kapitel
XIX („Die Jahrtausendwende 999/1000“) gehören im Grunde zusammen und kreisen um
die Idee des imperium spirituale
Ottos III., dessen Begegnung mit Romuald von Camaldoli und Nilus von Rossano
eindrucksvoll geschildert wird. Zutreffend werden auch die Pilgerfahrten des
Kaisers gewürdigt und ihre politischen Implikationen aufgedeckt.
Eindrucksvoll auch, wie Eickhoff das Verhältnis von
Kaiser (Otto III.) und Papst (Gregor V./Silvester II. ) als „von Partnerschaft
zur Symbiose“ (S. 261) beschreibt. Von eigenartigem Reiz ist der „Nachruf“ auf
Kaiserin Adelheid (S. 262‑264).
Ausführlich behandelt Eickhoff die Gnesen‑Wallfahrt
Ottos III., wobei jedoch die „Servus‑Problematik“ in der Intitulatio des
Kaisers leider nur passim behandelt wird.
Hinsichtlich der „Königserhebung“ (S. 270ff., bes. 271f. )
teilt der Rezensent die positive Meinung Eickhoffs und Frieds
nicht. Schon M. Uhlirz hatte 1954 nachgewiesen, dass, wie dies auch der
Rezensent wiederholt tat, der Gallus Anonymus mit Vorsicht zu lesen sei und „compater“, nicht „cooperator“ zu lesen. Polen wurde ja bekanntlich erst nach Kaiser
Heinrichs II. Tod 1024 Königreich (also nach dem Ende der sächsischen
Dynastie!) (vgl. auch H. Appelt in FS Aubin 1951). Hinzuweisen
ist in diesem Zusammenhang auf die compaternitas
Ottos III. mit Pietro Orseolo von Venedig, Wajk/Stephan von Ungarn und eben
auch mit Boleslav Chrobry von Polen ‑ wo in allen Fällen in folgender
Generation der Name „Otto“ auftaucht. Dies war für Otto eine der Grundlagen für
ein „europäisches Staatensystem“ an der Wende des ersten Jahrtausends.
Mit Recht betont Eickhoff immer wieder die Bedeutung
des hl. Adalbert von Prag für Otto III. Er hat Adalbert geradezu zu einem
„Reichsheiligen“ gemacht, wie er das wohl (so Görich) für Karl den
Großen vorgesehen hatte.
Für die Zuordnung Polens und Ungarns hätte man gern nochmals
eine eingehende Interpretation des berühmten Widmungsbildes des Aachener
Liuthar‑Evangeliars in Auseinandersetzung mit Fried u. a. gelesen.
Interessant ist Eickhoffs Wertung des sogenannten
„Gandersheimer Streits“ als einer Prinzipienfrage (S. 306ff.).
Zu Recht mit besonderem Gewicht trägt Eickhoff Ottos
III. Stellungnahme zur „Konstantinischen Schenkung“ vor, die in dem berühmten
Diplom Ottos (Nr. 389) vom Januar 1001 zum Ausdruck kommt. Zu Recht auch betont
Eickhoff dabei den Zusammenhang der Schenkung an Petrus selbst mit der
Intitulatio Ottos als servus apostolorum.
Hier macht Eickhoff deutlich, dass das
mittelalterliche Kaisertum nicht etwa später (Sutri?!), sondern unter Otto III.
seinen „Höhepunkt“ hatte, eine Meinung, welcher der Rezensent nur nachdrücklich
zustimmen kann.
Aus diesem Selbst‑Bewusstsein des Kaisers und des ihm
eng verbundenen Papstes resultiert auch deren Missionsidee, zugleich mit der
Idee der „Familie der Könige“ (F. Dölger) unter dem „Doppelgestirn“
Kaiser und Papst ‑ letztendlich die Idee eines imperium spirituale der Christenheit.
Instruktiv ist der Abschnitt über die Entwicklung der „Renovatio imperii“, in dem Ottos Politik
gewürdigt und der neueste Forschungsstand eingearbeitet wird. Besonders
interessant sind die Ausführungen über Ottos III. „Byzantinisches Erbe“ (S.
316ff.). Bemerkungen über Bildnisse Ottos III. runden dieses zentrale Kapitel
ab.
Das Kapitel XXI umfasst: „Revolte in Rom und Geheimbesuch in
Venedig“. In ihm sind so verschiedene Phänomene wie das vorläufige Scheitern
Ottos als Herr in Rom (wobei Eickhoff richtig sieht, dass Ottos
Autorität im Norden wie in Italien grundsätzlich ungebrochen war), Ottos
erneute Bußübungen zu Pereum, verbunden mit eschatologischen
Resignationsgedanken einerseits, andererseits mit „großer Politik“ durch den
Besuch in Venedig und die Brautwerbung in Byzanz: diese Spannung kommt bei Eickhoff
klar heraus.
Das Kapitel XXII „Die letzte Kampagne“: Ottos Zug nach Benevent, Pereum,
Paterno und Todi (Weihnachten l00l), allwo die Synode keine Lösung des
prizipiellen Streits mit Willigis von Mainz brachte. Gut wird hier bei Eickhoff
sichtbar, in welcher „Gespaltenheit“ sich Otto damals befand, schon vom Fieber
geschüttelt. Treffend das Resumé: „Es bleibt eine vage Spekulation, Otto III.
hätte, wäre ihm dafür Zeit geblieben, mit Silvester II. eine stärkere
Anhängerschaft in Italien aufbauen können“ (S. 347). Ergreifend die Schilderung
von Ottos III. Tod (S. 348f.).
Das Kapitel XXXIII („Heimkehr und Nachruf“) und das Kapitel XXIV. („Otto III.
und die Verwandlung Europas“) versuchen eine Gesamtwürdigung dieses „mirabilia mundi“ genannten Herrschers,
der mit noch nicht 22 Jahren starb. Kapitel XXIII. vereinigt in sich so
verschiedene Themen wie: „Rückmarsch des Heeres“, „Rückkehr der Braut“, „Der
Leichenzug von Augsburg nach Aachen“, „Nachrufe: Königsschicksal und Sünden der
Zeit“, „Heribert und Heinrich von Bayern“, „Umschwung in Italien“, „Bruns (von
Querfurts) Missionsreisen in Osteuropa“, „Sagenbilder: Liebe und Teufelspakt“ ‑
Themen, die nochmals ein Panorama der Zeit bieten ‑ jetzt fast schon ohne
den glänzenden Mittelpunkt des jungen Kaisers. Das letzte Kapitel XXV bringt
den „Versuch eines Porträts“, „Otto III., Gerbert/Silvester und die
Jahrtausendwende“ sowie den „Epilog“. Eickhoff gelingt ein
eindrucksvolles, nach dem neuesten Forschungsstand gestaltetes „Portät“ Ottos
III. (S. 361ff.), das Otto in seiner epochalen Bedeutung als „Höhepunkt“ der
„Christcentered‑kingship“ und damit des Mittelalters als solchen
zutreffend würdigt: „mirabilia mundi“,
wie ihn schon Zeitgenossen nannten. Dem kenntnis‑ und detailreichen Text
‑ der dennoch leicht lesbar bleibt ‑ schließen sich die Anmerkungen
zu den einzelnen Kapiteln (S. 368‑450), eine Quellenübersicht (S. 451‑458),
ein umfangreiches Literaturverzeichnis (S. 458‑469) und ein Index an.
Skizzen, Karten und Bilder vervollständigen den Eindruck des Buches, das
wiederum ‑ wie schon der erste Band ‑ als Gewinn und „großer Wurf“
bezeichnet werden kann.
Heidelberg Gunther
Wolf