WilloweitDerFürst20000713 Nr. 1171 ZRG 118 (2001)
Der Fürst. Ideen und Wirklichkeiten in der europäischen Geschichte, hg. v. Weber, Wolfgang E. J. Böhlau, Köln – Weimar – Wien 1998. 248 S.
Das Thema dieses Sammelbandes wurde vom Herausgeber mit dem
Anspruch gewählt, es mit „modernen sozial‑ und anthropologisch‑kulturgeschichtlichen
Kriterien“ zu analysieren (3). Die Distanz zu den älteren Darstellungen
deutscher, gerade noch oder ehemals regierender Dynastien ist unverkennbar,
ebenso die zur politischen Ereignisgeschichte, in deren Rahmen große
Herrscherpersönlichkeiten eine tragende Rolle gespielt haben (9 unten). Der
Herausgeber grenzt sein Erkenntnisinteresse dann insofern noch weiter ein und
begründet es damit zugleich überzeugend, als er den Beitrag der regierenden
Dynastien zur Staatsbildung in Europa näher in Augenschein nehmen möchte. Dass
dies ein würdiger Gegenstand historischer Forschung sein muss, wird niemand
bestreiten wollen, ebenso wenig die geringe Aufmerksamkeit, die bisher seitens
der Wissenschaft dieser Fragestellung zugewendet wurde (4, 7f.).
Als schwierig erweist sich allerdings, das Thema „Fürst“ von
den geläufigeren, oft erörterten Themen „Herrschaft“ und „Adel“ abzugrenzen.
Interessieren Fürsten doch nur als vornehmste Repräsentanten des Adels ‑
wobei die Begriffsprägung „Fürstenadel“ (4 Anm. 6) erhebliche Rückfragen nach
sich ziehen müsste ‑ oder als „herrschaftliche Eliten“ (7)? In seiner
Einleitung gibt der Herausgeber einen Überblick zur mittelalterlichen
Geschichte des Fürsten auf der Basis der opinio
communis. Dabei gleitet er von dem ins Auge gefassten Paradigma „Fürst“ in
die herkömmliche Kategorie der „Landesherrschaft“ hinüber (15f.). Könnte man
dann nicht fortfahren, weiterhin Nachforschungen über die schier
unerschöpfliche Frage nach der „Entstehung der Landesherrschaft“ anzustellen?
Was unterscheidet eigentlich den „Fürsten“ vom „Landesherrn“? Die Erhebung der
Grafen von Württemberg zu Herzögen im Jahre 1495 war eben keine „Ausnahme“
(21). Die in der Stauferzeit beginnende und seit dem späten 13. Jahrhundert
fortgesetzte Praxis, Grafschaften zu Fürstentümern zu erheben, dürfte die
entscheidenden Einblicke in das mittelalterliche Verständnis der Fürstenwürde
vermitteln (vgl. jetzt Steffen Schlinker, Fürstenamt und Rezeption. Reichsfürstenstand
und gelehrte Literatur im späten Mittelalter [= Forschungen zur Deutschen
Rechtsgeschichte Band 18]. Böhlau, Köln‑Weimar‑Wien 1999). Die von Ernst
Schubert in seiner Darstellung für die „Enzyklopädie der Deutschen
Geschichte“ sehr zu Recht vorgenommene Akzentverschiebung von der
„Landesherrschaft“ zum „Fürstentum“ hat der Herausgeber ‑ trotz sonst
umfassender Berücksichtigung der Literatur ‑ nicht aufgegriffen (vgl. Ernst
Schubert, Fürstliche Herrschaft und Territorium im späten Mittelalter [=
Enzyklopädie deutscher Geschichte Band 35], Oldenbourg, München 1996). Hier
hätte sich dem Herausgeber die Chance geboten, noch kräftige Wasserströme auf
seine Mühlen zu leiten. Mit diesen kritischen Einwänden möchte ich also
keineswegs das Forschungskonzept des Herausgebers in Frage stellen, sondern nur
sagen: er hätte noch ein Stück weiter gehen dürfen und für den Fürsten eine
Qualität reklamieren müssen, die sich von „Herrschaft“ und „Adel“ prinzipiell
unterscheidet. Dazu freilich gehört ein Gesichtspunkt, der in diesem Band
durchgängig fehlt. Fürstliche Herrschaft im Mittelalter und damit auch ihre
fortdauernde Stabilität in der frühen Neuzeit ist nicht zu verstehen ohne ihre
Legitimation durch die Königswürde und vor allem das römische Kaisertum. Dieses
ist nicht nur „Integrationsfaktor“ (16 Anm. 23), sondern seit dem 12.
Jahrhundert Grundlage des fürstlichen Herrschaftsanspruchs und zugleich
wichtigster Faktor für die Akzeptanz dieses Anspruchs im Fürstentum (vgl. auch Dietmar
Willoweit, Fürst und Fürstentum in Quellen der Stauferzeit, in: Rheinische
Vierteljahrsblätter 63 [1999], 7‑25).
Überwiegend ist es dem Herausgeber gelungen, die Autoren und
Beiträge dieses Bandes ziemlich stringent auf seine Fragestellung zu
verpflichten. Sehr zu Recht wurde der Einstieg im römischen Reich gewählt. Wolfgang
Kuhoff berichtet ausführlich über „Antike Grundlagen. Der römische
Princeps“.
Wie wohl sich der Rezensent nicht als ein besonderer Kenner
der römischen Staatsverfassung verstehen darf, möchte er doch den Beitrag von Kuhoff
zum antiken Princeps als methodisch besonders gelungen bezeichnen. Diese
Begriffs‑ und Institutionengeschichte des römischen Prinzipats arbeitet
überzeugend das Entwicklungsprofil dieser Herrschaftsform heraus. Wie für eine
moderne Rechtsgeschichte, die stets den Wandel der Verhältnisse zu beachten
hat, zu fordern, entfaltet der Verfasser die Genese der neuen Institution aus
den einzelnen Elementen der republikanischen Verfassung. Aus diesem Prozess,
den Augustus schrittweise vorangetrieben hat, entsteht schließlich etwas Neues,
eine „gewachsene“ Institution (42), die monarchische Tendenzen nach sich zog
(43ff.) und schließlich in das Kaisertum Diokletians einmündete (61). In der
bald danach beginnenden christlich geprägten Zeit unterliegt dieses Kaisertum
keinen Anfechtungen mehr. Das ist für die mittelalterliche Rezeptionsgeschichte
römischen Staats‑ und Rechtsdenkens von Bedeutung. In einer Monographie
wäre die Fortsetzung des begriffs‑ und institutionengeschichtlichen
Ansatzes für das Mittelalter zwingend und daher eine Geschichte des
mittelalterlichen Princeps im Rahmen der Rezeption des römischen Rechtsdenkens
seit dem 12. Jahrhundert zu erwarten gewesen. Ein Sammelband darf dagegen
unterschiedliche Perspektiven vereinigen. Mertens entwirft für das
Mittelalter ein Bild des Fürsten, das von unterschiedlichen Impressionen
ausgeht und daher vielfältige Facetten aufweist. Aufmerksam verfolgt er
insbesondere am Beispiel Württembergs die Diskrepanz zwischen der
realgeschichtlichen Herkunft des Herrschergeschlechts und dem historischen
Bewusstsein der Zeitgenossen, die von der ursprünglich fürstlichen Abstammung
ihrer erst am Ende des Mittelalters zu Herzögen erhobenen Herren nichts mehr
gewusst haben (68f., 75ff., 86ff.). Auch das nicht spannungsfreie Verhältnis
der nunmehr gefürsteten Grafen zu ihren ehemaligen Standesgenossen kommt zur
Sprache (82ff.) ‑ ein Aspekt, der wohl mit dem geschärften Standesdenken
an der Schwelle zur Neuzeit zusammenhängt, während der Begriff des
„Reichsfürsten‑Standes“ für die Stauferzeit noch kaum einen Sinn ergibt,
worauf schon Peter Moraw hingewiesen hat (72ff.). Weber selbst
wendet sich in seinem Beitrag zwei Fragen zu. Zunächst derjenigen nach der
Entstehung „dynastischer Kontinuität“ mit der Transformation von „dynastischer
Herrschaft zu staatlicher Herrschaft“, einer, wie der Autor mit Recht
hervorhebt, bisher „wenig erprobten Erkenntnisperspektive“ (93). Hier werden
Verwandtschaftsbeziehungen, die Primogenitur, die Politik der Besitzerhaltung
unter Verzicht auf freies Handeln und ähnliche Aspekte angesprochen (98). Der
von Weber ‑ soweit ersichtlich, hier erstmals ‑
vorgeschlagenen Definition der „Dynastie“ wird man zustimmen können: „... eine
optimierte Erscheinungsform der Familie, die sich durch erhöhte Identität (und
damit verstärkte Abgrenzung nach außen), ausdrücklich gemeinsam genutzten
(individueller Verfügung durch Familienmitglieder entzogenen) Besitz (Güter,
Ränge, Rechte, Ämter), im Interesse ungeschmälerter Besitzweitergabe bzw.
maximaler Besitzerweiterung, bewusst gesteuerte Heirat und Vererbung sowie
daher in der Regel gesteigerte historische Kontinuität auszeichnet“ (95). Dass
eine solche Kategorie ihren wissenschaftlichen Sinn hat, zeigt der zweite von Weber
erörterte Fragenkreis, die „Reflexion der Dynastie‑ und Staatsbildung in
der politischen Ideengeschichte“ (107ff.). Neben Fragestellungen der älteren
Politiken, betreffend etwa das politische Prestige einer Familie, die
Fürstenerziehung und Ähnliches kommen in diesem Abschnitt jedenfalls andeutungsweise
spezifisch rechtsgeschichtliche Aspekte zur Sprache, die von der Forschung
bislang kaum aufgegriffen wurden. Es geht um die Rechtsfragen der regierenden
Häuser, um ihre Heiraten, den Status der Kinder, die Erbfolge usw. Weber
bietet dazu einen ausgezeichneten Einstieg in die Literatur des 16. bis 18.
Jahrhunderts. ‑ Die typologisch angelegten Beiträge des Bandes rundet Klueting
mit einer Studie ab, die sich ausdrücklich nicht erneut mit dem Phänomen des
aufgeklärten Absolutismus beschäftigt, sondern die Persönlichkeiten
aufgeklärter Fürsten zum Thema macht. Im Vordergrund stehen dabei
verständlicherweise Friedrich der Große und Kaiser Joseph II., am Rande
erscheinen hier und da ein geistlicher Fürst, Vertreter gräflicher Häuser und
natürlich Markgraf Karl Friedrich von Baden. Kluetings dennoch
vergleichend angelegter Beitrag macht nicht nur deutlich, dass sich fürstliche
Politik unter dem Einfluss der Aufklärung sehr verschiedenartige Ziele setzen
konnte. Er weist vor allem auch auf das hier bestehende, erhebliche
Forschungsdefizit hin, da wir über einschlägige Maßnahmen kleinerer
Territorialherren und ihrer Beamten nur unzureichend unterrichtet sind (139,
154).
Obwohl der Zusammenhang mit dem Generalthema dieses Bandes
auf der Hand liegt, haben die Beiträge von Kronenbitter und Bernecker
doch einen ganz anderen Charakter. Zwar ist allein schon der Hinweis auf das
Haus Habsburg für die zentrale Frage nach dem Verhältnis von Staat und Dynastie
von großer Bedeutung, hat hier die Dynastie doch ein einheitliches
Staatsgebilde nicht schaffen können, andererseits ihre Stärke aber gerade
dadurch unter Beweis gestellt, dass es ihr über Jahrhunderte hinweg gelang,
mehrere Staaten unter einem gemeinsamen Regiment zusammenzuführen. Die
eigentliche Pointe des Beitrags von Kronenbitter liegt aber in der
Chance, mit Erzherzog Franz Ferdinand hypothetisch ‑ die Fortdauer
friedlicher Zeiten vorausgesetzt ‑ den Nachfolger Kaiser Franz Josephs
näher kennen zu lernen. Das Ergebnis ist nicht ermutigend. Die Vorstellungen der
Erzherzogs über seine künftige Rolle als Kaiser waren „mit liberalen
verfassungspolitischen Grundsätzen“ nur schwer zu vereinbaren und ließen ein
„persönliches Regiment“ nach dem Muster Kaiser Wilhelms II. befürchten
(206ff.). Erst im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts konnte König Juan Carlos
I. von Spanien erfolgreich unter Beweis stellen, dass auch der Monarchie
politisches Entwicklungspotential innewohnen kann. Die sorgfältige, das
spanische Schrifttum einbeziehende Studie von Bernecker kann einer vergleichenden
europäischen Verfassungsgeschichte gute Dienste leisten.
Es liegt auf der Hand, dass ein „sozial‑ und
anthropologisch‑kulturgeschichtliches“ Thema wie „Der Fürst“ hinreichend
weder als Gegenstand nur deutscher Geschichtsschreibung noch allein als Element
deutscher Rechtsgeschichte begriffen werden kann. Denn die überzeugendsten
Beispiele für den Zusammenhang von Dynastie und Staatsbildung finden sich
außerhalb der deutschen Grenzen, in England und Frankreich, wie andererseits im
17. und 18. Jahrhundert Polen‑Litauen ein Beispiel politischer
Instabilität bietet, die sicher auch auf das Fehlen einer starken Dynastie
zurückzuführen ist. Die Frage ist freilich, ob sich nicht auch eine
Gegenrechnung aufmachen lässt. Es ist an die „patrimonialstaatlich“ inspirierte
Teilungspolitik spätmittelalterlicher Fürsten zu denken und andererseits an die
Wahrnehmung von Landesinteressen und bald auch das Staatsbewusstsein aufseiten
der Stände. Immerhin ist auf diese Weise in England seit dem 17. und 18.
Jahrhundert ein ganz eigener Typus der Monarchie entstanden. Der vorliegende
Band regt kräftig dazu an, sich solchen und ähnlichen Fragen zu stellen, und
sollte daher gerade auch von der rechtsgeschichtlichen Forschung zur Kenntnis
genommen werden.
Würzburg Dietmar Willoweit