WeitzelEsders20000510
Nr. 993 ZRG 118 (2001)
Esders, Stefan,
Römische Rechtstradition und merowingisches Königtum. Zum Rechtscharakter
politischer Herrschaft in Burgund im 6. und 7. Jahrhundert (=
Veröffentlichungen des Max-Planck-Institutes für Geschichte 134). Vandenhoeck
& Ruprecht, Göttingen 1997. 527 S.
Die Arbeit,
eine althistorische Freiburger Dissertation, tut schon deshalb wohl, weil sie
das Recht als Gestaltungs- und Integrationselement menschlicher Gemeinschaften
ernst nimmt. Sie zeigt unter dem Stichwort princeps legibus alligatus selbst
für die „staatsbürokratische“ Spätantike und die „gewalttätige“ Merowingerzeit
Formen und Bemühungen rechtlicher Bindung der Herrscher auf. Träger der
Rechtlichkeit (civilitas) ist das
römische Recht, von zentraler Bedeutung sein Reskriptverfahren. Der Norden - es
geht dem Buch um merowingische Königsherrschaft in Burgund - tritt
verständlicherweise zurück, dient im wesentlichen als Kontrast. Die
Rechtlichkeit der Herrschaft dort bleibt des öfteren unter-, gelegentlich auch
fehlbelichtet. Der Verfasser hält wenig von „germanischen Kultureinflüssen“
(417) und „der Verwirklichung germanischer Ideen“ (208, 439, 456, 465), die
maßgeblich für den Bruch der antiken Tradition und das Heraufkommen neuer
Gestaltungsformen der politisch-sozialen Ordnung sein könnten. Angeblich
erklärt sich alles durch den schrittweisen Prozeß, in dem merowingische
Herrscher „in die spätantike Militär-, Provinz- und Fiskalverwaltung
hineinwuchsen und herrschafts- bzw. ordnungsrelevante Teile übernahmen“ (152).
Die germanische Schnecke findet das römische Haus, in das sie einzieht, ohne es
umzubilden oder auch nur zu mißdeuten.
Kern der
wissenschaftlichen Arbeit und Leistung des Verfassers ist die Betrachtung der
sogenannten Praeceptio Chlotharii (MGH Cap. I Nr. 8). Datierung, Urheber,
Geltungsbereich und Charakter dieses, der administrativen und rechtlichen
Reorganisation im Frankenreich dienenden Textes sind seit langem umstritten.
Die einen (Olivier Guillot, Ingrid Woll) ordnen ihn immer noch
Chlothar I. (511-561) zu und beziehen ihn auf das Gesamtreich. Andere (Franz
Beyerle, Ernst Pitz) sehen in der Praeceptio ein Gesetz Chlothars
II. speziell für Burgund (insoweit Beyerle schwankend) und datieren es
auf die Jahre 616/617.
Esders unternimmt
es, detailliert die zweite Auffassung zu begründen. Dazu trägt er nicht nur
eine quellenkritische, sondern - in Form eines „Kommentars“ zu den 14 Kapiteln
(109-259) - auch eine inhaltliche Analyse vor. Auf dieser Grundlage stehen die
allgemeinen Überlegungen zum „rechtskulturellen Profil Burgunds im 6. und 7.
Jahrhundert“ (268-357) und zum „Rechtscharakter politischer Herrschaft im
merowingischen Frankenreich“ (358-460). Eine Schlußbetrachtung (461-468) faßt
die die (Sonder-) Stellung Burgunds im Merowingerreich begründenden Elemente
der römischen Rechtstradition zusammen. Wiederholende Überschneidungen bleiben
nicht ganz aus.
Die Quelle
ist in zwei Handschriften überliefert: dem Codex Corbeiensis aus dem 6./7.
Jahrhundert, einem Codex des Kirchenrechts, und einer karolingischen
Leges-Sammelhandschrift aus der 1. Hälfte des 9. Jahrhunderts. Esders
untersucht Zusammensetzung und Überlieferungsgeschichte beider Handschriften
detailliert und sorgfältig (31-87). Von Bedeutung und Interesse ist
vornehmlich, daß die Praeceptio in der zweiten Handschrift als einer von
mehreren Einschüben in den Liber Gundobadi, das Rechtsbuch der Burgunder,
eingefügt ist, also wie eine Novelle zum Liber Gundobadi behandelt wurde.
Unmittelbar vor ihr findet sich die Novelle Gundobads De reis corripiendis. Der Ansicht Esders, daß die Praeceptio
absichtsvoll in das Rechtsbuch eingefügt wurde, läßt sich ernsthaft nicht
widersprechen. Noch vor dem Kommentar legt Esders in einem knapperen
Kapitel „Lokalisierung und Datierung“ (88-108) inhaltliche Aspekte dar. Es geht
um Burgund als Geltungsgebiet, um Gründe gegen die Zuweisung an Chlothar I., um
Gründe für die Zuschreibung an Chlothar II., um das Verhältnis der Praeceptio
zu dem von Chlothar II. 614 erlassenen Pariser Edikt und um die Versammlung zu
Bonneuil-sur-Marne 616/617, auf der die Praeceptio mutmaßlich zustande kam.
Dieser Teil ist insofern nicht unproblematisch, als der Verfasser hier die
Hauptargumente für seine Ansichten vorträgt, ohne daß dem Leser bereits
Argumentation und Ergebnisse des Kommentars zur Kenntnis gekommen sind.
Hinsichtlich der Argumente aus dem Rechtsinhalt bleibt damit einiges recht
allgemein, anderes - jedenfalls hier - ohne zureichende Begründung. Generell
vermögen die Ausführungen jedoch zu überzeugen: in der Lex Burgundionum wie in
der Praeceptio ein territorial gedachtes Recht unter Garantie des römischen
Rechts in allen Fällen inter Romanos,
römisch-rechtlicher Grundcharakter des Verfahrens (selbsturteilender
Einzelrichter, Reskriptwesen, Allegationsgerichte). Die Argumente gegen die
Zuweisung an Chlothar II. aus Praeceptio c. 11/12, daß nämlich Chlothar II.
keinen Bruder (germanus) gehabt habe und daß ein Heide (das ist sein Großvater
Childerich) christlichen Kirchen doch wohl nicht die Immunität gewährt habe,
fallen angesichts der sachlichen und situationsspezifischen Zusammenhänge mit
Burgund und dem Herrschaftsantritt Chlothars II. dort im Jahre 613 dahin. Eine
Mitteilung in der Fredegarchronik zum Jahre 616/617, daß Chlothar II. den
„gerechten Bitten“ der Bischöfe und der weltlichen Großen Burgunds nachgekommen
sei und sie durch Urkunden gesichert habe (praeceptionebus
roboravit), schließt den Kreis. Die Praeceptio erweist sich als eine dem
Edikt nachfolgende Zusatz- und Sonderregelung für das von Chlothar II.
erworbene Burgund, die in Reaktion auf die unter Brunichilde eingerissenen
Mißstände die Grundlage des tradierten, noch weithin römisch geprägten
Rechtslebens garantieren sowie Gerechtigkeit (iustitia) und Rechtssicherheit (integritas)
sichern soll. Der neue Herrscher stellt im Zusammenwirken mit den Großen
Burgunds sein Verhältnis zu Burgund „auf eine gemeinsame rechtliche Grundlage“
(77).
Der
ausführliche „Kommentar“ läßt sich nicht in allen Einzelheiten kommentieren. Er
ist grundsätzlich sorgfältig und mit Überblick gearbeitet. Seine Leitlinien
sind der „römisch-rechtliche Rahmen“ (245) und der „provinzialrömische Kontext“
(152), die Burgund bis zu Karl Martell prägten. Grundsätzlich ist dies
zutreffend. Widerspruch ist jedoch gegen eine gewisse Verabsolutierung dieses
Rahmens anzumelden, gegen die Neigung, alles nur aus römischer Kontinuität zu
deuten, deren Wandlungen unzureichend zu hinterfragen, germanische Einflüsse im
Süden, römische im Norden möglichst wenig zu artikulieren und so nahezu ausschließlich
das Bild eines „scharfen Kontrastes“ (399) zwischen Nord und Süd zu zeichnen.
Vieles ist doch nur eine Frage des unterschiedlichen Mischungsverhältnisses.
Die Kontrastierung nur und gerade der um 511 zu datierenden Lex Salica mit den
burgundischen Verhältnissen um 613 erfolgt gelegentlich (395) in nahezu
positivistischer Manier, so als habe es außerhalb des Wortlautes dieser Lex im
Norden nichts gegeben. Die Unterschiede bleiben freilich bedeutend, doch gibt
es auch Verbindendes: Reinigungseid und Gottesurteil auch im Süden,
Königsurkunden auch im Norden. Und vornehmlich ist am Königsgericht weitaus
weniger mit einem „scharfen Kontrast“ zu rechnen als an den Volksgerichten.
Doch ist vom burgundischen Königs- oder Hausmeiergericht in dem Buch kaum die
Rede. Man weiß nichts darüber. Die Merowingerplacita der Zeit zeigen alle
dasselbe Verfahren. Zu den Gemeinsamkeiten gehört, daß in merowingischer Zeit
im Norden wie im Süden der Richter urteilt. Im Süden umgeben von Beratern, die
nicht selbst urteilen; im Norden als Vorsitzender im Gericht zusammen mit den
Rachinburgen oder den Großen des Königsgerichts. Die ältere Lehre sah dies für
den Norden anders. Doch kann ich sie angesichts meiner einschlägigen
Ausführungen in „Dinggenossenschaft und Recht“, die bislang keinen Widerspruch
erfahren haben, als überholt ansehen. Noch unangemessener als eine
Nichtbefassung ist freilich, daß Esders mich für die ältere Lehre vom
nicht urteilenden Richter in Anspruch nimmt (400 mit Anm. 165). Ein Versehen,
freilich. Es zeigt jedoch, daß über einfachste Sachverhalte keine Klarheit
besteht. Auch fällt es - uns allen - schwer, im Zuge von Schlußfolgerungen
Modelle und Unterscheidungen, wie sie den Richter oder die Divergenz zwischen
„fränkisch“ und „merowingisch“ (245 Anm. 735) betreffen, konsequent
durchzuhalten. Esders stellt z. B. das Modell des selbsturteilenden
burgundischen Richters in Frage, wenn er Entscheidungen in burgundischen
Infidelitätsprozessen als konsensgebunden darstellt (387). Wenn der
burgundische Richter allein entschied - auf wessen Konsens kam es dann -
rechtlich gesehen - noch an? Auch der zitierte Paul Fouracre hält
insoweit „nördliches“ und „südliches“ Verfahren nicht sauber auseinander,
betont allerdings zutreffend verfahrensrechtliche Gemeinsamkeiten aller
Regionen des Reiches. Möglicherweise verwischen auch Argumentationen im letzten
Kapitel des Buches (358ff.) die unterschiedlichen Anteile, die Nord und Süd
jeweils am Gesamtcharakter der merowingischen Königsherrschaft haben.
Die
kritischen Anmerkungen zu Teilen der die Gerichtsverfassung und das Verfahren
betreffenden Ausführungen sollen in einigen zentralen Punkten fortgesetzt und
mit Anmerkungen zur „Fortführung der maiestas-infidelitas-Konzeption“ (141)
sowie zum Treueid verbunden werden, Materien, die Esders miteinander in
Zusammenhang bringt. Zunächst spricht er davon, daß in civitates des
Loire-Tales „bereits im 6. Jahrhundert gerade im strafrechtlichen Bereich die
Anwendung fränkischer Rechtsprozeduren bezeugt“ sei (91). Er meint jedoch den
fränkischen Bußprozeß. Späterhin spricht er für den Norden vom „gewöhnlichen
fränkischen Rechtsverfahren“ (399) oder vom „fränkischen Gerichtsverfahren“
(400, 401). Immer geht es um das Bußverfahren. Dieses kontrastiert er (150) mit
burgundischen Regelungen, die zumindest auch Kriminalverfahren in
römischer Tradition meinen. Daß es auch im Norden Kriminalverfahren geben
könne, von denen zwar nichts in der Lex Salica, wohl aber bei Gregor von Tours
zu lesen ist, kommt ihm dabei nicht in den Blick. Auch das
Übersiebnungsverfahren in der im Jahre 596 zu Köln ergangenen Decretio
Childeberti läßt erkennen, daß es im Norden noch anderes als den Bußprozeß, der
des klägerischen Überführungsbeweises ermangelte, gab. Das Fehlen der
Möglichkeit zum Überführungsbeweis ist für Esders der Zentralpunkt der
„Rückständigkeit“ des fränkischen Verfahrens. Rechtsdogmatisch ist dies
zutreffend, wie jedoch die Praxis des Nordens mit diesem Mangel zurechtkam -
siehe Gregor von Tours, siehe Childebert II. - ist eine andere Frage. Für die
römisch geprägten Rechtsverfahren des Südens soll nach Esders der
Überführungsbeweis charakteristisch gewesen sein (152). Auch dies ist nur mit
Abstrichen richtig, und gerade die von Esders an c. 3 der Praeceptio
geknüpfte Beweisführung erweist sich als unzutreffend. Die klägerische Position
so stark betonend spricht Esders (150ff., 325) übrigens von einem
römisch-burgundischen Akkusationsprozeß, den er in einem Gegensatz zum
„außerordentlichen“ Kognitionsverfahren sieht. Warum ihm dies so wichtig ist
und warum er späterhin c. 3 der Praeceptio gerade auf diesen Akkusationsprozeß
einschränkt, ist mir nicht klar geworden. Den Überführungsbeweis gab es im
Süden doch auch bei Amtseröffnung - wie in De
reis corripiendis - und im Kognitionsverfahren. Jedenfalls darf der Leser
diesen Akkusationsprozeß nicht mit dem - deliktischen - fränkischen Bußprozeß
in Verbindung bringen.
Die
mißlungene Beweisführung stützt Esders (152, 156) auf die Wendung convictus fuerit in c. 3. Diese kann im
Frühmittelalter den Überführungsbeweis, aber auch schlicht das Unterliegen des
Beklagten meinen. Zur Beweisführung verhält sie sich prinzipiell neutral. Der
Verfasser hat Ausführungen von Franz Beyerle (Entwicklungsproblem S.
383, 399) mißverstanden oder doch einseitig zugunsten seiner Ansicht
interpretiert. Beyerle sagt nur, daß convincere
in den „Fragmenten des Codex Euricianus“ (466-484) auch für den
Überführungsbeweis bezeugt ist. Sicher meint den Überführungsbeweis allein der
Begriff certa probatio. Esders
unterstellt für 616/617 das, was er beweisen will: die ungetrübte Fortgeltung
römischen Rechts. Da der erste Satz von c. 3 ebenso wie c.22 des Edikts sich
gegen die Verweigerung jeglicher Anhörung richtet (penetus inauditus bzw. inauditus),
besteht kein Grund, das convictus in
c. 3 gerade als „klägerischen Überführungsbeweis“ zu nehmen. Auch Kroeschell,
auf den sich Esders (399 Anm. 160) beruft, kommentiert an der
angegebenen Stelle nur die certa culparum
probatio in Gunthrams Edikt von 585. Der Beweis in Praeceptio c. 3 kann
also in den unterschiedlichsten Formen geführt werden, z. B. durch den
erfolglosen Versuch des se innocentem
adprobare, das die bereits genannte Novelle Gundobads De reis corripiendis für nicht überführte Pferdediebe und
Einbrecher vorsah (145 f.). Das se innocentem
adprobare meint nämlich den Reinigungseid des Angeklagten oder Beklagten
(145 Anm. 196). Überhaupt kannte auch das burgundische Strafrecht, wie zuletzt Clausdieter
Schott dargetan hat (152 Anm. 229), für Romanen und Germanen den
Reinigungseid des Beklagten mit elf Verwandten und den gerichtlichen Zweikampf.
Die das
Recht auf Anhörung und herkömmliche Beweisführung sichernden Bestimmungen des
Pariser Edikts c. 22 und der Praeceptio c. 3 werden üblicherweise als Reaktion
auf die Übersiebnungsmöglichkeit der Decretio Childeberts II. verstanden. Dem
folgt Esders (148ff.) uneingeschränkt nur für das Pariser Edikt. Für die
Praeceptio hingegen rückt er den Kampf gegen Mißstände bei Majestätsprozessen
in den Vordergrund (152ff.). Dies offenbar als Konsequenz seiner fragwürdigen
Interpretation von „convictus“, die
ihn behaupten läßt, c. 3 der Praeceptio meine nur den als „ordentlich“
qualifizierten (150 f.) „römisch-rechtlich geprägten strafrechtlichen
Verfahrenstypus“ des burgundischen Akkusationsprozesses. Das Verfahren, auf das
das Edikt reagiert, qualifiziert er hingegen als eine außerordentliche, zur
Lynchjustiz tendierende (149) „besondere Form der Verbrechensbekämpfung“ (144).
Auf diese Weise verbindet er das von den Centenen getragene Verfolgungsverfahren
mit der Übersiebnung. Daß diese Verfahren „außerordentliche“ gewesen seien,
folgert er aus der Wendung des Edikts, daß Verbrecher weder von Richtern noch
von wem auch immer ungehört erschlagen werden dürften (ad quemcumque interfici). Daß das Verfahren der Centene ein
außerordentliches oder gar außergerichtliches (149) gewesen wäre, ist mir neu.
Der Begriff „Lynchjustiz“ ist für eine Zeit ungefestigter „staatlicher“
Zuständigkeit und Präsenz verfehlt. Die Wendung, daß niemand einen Straftäter
ungehört erschlagen soll, erscheint mir überinterpretiert. Falls iudex in c. 22, wie in merowingischen
Quellen oft, den Grafen meint, so dürfte das quaecumque auf seinen Vertreter und auf sonstige Hilfspersonen
zielen. Das Pariser Edikt schärft also die Beachtung des „üblichen
Gerichtsverfahrens“ (149) ein. In welcher Form aber dem nicht handhaften Täter
üblicherweise das Urteil gefunden wurde, ist jedenfalls für die Volksgerichte
sehr ungewiß. Esders trägt dazu Neues nicht bei. Möglicherweise endete
das frühe Strafverfahren vor Grafen des Nordens schlicht mit der gelungenen
oder mißlungenen Beweisführung, ohne daß ein formelles Endurteil formuliert
worden wäre. Derartiges ist für Bußverfahren bezeugt.
Der
Praeceptio c. 3 eine Stoßrichtung gerade gegen unkorrekt geführte, aber
„ordentliche“ Majestätsprozesse - möglicherweise sogar solche Chlothars II.
nach 613 selbst (377f. Anm. 82) - zuzusprechen, erscheint mir spekulativ. Der
Wortlaut gibt dafür nichts her. Er zielt gegen das Unterlassen jeglicher
Anhörung, gegen die Verurteilung ohne Prozeß. Selbst Brunichilde und später der
Hausmeier Ebroin haben jedoch offenbar die Verfahrensform immer zu wahren
gewußt, ja sie waren geradezu auf das Königsgericht als „höchsten
Austragungsort politischer Konflikte“ angewiesen (387). Die von Esders
(152ff., 360-388) beschriebene Rolle von „Majestätsprozessen“ in der
politisch-rechtlichen Kultur der Burgunder (und Franken) läßt sich also
schwerlich über c. 3 an die Praeceptio anbinden. Insoweit liegt eher ein Exkurs
vor. Der Gedanke einer „Prägung der politischen Kultur durch die Rechtssphäre
des Herrschers“ (360) als solcher ist jedoch gut, bedarf allerdings einiger
Korrekturen. Sie betreffen die tatsächlichen Grundlagen und die Art der
Kontinuitätsvorstellung. Über Hintergründe und Ablauf burgundischer
„Majestätsprozesse“ des 6. und 7. Jahrhunderts ist Genaues nicht bekannt. Es
gab sie, sie waren in der Regel Teil von Machtkämpfen und werden in den wenigen
Quellen meist als irgendwie ungerecht qualifiziert. Weder Qualität noch Quantität
lassen sich genauer bestimmen. Um nun das erforderliche Bedrohungspotential,
das hinsichtlich des beständig plagenden Räuberunwesens ohne weiteres gegeben
wäre, aufzubauen, stellt Esders (152ff.) eine Reihe ungeschützter
Behauptungen zur Zeit um 600 auf, um dann die Scheußlichkeiten der römischen
Kaiserzeit, der Wandalen und zwei von Theoderich durchgeführte
Majestätsprozesse zu beschwören. All dies liegt weit weg und lange zurück.
Verbunden wird es durch die Kontinuität der Lex quisquis von 397. Doch erreicht diese - im wesentlichen unverändert
- Burgund um 600? Was Esders unbesehen voraussetzt, daran kann man mit
guten Gründen zweifeln. Schon Floyd Seyward Lear, den Esders
zitiert, hat nachgewiesen, daß keines der germanischen Stammesrechte den
Begriff des crimen maiestatis kennt.
Nur die römischen Quellen überliefern ihn. Unter den Merowingern des 6.
Jahrhunderts kann das crimen maiestatis
gewohnheitsrechtlich fortgewirkt haben. Im 7. Jahrhundert aber und bis zur
Kaiserkrönung Karls des Großen sprechen die Quellen - auch die von Esders
angezogenen burgundischen - soweit überhaupt etwas feststellbar ist, von infidelitas, nicht vom crimen maiestatis. Esders
ignoriert diesen Wandel, spricht von „maiestas
bzw. infidelitas“ (152, ähnlich 377,
437). Selbstverständlich deckt auch das „bzw.“ eine gewisse Kontinuität, doch
eben nicht die von Esders behauptete ungebrochen römisch-rechtliche,
sondern eine vornehmlich christlich, aber auch germanisch überformte. Es gab
nicht mehr die römische „Majestät des Herrschers“ (378), sondern die
Treuvorstellung in Nachbildung des Verhältnisses zwischen dem christlichen Gott
und den an ihn Glaubenden. Und die Stammesrechte haben das komplexe crimen maiestatis in Einzeldelikte
aufgebrochen, auch Abstriche an den Subtilitäten des Majestätsprozesses und der
Bestrafung vorgenommen. Wo dann noch, wie jedenfalls überall in den
Infidelitätsverfahren gegen Bischöfe und im Norden auch in solchen gegen
weltliche Große, eine genossenschaftliche Urteilsfindung Platz greift, da kann
man eine Konstanz nur noch im nackten Kern des die Macht sichernden Strafens
ausmachen, nicht aber „in der politisch-rechtlichen Kultur“ (387).
Ähnliche
Bewertungsdivergenzen bestehen hinsichtlich des Aufkommens von Königs- und
Untertaneneid im frühen Mittelalter (430ff., 456ff.). Sie werden klar als
Neuerung erkannt (457f.), doch mit einer (mir) nicht voll verständlichen
Argumentation - Inhalt gegen Form - als römische Vorgaben sichernd und
fortbildend dargestellt. Warum dies inhaltlich germanischen und christlichen
Einfluß ausschließen soll, blieb mir unklar. Die Untertaneneide kommen zudem
gegenüber dem Königseiden zu kurz. Es fehlt auch die grundlegende Arbeit von Paolo
Prodi zum Sakrament der Herrschaft (Bologna 1992). Insgesamt handelt es
sich bei diesen Überlegungen also eher um einen Vorentwurf zu einem weiteren
gewichtigen Buch. Das vorliegende ist eine solide wissenschaftliche Leistung,
die sich der Rezensent mit Spannung, viel Gewinn und größtenteils mit
Zustimmung anzueignen suchte.
Würzburg
Jürgen Weitzel