WaibelDeutschland20000919 Nr. 10081 ZRG 118 (2001)

 

 

Deutschland unter alliierter Besatzung 1945-1949/55. Ein Handbuch, hg. v. Benz, Wolfgang. Akademie, Berlin 1999. 494 S.

In den ersten Jahren nach Ende des zweiten Weltkrieges wurden nicht nur die Weichen für das staatliche Schicksal Deutschlands neu gestellt. In einer Spirale alliierter Konfrontationen verfestigte sich auf einer globalen Ebene die sich bereits zuvor andeutende politische Spaltung in Ost und West. Zurück blieb eine Ordnung, die, auf Jahrzehnte festgezurrt, vom ideologischen Wettstreit der Systeme geprägt wurde. Das nach Kriegsende in vier Besatzungszonen aufgeteilte Deutschland spielte in diesem Zusammenhang eine Hauptrolle. War es 1945 zunächst übereinstimmende alliierte Politik gewesen, Deutschland militärisch und wirtschaftlich so zu schwächen, dass es als potentieller Kriegsaggressor künftig ausscheiden würde, wurde in den Folgemonaten rasch deutlich, dass das vielerorts beschworene Ideal einer gemeinsamen alliierten Viermächteverwaltung machtpolitischen Erwägungen nicht Stand hielt. Als die alliierte Viermächtepolitik etappenweise in ihre Einzelteile zerfiel, gingen die Besatzungsmächte in ihren Zonen dazu über, die Deutschen weitgehend nach eigenen Vorstellungen zu behandeln. Dabei war die jeweilige Politik der Besatzungsmächte - soweit man in den ersten Friedensmonaten hiervon überhaupt sprechen konnte - zunächst von den tatsächlichen Realitäten innerhalb der Besatzungszonen bestimmt. Die Besatzer fanden sich in einer Situation wieder, für die es keine Vorbilder gab und auf die sie nur unzureichend vorbereitet waren. Nachdem sie sich im folgenden ihrer Verantwortung für die betroffenen Deutschen bewusst wurden, sich im selben Maße aber die Spannungen zwischen den Alliierten zuspitzten, bekam die Besatzung Deutschlands ein neues Gewand. Im Zuge des sich langsam senkenden „eisernen Vorhangs“ wurden aus ehemaligen Feinden schrittweise interessante Bündnispartner. Aber auch handfeste wirtschaftliche Interessen - vor allem die Entlastung des amerikanischen Steuerzahlers - bestimmten die Besatzungspolitik. Mit dem Marshallplan wurde letztes, noch auf Morgenthau zurückgehendes destruktives Gedankengut aus den Köpfen vertrieben. Die Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik sowie ihre Einbettung in die amerikanisch und sowjetisch dominierte Welt, standen am Ende einer Epoche, die für beide deutschen Staaten in den folgenden Jahrzehnten in vielerlei Hinsicht prägend bleiben sollte. Hier waren Strukturen gelegt worden, deren Auswirkungen das staatliche und gesellschaftspolitische Leben diesseits und jenseits der Mauer bestimmten und - wenn man sich die Mühe machen will - auch heute noch deutlich zu erkennen sind.

Das von Wolfgang Benz herausgegebene Handbuch setzt sich das Ziel, die Grundzüge der alliierten Besatzung in den vier Besatzungszonen zu beleuchten. Auch wenn der untersuchte Zeitraum bis zur Unterzeichnung des Deutschlandvertrages im Jahre 1955 reicht, liegt der Schwerpunkt der Arbeit eindeutig auf der Besatzungsphase bis 1949. Obwohl mittlerweile Gegenstand unzähliger Untersuchungen, die sich der Epoche unter den verschiedensten Blickwinkeln annähern, bietet die Besatzungszeit weiterhin ein Fülle von „Legenden und Mythen“ (S. 18) sowie eine Vielzahl unbeantworteter Fragen. Ein weites Forschungsfeld hat sich zudem nach der Überwindung der deutschen Teilung und der Auflösung der sich gegenüberstehenden Machtblöcke geöffnet. Zehn Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung und dem erleichterten Zugang zu Forschungseinrichtungen in den vormaligen Ostblockländern ist der Nutzen eines Handbuchs, das der Besatzungszeit einen gleichrangigen Zonenvergleich zugrundelegt, nicht anzuzweifeln.

Am Handbuch selbst haben 84 Autoren mitgewirkt. Es ist in sieben Kapitel unterteilt. Das Konzept des Bandes führt uns vom Allgemeinen zum Besonderen. Es beginnt mit einer Skizze der Grundzüge der alliierten Besatzungspolitik bis 1955 (S. 21-32). Einer ausführlichen Darstellung der unterschiedlichen Besatzungspolitik innerhalb der vier Zonen (S. 33-89) folgen die Entstehungsgeschichten der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (S. 90-98). Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit ausgewählten Problemen der Besatzungspolitik in einem Zonenvergleich (S. 99-209). Im einzelnen werden die Grundlagen der alliierten Politik - Bildungsreform, Demokratisierung und Entnazifizierung der Deutschen, Reparationen, Parteienpolitik und Pressepolitik, um nur einige zu nennen - in all ihren unterschiedlichen Facetten dargestellt. Im Anschluss kommen die Autoren auf diejenigen internationalen Konferenzen von 1943 bis 1954 zu sprechen, die mit der Behandlung der deutschen Frage beschäftigt waren (S. 211-227). Institutionen und Organisationen der Besatzung ist das vierte Kapitel gewidmet. In alphabetischer Reihenfolge werden diejenigen Einrichtungen vorgestellt, die - wie z. B. der Alliierte Kontrollrat, die zonalen Militärregierungen (OMGUS, SMAD, CCG/BE, GMZFO) oder später die alliierten Hohen Kommissare - zu wichtigen Anlaufstellen von Alliierten und Deutschen wurden und damit der Besatzungszeit ihren Stempel aufdrückten (S. 229-328). Ganz im Stile eines Lexikons sind in einem sechsten Kapitel einzelne Begriffe und Ereignisse erläutert, die in unmittelbarem Zusammenhang zur Besatzungszeit stehen, in den bisherigen Kapiteln aber nicht berücksichtigt werden konnten (S. 329-375); die Auswahl spannt einen breiten Bogen und reicht von den Amerikahäusern, dem Besatzungsstatut, den geliebten CARE-Paketen, einzelnen Besatzungsdirektiven (JCS 1067), der Entwicklung und den Grundzügen der sozialen Marktwirtschaft bis hin zu den volkseigenen Betrieben der Ostzone (VEB). Der Textteil endet mit Ausführungen zur Entstehung und Geschichte der deutschen Bundesländer während der Besatzungszeit. Neben den heutigen Bundesländern führt uns das Handbuch zu den drei Vorläuferstaaten Baden-Württembergs, Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern sowie originellerweise auch in das für mehrere Wochen unbesetzt gebliebene Westerzgebirge („Republik Schwarzenberg“). Am Ende wartet das Handbuch mit einer chronologischen Übersicht über die wichtigsten Daten und Ereignisse der Besatzungszeit, einem Stichwortverzeichnis und einem umfangreichen, äußerst nützlichen, biographischen Register auf. Die gesamte Darstellung wird durch zahlreiche Abbildungen zu den Besatzungszonen, zur Organisation des Alliierten Kontrollrates, den zonalen Militärregierungen, der Bizonenverwaltung und den deutschen Ländern illustriert.

Die vorliegende Arbeit wird ihrem Anspruch, den Zugang zum Jahrzehnt deutscher Geschichte unter alliierter Herrschaft zu erleichtern, in vollem Umfange gerecht. Der Gang vom Allgemeinen zum Besonderen lässt die alliierte Besatzungspolitik in einem differenzierten und ausgewogenen Licht erscheinen. Hierzu trägt nicht zuletzt die große Zahl unterschiedlicher Autoren bei, die es ermöglicht, ausgewählte Probleme der Besatzungszeit aus unterschiedlichen Blickwinkeln und unter verschiedener Akzentuierung zu betrachten. Dass sich bei dieser Vorgehensweise einzelne Beiträge überschneiden, liegt in der Natur der Sache und schadet nicht. Zudem gelingt es meist, die inhaltliche Geschlossenheit zu bewahren, wenngleich an wenigen Stellen der Eindruck sachlicher Divergenzen (z. B. bei der Einschätzung der französischen und sowjetischen Besatzungshandlungen) nicht ganz vermieden werden kann. Bei der Auswahl der behandelten Themen beweist der Herausgeber seine in zahlreichen Abhandlungen dokumentierte sichere Hand und Souveränität. Mag der Leser Erörterungen zum einen oder anderen Punkte vermissen - der Rechtshistoriker richtet sein Augenmerk gerne auf juristische Fragestellungen der Besatzung -, fällt dies letztlich nicht weiter ins Gewicht. Die unterschiedliche Politik der alliierten Besatzer ist in ihrem komplexen Wesen und schrittweisen Wandel sowie ihrer Bedeutung für die weitere staatliche Entwicklung innerhalb und außerhalb Deutschlands - trotz vereinzelter Pauschalierungen - umfassend erörtert und wissenschaftlich auf dem neuesten Stand. Besonders deutlich werden die sich oft diametral gegenüberstehenden Motivationen der Besatzungsmächte, die sich für die vielfältigen Paradoxen verantwortlich zeigen, mit denen sich die Militärregierungen vor Ort arrangieren mussten. Eine „janusköpfige“, „ambivalente“, „doppelgesichtige“ oder „konfuse“ Besatzungspolitik (S. 69 für die französische Zone) war die logische Konsequenz interner Kompetenzstreitigkeiten sowie nicht miteinander kompatibler Zielvorstellungen. Sie war allen vier Besatzungsmächten eigen, wenngleich diese selbstverständlich ihre eigenen Ziele verfolgten und mit zonenspezifischen Problemen konfrontiert wurden. So kollidierte die ursprüngliche Politik der Friedenssicherung durch wirtschaftliche Schwächung Deutschlands und die Forderung nach Reparationen mit der Notwendigkeit des raschen Wiederaufbaus und Eingliederung der deutschen in die europäischen Volkswirtschaften. Auf Seiten der Sowjetunion standen sich militärische Sicherheitsinteressen, die Forderung nach Wiedergutmachung, Großmachtbestrebungen sowie klassenideologische und weltrevolutionäre Gesichtspunkte gegenüber (S. 76-84). Die anvisierte Demokratisierung der Deutschen, die freilich auf divergierenden Demokratiemodellen beruhte, erfolgte auf der Grundlage militärischer Direktiven. Sie musste von hierarchisch organisierten Militärverwaltungen geleistet werden, die mit dieser Aufgabe sichtlich überfordert waren. Die verantwortlichen Militärgouverneure waren zudem nicht nur ihren eigenen Regierungen, sondern weiterhin einer alliierten Viermächtepolitik verpflichtet. Darüber hinaus mussten sie die Belange der in zunehmendem Maße umworbenen Deutschen in ihre Planspiele miteinbeziehen. Zielkonflikte dieser Art forderten von den verantwortlichen Stellen ein hohes Maß an Pragmatismus und Flexibität. Sie ließen sich beliebig fortsetzen und werden von den Autoren des Handbuches im gebotenen Umfange geschildert. Wenn am Ende ein kleiner Wermutstropfen verbleibt, ergibt sich dieser aus der Konzeption der Arbeit als Handbuch: Weiterführende Literaturangaben finden sich nur spärlich und jeweils am Ende der beschriebenen Themen. Nützlich erweisen sich dagegen die zahlreichen, die einzelnen Beiträge miteinander verbindenden Querverweise. Als Nachschlagewerk besitzt das vorliegende Handbuch ohne Zweifel das Potential zu einem Standardwerk der Besatzungsliteratur.

Tübingen                                                                                                        Dieter Waibel