ThierHofmann20000914 Nr. 1065 ZRG 118 (2001)

 

 

Hofmann, Hasso, Repräsentation. Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert, 3. Aufl. (= Schriften zur Verfassungsgeschichte 22). Duncker & Humblot, Berlin 1998. 484 S.

Die vorliegende Arbeit zählt seit langem zu den Standardwerken nicht nur der Verfassungsgeschichte. Dem entspricht es, daß die erstmals 1974 erschienene Studie nach 1990 nunmehr in einer dritten Auflage als unveränderter Neudruck der Erstausgabe erscheint. Dieser Erfolg beruht nicht allein auf der Themenstellung des Werkes. Kennzeichnend für Hofmanns Buch, das aus einer Erlanger juristischen Habilitationsschrift hervorging, ist auch die weiträumige Perspektive der Betrachtung: Die Arbeit bewegt sich auf einem thematischen und fachlichen Spektrum, das buchstäblich „über die Fächer- und Ländergrenzen hinweg reicht“, um eine Formulierung Hofmanns aus einem freilich etwas anderen Sinnzusammenhang zu benutzen (6). Dieser weitgespannte Untersuchungsbereich beruht auf der von Hofmann gewählten Fragestellung: Die Studie zielt im Kern auf den „Nachweis geschichtlicher Abhängigkeiten und Veränderungen (33) im Bedeutungsfeld des Ausdrucks „Repräsentation“, um so den Begriff aus der Einspannung in die Rechtsvorstellungen des 19. Jahrhunderts herauszulösen und ihn wieder mit seiner sehr viel weiter zurückreichenden Geschichte zu verbinden (29). Daher unter­nimmt es Hofmann, „zum Zwecke der Sonderung und der Aufdeckung von Anleihen... alle fachlichen Verwendungen [des Repräsentationsbegriffs]... zu studieren, soweit das auf der Basis gedruckter Quellen... möglich ist“ (36). Auf dieser Grundlage stellt sich Hofmann gegen eine Tradition der Parlamentarismuskritik[1], in der ins­besondere von Carl Schmitt und Gerhard Leibholz[2] ein Spannungsverhältnis zwischen Repräsentation und Identität, zwischen parlamentarischer Repräsentation und Volkssouveränität postuliert wurde. Dem lag indes eine frühmoderne Deutung des Repräsentationsbegriffs zugrunde, in der insbesondere ein Zurechnungszusammenhang zwischen Staatsvolk und Parlament bestritten wurde. Die entschiedene Historisierung des Repräsentationsbegriffs, man könnte vielleicht auch sagen seine „Verzeitlichung, soll deswegen, wie Hofmann bescheiden formuliert, zur „Erfüllung gewisser Hilfsdienste (32) für die staatstheoretische und nicht zuletzt auch staatsrechtliche Diskussion dienen. So ist ein Werk entstanden, das sich auch als eine Querschnittsbetrachtung nicht allein der Wortgeschichte des Repräsentations­begriffs, sondern zugleich auch der unterschiedlichen  Konzeptionen von corpus und Staatsperson kennzeichnen ließe.

Die Ergebnisse, die Hofmann in intensiver Auseinandersetzung mit einer fast unüberschaubar anmutenden Fülle von Quellen und Literatur erarbeitet, sind bereits in früheren Rezensionen seines Buches skizziert und gewürdigt worden[3]. Trotzdem seien zumindest einzelne zentrale Positionen herausgehoben: Der Repräsentationsbegriff enthält mehrere Bedeutungsschichten. In der antiken Literatur und in der antiken Rechtssprache dominiert der Gedanke von der „Wirklichkeit eines Geschehens (46) oder auch die „reale Anwesenheit (109) von Personen (insbesondere vor Gericht); dieser Befund gilt auch für die germanischen Volksrechte, in denen repraesentare vor allem das Wortfeld „sich (vor Gericht/dem König) stellen besetzte. Vermittelt durch die hochmittelalterliche Abendmahlslehre entsteht ein anderer Sprachgebrauch, in dem Repräsentation als Abbild eines Urbildes gesehen wird; diese Begriffsdeutung gelangt dann auch in die philosophische Tradition. Ein erweiterter Sinngehalt dieses Repräsentationsbegriffs bildet sich im Hoch- und Spätmittelalter aus: Unter dem Einfluß der Vorstellung von der Kirche als corpus mysticum und der vor allem auf Innozenz IV. zurückgehenden Doktrin von der persona ficta sive repraesentata wird Repräsentation verstanden als Nachbildung einer Entität wie etwa einer Personengesamtheit. In der jetzt ebenfalls aufscheinenden Deutung von Repräsentation als Stellvertretung setzt sich dagegen der antike und frühmittelalterliche Sprachgebrauch fort. Denn in der von Bartolus geprägten Formel personam alicuius repraesentare, verstanden als „jemanden als Rechtssubjekt gegenwärtig machen (159), scheint der Gedanke von der Anwesenheit einer Person im Handeln eines anderen auf. Repräsentation ist hier eine „Formel fiktiver Einheit von Vertreter und Vertretenem (164), deren Entstehung angeregt wird von der „theatralischen Sprache der Liturgie (166). Auf dieser Basis entwickelt sich in der frühen Neuzeit ein Bedeutungs­gehalt von Repräsentation, wonach der Repräsentierende nicht allein eine Person, sondern eine Rolle und damit einen Status verkörpert. Repräsentation ist dann ein „Fachausdruck für Rollenspiel und appellierende Selbstdarstellungen (188). Jenseits dieser Deutungsmuster, die letztlich dem Urbild-Abbild-Gedanken oder der Stellvertretungskonzeption folgen, liegt eine dritte Sinnebene des Re­präsentationsbegriffs: Das Konzept einer „Identitätsrepräsentation, wie Hofmann in Anlehnung an Ausdrücke des konziliaristischen Denkers Johannes von Segovia formuliert (36, 212 u. ö.), ist erstmals bei Marsilius von Padua entfaltet und prägt ideell insbesondere die konziliare Bewegung.. Wesentlich ist hiernach der Gedanke von der „Gleichsetzung eines Teils mit dem Ganzen bei gleichzeitiger Anerkennung - qua ,Repräsentation’ - daß diese Gleichung nicht umkehrbar ist (214): Das Konzil ist die Kirche - aber die Kirche ist nicht das Konzil. Modifiziert wird dieses Konzept durch die cusanische Theorie der „Vermittlungs-Repräsentation“ (318 u. ö.) durch vermittelnde Instanzen. Hierin zeichnen sich bereits erste Ansätze eines parlamentarischen Repräsentationsmodells ab, auch wenn Hofmann davor warnt, „unmittelbar eine Brücke zur modernen Auffassung parlamentarischer Repräsentation schlagen“ zu wollen (328). Dieser Themenkomplex gehört bereits dem letzten großen Kapitel an, in dem Hofmann den Zusammenhang von „Repräsentation und Herrschaft“ untersucht. Hofmann betont, daß die Konzeptionen von Stellvertretungs- und Identitätsrepräsentation im Grundsatz gegenüber der Verteilung von Macht neutral sind und sich insbesondere der „spezifisch politische Ausdruck der Ver­tretungsrepräsentation nicht von vornherein auf das Moment der Bedeutung von Herrschaft reduzieren“ läßt (374). Das wird besonders eindringlich am Beispiel von Althusius belegt, der das Element der Vertretungsrepräsentation zur Begrenzung von Regierungsmacht benutzt. Erst der Aufstieg der unbe­schränkten Monarchie als politisches Ordnungsmodell verändert die Situation, wird doch der Monarch zum ausschließlichen und stellvertretenden Repräsentanten von Volk und Staatsperson. Herrschafts­begrenzend wird das Konzept der Stellvertretungsrepäsentation hingegen in der durch Sièyes in­spirierten französischen Verfassung von 1791, konkurrieren hier doch König und Gesetzgebungskörper­schaft miteinander als Repräsentationsinstanzen und begrenzen sich dadurch gegenseitig. Doch dieses Modell einer „Repräsentations­konkurrenz“, einer „Teilung der Repräsentation“ (415f.) wurde gerade in Deutschland nur allzu bald von der ideellen Durchsetzungskraft des monarchischen Prinzips verdrängt: Der Monarch wurde zum Repräsentanten der Staatsgewalt, während das Parlament - ganz in der bekannten Kontinuität altstän­discher Traditionen - die „Vertreter des Volkes... eben nicht die Vertreter der Nation“ (428) umfaßte. Damit war der Beteiligung des Parlamentes ideell die Beteiligung an der Repräsentation und damit an der Ausübung staatlicher Herrschaft entzogen.

Vielleicht erschließt sich in diesem notwendig extrem verkürzten Überblick zumindest in Ansätzen etwas von der Vielfalt der Thesen, Gedanken und Einzelanalysen, die kennzeichnend für Hofmanns Arbeit sind. Hinzu tritt die auch in Einzelfragen immer wieder eindrucksvolle Auseinandersetzung mit überkommenen Sichtweisen wie etwa mit der Auslegung der kanonistischen Korporationstheorie durch Otto von Gierke, dem Hofmann sicherlich zu Recht eine „rückprojizierte Auffassung von der bloß gedachten Verbandseinheit als Gegenbild eines atomistischen Gruppenbegriff(s)“ vorwirft (141; s. a. 146-148)[4]. Doch nicht allein dies erklärt die vor allem seit 1990 einsetzende anhaltende Nachfrage nach Hofmanns Buch. Möglicherweise ist die Halbierung der Intervalle zwischen den Neuauflagen von Hofmanns Buch auch darauf zurückzuführen, daß immer mehr Fächer sich dem interdisziplinären Dialog öffnen, der, so möchte man fast formulieren, in Hofmanns Buch „repräsentiert“ wird. Vielleicht wird es eine sicherlich bald erforderlich werdende weitere Neuauflage möglich machen, die im Inhaltsverzeich­nis ausgewiesenen Zwischenüberschriften auch im Text selber auftauchen zu lassen. Möglicherweise könnte der Arbeit dann auch ein Sachverzeichnis beigegeben werden. Doch damit sind allenfalls Marginalien formuliert, die nichts daran ändern, das Hofmanns Buch zu den herausragenden Werken der Verfassungsgeschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts gehört.

München                                                                                                          Andreas Thier

                                                                                                                                                      



[1] Vgl. dazu neben der Übersicht bei Hofmann selbst (23-32) die neueren Übersichten bei Ernst-Wolfgang Böckenförde, Demokratie und Repräsentation. Zur Kritik der heutigen Demokratiediskussion, in: Ernst-Wolfgang Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, Frankfurt am Main 1991, 379-405, 379-387; Horst Deier, in: Horst Dreier (Hrsg.), Grundgesetz­kommentar II, München 1998, Art. 20 (Demokratie), Rdnr. 60; Oliver Lepsius, Die erkenntnistheoretische Notwendigkeit des Parlamentarismus, in: Martin Bertschi u. a. (Hrsg.), Demokratie und Freiheit, Stuttgart/ München/Hannover/Berlin/Weimar/Dresden 1999, 123-180, 127f.; Christoph Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat: zur Theorie parlamentarischer Re­präsenta­tion in der Staatsrechts­lehre des Kaiserreichs (1871 ‑ 1918), Frankfurt am Main 1997 (= Ius Commune, Sonderhefte: Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, 102), 176-182, 284-290; Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 3: 1914-1945, München 1999, 103-109.

[2] Zu Leibholz s. jetzt v. a. die Arbeit von Martin H. Wiegandt, Norm und Wirklichkeit: Gerhard Leibholz (1901 ‑ 1982) ‑ Leben, Werk und Richteramt, Berlin 1995 (=  Studien und Materialien zur Verfassungsgerichtsbar­keit, 62), hier v. a. 150-170.

[3] Vgl. insbesondere Gerhard Köbler, in: ZRG Germ. Abt. 93 (1976), 450f.; Gunter Gudian, in: ZHF 4 (1977), 345f. Wilhelm Henke, in: Der Staat 14 (1975), 571-573.

[4] Vgl. allgemein zu Gierkes Wahrnehmung des klassischen kanonischen Rechts Peter Landau, Otto Gierke und das kanonische Recht, in: Joachim Rückert, Dietmar Willoweit (Hrsg.), Die Deutsche Rechtsgeschichte in der NS-Zeit. Ihre Vorgeschichte und ihre Nachwirkungen, Tübingen 1995 (= Rechtsgeschichte des 20. Jahr­hunderts 12), 77-94.