ThierHofmann20000914 Nr. 1065 ZRG 118 (2001)
Hofmann,
Hasso, Repräsentation. Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der
Antike bis ins 19. Jahrhundert, 3. Aufl. (= Schriften zur Verfassungsgeschichte
22).
Die vorliegende Arbeit zählt
seit langem zu den Standardwerken nicht nur der Verfassungsgeschichte. Dem
entspricht es, daß die erstmals 1974 erschienene
Studie nach 1990 nunmehr in einer dritten Auflage als unveränderter Neudruck
der Erstausgabe erscheint. Dieser Erfolg beruht nicht allein auf der Themenstellung
des Werkes. Kennzeichnend für Hofmanns Buch, das aus einer Erlanger
juristischen Habilitationsschrift hervorging, ist auch die weiträumige
Perspektive der Betrachtung: Die Arbeit bewegt sich auf einem thematischen und
fachlichen Spektrum, das buchstäblich „über die Fächer- und Ländergrenzen
hinweg reicht“, um eine Formulierung Hofmanns aus einem freilich etwas
anderen Sinnzusammenhang zu benutzen (6). Dieser weitgespannte
Untersuchungsbereich beruht auf der von Hofmann gewählten Fragestellung:
Die Studie zielt im Kern auf den „Nachweis geschichtlicher Abhängigkeiten und
Veränderungen”
(33) im Bedeutungsfeld des Ausdrucks „Repräsentation“, um so den Begriff aus
der Einspannung in die Rechtsvorstellungen des 19. Jahrhunderts herauszulösen
und ihn wieder mit seiner sehr viel weiter zurückreichenden Geschichte zu
verbinden (29). Daher unternimmt es Hofmann, „zum Zwecke der Sonderung
und der Aufdeckung von Anleihen... alle fachlichen Verwendungen [des Repräsentationsbegriffs]...
zu studieren, soweit das auf der Basis gedruckter Quellen... möglich ist“ (36).
Auf dieser Grundlage stellt sich Hofmann gegen eine Tradition der
Parlamentarismuskritik[1],
in der insbesondere von Carl Schmitt und Gerhard Leibholz[2]
ein Spannungsverhältnis zwischen Repräsentation und Identität, zwischen
parlamentarischer Repräsentation und Volkssouveränität postuliert wurde. Dem
lag indes eine frühmoderne Deutung des Repräsentationsbegriffs zugrunde, in der
insbesondere ein Zurechnungszusammenhang zwischen Staatsvolk und Parlament
bestritten wurde. Die entschiedene Historisierung des Repräsentationsbegriffs,
man könnte vielleicht auch sagen seine „Verzeitlichung”, soll deswegen, wie Hofmann
bescheiden formuliert, zur „Erfüllung gewisser Hilfsdienste” (32) für die
staatstheoretische und nicht zuletzt auch staatsrechtliche Diskussion dienen.
So ist ein Werk entstanden, das sich auch als eine Querschnittsbetrachtung
nicht allein der Wortgeschichte des Repräsentationsbegriffs, sondern zugleich auch
der unterschiedlichen Konzeptionen von corpus und Staatsperson kennzeichnen ließe.
Die Ergebnisse, die Hofmann
in intensiver Auseinandersetzung mit einer fast unüberschaubar anmutenden Fülle
von Quellen und Literatur erarbeitet, sind bereits in früheren Rezensionen seines
Buches skizziert und gewürdigt worden[3].
Trotzdem seien zumindest einzelne zentrale Positionen herausgehoben: Der
Repräsentationsbegriff enthält mehrere Bedeutungsschichten. In der antiken
Literatur und in der antiken Rechtssprache dominiert der Gedanke von der
„Wirklichkeit eines Geschehens” (46) oder auch die „reale Anwesenheit” (109) von Personen
(insbesondere vor Gericht); dieser Befund gilt auch für die germanischen
Volksrechte, in denen repraesentare vor allem
das Wortfeld „sich (vor Gericht/dem König) stellen” besetzte. Vermittelt durch
die hochmittelalterliche Abendmahlslehre entsteht ein anderer Sprachgebrauch,
in dem Repräsentation als Abbild eines Urbildes gesehen wird; diese
Begriffsdeutung gelangt dann auch in die philosophische Tradition. Ein
erweiterter Sinngehalt dieses Repräsentationsbegriffs bildet sich im Hoch- und
Spätmittelalter aus: Unter dem Einfluß der
Vorstellung von der Kirche als corpus mysticum und der vor allem auf Innozenz IV. zurückgehenden
Doktrin von der persona ficta sive
repraesentata wird Repräsentation verstanden als
Nachbildung einer Entität wie etwa einer Personengesamtheit. In der jetzt
ebenfalls aufscheinenden Deutung von Repräsentation als Stellvertretung setzt
sich dagegen der antike und frühmittelalterliche Sprachgebrauch fort. Denn in
der von Bartolus geprägten Formel personam
alicuius repraesentare,
verstanden als „jemanden als Rechtssubjekt gegenwärtig machen” (159), scheint der Gedanke
von der Anwesenheit einer Person im Handeln eines anderen auf. Repräsentation
ist hier eine „Formel fiktiver Einheit von Vertreter und Vertretenem” (164), deren Entstehung
angeregt wird von der „theatralischen Sprache der Liturgie” (166). Auf dieser Basis
entwickelt sich in der frühen Neuzeit ein Bedeutungsgehalt von Repräsentation,
wonach der Repräsentierende nicht allein eine Person, sondern eine Rolle und
damit einen Status verkörpert. Repräsentation ist dann ein „Fachausdruck für
Rollenspiel und appellierende Selbstdarstellungen” (188). Jenseits dieser
Deutungsmuster, die letztlich dem Urbild-Abbild-Gedanken oder der
Stellvertretungskonzeption folgen, liegt eine dritte Sinnebene des Repräsentationsbegriffs:
Das Konzept einer „Identitätsrepräsentation”, wie Hofmann in Anlehnung an Ausdrücke des konziliaristischen Denkers Johannes von Segovia formuliert (36, 212 u. ö.), ist erstmals bei
Marsilius von Padua entfaltet und prägt ideell insbesondere die konziliare Bewegung.. Wesentlich ist hiernach der Gedanke
von der „Gleichsetzung eines Teils mit dem Ganzen bei gleichzeitiger
Anerkennung - qua ,Repräsentation’ - daß diese Gleichung nicht umkehrbar ist” (214): Das Konzil ist die
Kirche - aber die Kirche ist nicht das Konzil. Modifiziert wird dieses Konzept
durch die cusanische Theorie der „Vermittlungs-Repräsentation“
(318 u. ö.) durch vermittelnde Instanzen. Hierin zeichnen sich bereits erste
Ansätze eines parlamentarischen Repräsentationsmodells ab, auch wenn Hofmann
davor warnt, „unmittelbar eine Brücke zur modernen Auffassung parlamentarischer
Repräsentation schlagen“ zu wollen (328). Dieser Themenkomplex gehört bereits
dem letzten großen Kapitel an, in dem Hofmann den Zusammenhang von
„Repräsentation und Herrschaft“ untersucht. Hofmann betont, daß die Konzeptionen von Stellvertretungs- und Identitätsrepräsentation
im Grundsatz gegenüber der Verteilung von Macht neutral sind und sich insbesondere
der „spezifisch politische Ausdruck der Vertretungsrepräsentation nicht von
vornherein auf das Moment der Bedeutung von Herrschaft reduzieren“ läßt (374). Das wird besonders eindringlich am Beispiel von
Althusius belegt, der das Element der Vertretungsrepräsentation
zur Begrenzung von Regierungsmacht benutzt. Erst der Aufstieg der unbeschränkten
Monarchie als politisches Ordnungsmodell verändert die Situation, wird doch der
Monarch zum ausschließlichen und stellvertretenden Repräsentanten von Volk und
Staatsperson. Herrschaftsbegrenzend wird das Konzept der Stellvertretungsrepäsentation
hingegen in der durch Sièyes inspirierten
französischen Verfassung von 1791, konkurrieren hier doch König und
Gesetzgebungskörperschaft miteinander als Repräsentationsinstanzen und
begrenzen sich dadurch gegenseitig. Doch dieses Modell einer „Repräsentationskonkurrenz“,
einer „Teilung der Repräsentation“ (415f.) wurde gerade in Deutschland nur
allzu bald von der ideellen Durchsetzungskraft des monarchischen Prinzips
verdrängt: Der Monarch wurde zum Repräsentanten der Staatsgewalt, während das
Parlament - ganz in der bekannten Kontinuität altständischer Traditionen - die
„Vertreter des Volkes... eben nicht die Vertreter der Nation“ (428) umfaßte. Damit war der Beteiligung des Parlamentes ideell
die Beteiligung an der Repräsentation und damit an der Ausübung staatlicher
Herrschaft entzogen.
Vielleicht erschließt sich
in diesem notwendig extrem verkürzten Überblick zumindest in Ansätzen etwas von
der Vielfalt der Thesen, Gedanken und Einzelanalysen, die kennzeichnend für Hofmanns
Arbeit sind. Hinzu tritt die auch in Einzelfragen immer wieder eindrucksvolle
Auseinandersetzung mit überkommenen Sichtweisen wie etwa mit der Auslegung der kanonistischen Korporationstheorie durch Otto von Gierke,
dem Hofmann sicherlich zu Recht eine „rückprojizierte Auffassung von der
bloß gedachten Verbandseinheit als Gegenbild eines atomistischen
Gruppenbegriff(s)“ vorwirft (141; s. a. 146-148)[4].
Doch nicht allein dies erklärt die vor allem seit 1990 einsetzende anhaltende
Nachfrage nach Hofmanns Buch. Möglicherweise ist die Halbierung der
Intervalle zwischen den Neuauflagen von Hofmanns Buch auch darauf
zurückzuführen, daß immer mehr Fächer sich dem
interdisziplinären Dialog öffnen, der, so möchte man fast formulieren, in Hofmanns
Buch „repräsentiert“ wird. Vielleicht wird es eine sicherlich bald erforderlich
werdende weitere Neuauflage möglich machen, die im Inhaltsverzeichnis
ausgewiesenen Zwischenüberschriften auch im Text selber auftauchen zu lassen.
Möglicherweise könnte der Arbeit dann auch ein Sachverzeichnis beigegeben
werden. Doch damit sind allenfalls Marginalien formuliert, die nichts daran
ändern, das Hofmanns Buch zu den herausragenden Werken der
Verfassungsgeschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts gehört.
München Andreas
Thier
[1] Vgl. dazu neben der Übersicht bei Hofmann selbst (23-32) die neueren Übersichten bei Ernst-Wolfgang Böckenförde, Demokratie und Repräsentation. Zur Kritik der heutigen Demokratiediskussion, in: Ernst-Wolfgang Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, Frankfurt am Main 1991, 379-405, 379-387; Horst Deier, in: Horst Dreier (Hrsg.), Grundgesetzkommentar II, München 1998, Art. 20 (Demokratie), Rdnr. 60; Oliver Lepsius, Die erkenntnistheoretische Notwendigkeit des Parlamentarismus, in: Martin Bertschi u. a. (Hrsg.), Demokratie und Freiheit, Stuttgart/ München/Hannover/Berlin/Weimar/Dresden 1999, 123-180, 127f.; Christoph Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat: zur Theorie parlamentarischer Repräsentation in der Staatsrechtslehre des Kaiserreichs (1871 ‑ 1918), Frankfurt am Main 1997 (= Ius Commune, Sonderhefte: Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, 102), 176-182, 284-290; Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 3: 1914-1945, München 1999, 103-109.
[2] Zu Leibholz s. jetzt v. a. die Arbeit von Martin H. Wiegandt, Norm und Wirklichkeit: Gerhard Leibholz (1901 ‑ 1982) ‑ Leben, Werk und Richteramt, Berlin 1995 (= Studien und Materialien zur Verfassungsgerichtsbarkeit, 62), hier v. a. 150-170.
[3] Vgl. insbesondere Gerhard Köbler, in: ZRG Germ. Abt. 93 (1976), 450f.; Gunter Gudian, in: ZHF 4 (1977), 345f. Wilhelm Henke, in: Der Staat 14 (1975), 571-573.
[4] Vgl. allgemein zu Gierkes Wahrnehmung des klassischen kanonischen Rechts Peter Landau, Otto Gierke und das kanonische Recht, in: Joachim Rückert, Dietmar Willoweit (Hrsg.), Die Deutsche Rechtsgeschichte in der NS-Zeit. Ihre Vorgeschichte und ihre Nachwirkungen, Tübingen 1995 (= Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 12), 77-94.