TheisenKroll20000922 Nr. 10126 ZRG 118 (2001)

 

 

Kroll, Thomas, Die Revolte des Patriziats. Der toskanische Adelsliberalismus im Risorgimento, (= Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts Rom 90). Niemeyer, Tübingen, 1999. XII, 510 S.

Vorzustellen ist eine an der Universität Düsseldorf 1997 angenommene Dissertation, die von Wolfgang J. Mommsen betreut worden ist. Der Autor beschäftigt sich darin mit der Rolle des Adels in einem italienischen Territorium, das unter Fremdherrschaft stand, in der Zeit von 1800 bis 1859. Die Arbeit umfaßt die zu dieser Thematik vorliegende Forschungsliteratur bis Anfang 1998. Das von Kroll vorgelegte Werk gliedert sich in folgende vier Hauptteile: Im ersten Teil erörtert der Autor die Frage, inwieweit ein Zusammenhang zwischen dem Adel und dem modernen Verwaltungsstaat in der Epoche des Risorgimento bestand. In Teil zwei legt er die wirtschaftlichen Stellung des toskanischen Adels in dem bearbeiteten Zeitraum dar. Im dritten Teil dokumentiert er das Aufkommen des Adelsliberalismus und die dafür notwendigen Grundlagen. Im letzten Teil untersucht er die Auseinandersetzung des Adels mit der bürokratischen Monarchie. Eine abschließendes Resumee und ein Ausblick über noch offene Fragen fassen die Ergebnisse zusammen.

In seiner Einleitung charakterisiert der Autor den toskanischen Adelsliberalismus zunächst als gemäßigt, da die Zielvorstellungen desselben auf einer oligarchischen Regierungsform beruhen, die im Gegensatz zur wiedererrichteten spätabsolutistischen habsburgischen Sekunditur stehen, weshalb der liberale Adel auch Gewaltaktionen im Sinne der Geheimbünde Giuseppe Mazzinis ablehnt. Seit der Mitte der 1840er Jahre formierte sich die gemäßigte liberale Adelsgruppierung zu einer Verfassungsbewegung, die ebenfalls konkrete Reformprogramme formulierte, die jedoch keine radikalen Züge trugen. Folglich ist die Selbstbezeichnung „moderatismo“ treffend. Die Idee, die dahinter stand, zielte auf eine adiministrative Dezentralisierung der bestehenden Behörden- und Staatsstrukturen. Erst seit 1848 wurde die „nationale Unabhängigkeit“ ein wichtiges Thema. Dies bedeutete die Loslösung von den Habsburgern und die Bildung eines Nationalstaates; eine nationaldemokratische Lösung war nicht intendiert. Die Verfassungsordnung des neuen Staates ab 1859 war dann auch auf die liberalen Adelsstrukturen ausgerichtet gewesen. Wie Kroll herausarbeitet, handelte es sich bei den liberalen Adligen nicht um in ihrer Schicht „isolierte“ Persönlichkeiten, sondern um eine eingrenzbare politische Bewegung adliger Familien, die Dipper dazu anregten, die Ideen dieser Gruppierung als „Adelsliberalismus“ zu bezeichnen.[1]

In seiner Arbeit möchte der Autor drei Komponenten zusammenführen, die er bis jetzt als nicht ausreichend beachtet ansieht: 1. Die Verwaltungsgeschichte des vorunitarischen Italiens, 2. die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des Adels und 3. die politische Geschichtsschreibung zum Risorgimento.

Für den Rechtshistoriker bedeutsam sind die Ausführungen zur Verwaltungsgeschichte eines italienischen Territioriums vor allem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dem Verfasser gebührt dabei das Verdienst die verwaltungsrechtlichen Aspekte ebenfalls angesprochen zu haben. Er geht davon aus, daß die Einführung zentralistischer Verwaltungsstrukturen ein wesentlicher Aspekt des Ursprungs des Adelsliberalismus war, obwohl der Adel, ähnlich wie in Preußen oder in England, über den Grundbesitz seinen Herrschaftsanspruch herleitete. Der Zentralismus war ein ständiger Kritikpunkt, da der Adel aus dem städtischen, sich selbst regierenden, Patriziat kam und mit diesem immer noch verbunden war. Gerade die Mitglieder des letzteren stellten die Spitze des großgrundbesitzenden Adels dar, der sich seit 1750 immer mehr Verwaltungsfunktionen zueignete: Nicht mehr alleine die Ämter der Gemeindeverwaltung wurden angestrebt, sondern mit Hilfe von Klientel- und Verwandtschaftsbeziehungen ebenfalls solche in der mittleren und hohen Exekutive. Dort hatte der patrizische Adel eine solche Vormachtstellung erreicht, daß er in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch das Militär, die Diplomatie und den Hof unter seine Kontrolle zu bringen wußte. Ein diesbezügliches Ende brachte die napoleonische Eroberung, die einen Zentralstaat nach französischem Muster schuf, welchen die Habsburger nach ihrer Rückkehr 1814 übernahmen. Einerseits blieb die gemeindliche Selbstverwaltung aufgehoben, andererseits bildete Großherzog Leopold II. ein Berufsbeamtentum heran, das den Adel immer mehr aus seinen gewohnten Herrschafts- und Machtpositionen herausdrängte. Dies führte zu einer Oppositionsbewegung, die sich dann in den 1840er Jahren formierte, da das Bürgertum die führenden Positionen übernommen hatte. Der Kampf ging nunmehr um eine Repräsentativerfassung, mit deren Hilfe der Adel seine Teilhabe an der Machtausübung wiederzugewinnen trachtete. Die Herrschaft der Bürokratie sollte gebrochen werden. Dabei konnten sich die 150 liberalen Adelsfamilie auf einen starken Verwandtschafts- und Familienzusammenhalt sowie ein weitverzweigtes Vereins- und Akademiewesen stützen, der ihnen gegenüber den bürgerlichen liberalen Gruppierungen einen organisatorischen Vorteil verschaffte und ihnen demnach auch schnell die Führung zuspielte. So konnten sie ihre Auffassungen auch gegenüber dem nichtadligen Bürgertum, das mit ihnen durch frühneuzeitliche Klientelbeziehungen verbunden war, durchsetzen. Wie der Autor herausstellt, war dies eine Revolte des Adels gegen den (modernen) Verwaltungsstaat, die toskanischen Verwaltungsstrukturen und gegen die Willkürherrschaft des Berufsbeamtentums. Der Liberalismus war für jenen Adel eine Chance, um zu seinem alten Herrschaftssystem zurückzukehren, welches dezentralisiert und oligarchisch war. Diese Auseinandersetzung zielte darauf ab, ein oligarchisches Regierungssystem wieder einzuführen. Den liberalen Adligen ging es um die Begrenzung von Macht und Kompetenz der Berufsbeamten. Dafür forderten sie ein reformiertes Verwaltungs- und Beamtenrecht, eine Umverteilung der staatlichen Aufgaben auf die untere Ebene, nämlich die Gemeinden, die alle drei Gewalten innehaben sollte. Ähnlich forderten sie ein auf die Großgrundbesitzer beschränktes Wahlrecht, das ihre Macht/Position sichern sollte. Dem wurde dann in der Revolution von 1848 nachgekommen. Der Autor beschreibt das toskanische Wahlrecht treffend als „Institutionalisierung des patrizischen Klientelismus.“ Dies macht deutlich, daß das Konzept des Adels eigentlich vormodern war. Nach der Niederschlagung der Revolution kam die Toskana unter direkte habsburgische Kontrolle. Die Abschaffung der Verfassung 1852 und die neue Kommunalordnung von 1853, die das Selbstbestimmungsrecht der Gemeinden wieder aufhob, schloß den Adel gänzlich von der politischen Teilhabe aus. Es war ein zentralistisches Verwaltungssystem geschaffen worden, wodurch der Adel noch weiter in eine Oppositionrolle verfiel. Nach dem Krieg von 1859 kamen die moderati nunmehr in der Toskana an die Macht; um diese im vereinigten Italien zu sichern, gingen nun sie dazu über, die zentralen Verwaltungsstrukturen zu fördern und zu befürworten. Der Autor kommt aus diesem Grund zu dem wichtigen Ergebnis, daß die Auseinandersetzung des toskanischen Adels mit einem modernen Verwaltungsstaat in erheblichem Maße eine Voraussetzung für die Bildung des italienischen Nationalstaates war. Diese dezentralistische Verwaltungsauffassung war jedoch in der Italia postunitaria nicht mehr opportun.

Wichtig und die Untersuchung unterstützend ist der Anhang von 30 Tabellen, die für die Analyse und die Vergleichbarkeit der Verhältnisse unerläßlich sind. Diese tabellarischen Auszeichnungen belegen eindrucksvoll die Bedeutung des toskanischen Adels und die der Bewegung des Adelsliberalismus. Sie untermauern ebenfalls die These des Autors, daß der Adel in der Toskana von nicht zu unterschätzender Relevanz für die Entwicklung hin zu einem liberalen Verfassungsstaat war. Die Auswertung der dort verarbeiteten Daten zeigt weiter, daß dies nicht nur ein Werk Einzelner war, sondern eine Gesamtbewegung, die infolge der Herkunft, der familiären und beruflichen Beziehungen und vor allem, da diese Adelsgruppierung viele Stellen im Regierungs- und Verwaltungsapparat innehatte, einen besonderen Einfluß ausüben konnte.

Dem Verfasser gelingt es sehr gut, die Komponente der toskanischen Verfassungs- und Verwaltungsentwicklung mit den personellen und sozialen Grundlagen ihrer Träger zu verknüpfen. Dies macht die Arbeit auch für den Rechtshistoriker besonders interessant. Verfassung und Verwaltung werden nicht unabhängig gesehen, sondern auch der dahinterstehende politische Horizont, der sich aus der besonderen Situation des toskanischen Adels herausgebildet hat, wird in den einschlägigen Kapitel dargestellt. Für die Verknüpfung der politischen und sozialen Vorstellungswelt des Adels hat der Autor auf bisher nicht erschlossene Quellen zurückgegriffen, die er bei seinen Forschungen in Adelsarchiven der Familien der führenden Protagonisten des toskanischen Adelsliberalismus im Risorgimento entdeckt hat. Um einen repräsentativen Querschnitt bieten zu können, hat Kroll sich (einerseits) auf eine politisch abgeschlossene Region und auf eine wesentliche Gruppierung begrenzt, so daß er keine willkürliche Auswahl zu treffen brauchte und eine relativ gut dokumentierte Schicht (den Adel) als Grundlage heranziehen konnte. Dabei verwendet Kroll die methodischen Ansätze der Adels- und Liberalismusforschung.

Der Autor erläutert seine Ausführungen mit wichtigen prosographischen Studien zu allen 1800 adligen Deputierten der Parlamente von 1848/49, 1859 und zur folgenden Legislaturperiode des Turiner Abgeordnetenhauses. Anhand dieser Untersuchungen kann er Karriereverläufe, Heiratsverhalten, Verwandtschaftsbeziehungen und die Bedeutung der Vereinsmitgliedschaften herausarbeiten. Dadurch gelingt es dem Verfasser trotz einer schwierigen Quellenlage, da die liberalen Adligen schwerlich ihre verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Ansichten veröffentlichten, gerade diese für die Interpretation der politischen Entwicklung wichtigen Aussagen heranzuziehen.

Die Arbeit ist eine wichtige Grundlage zum italienischen Adelsliberalismus in den ersten zwei Drittel des 19. Jahrhunderts. Bedeutsam wäre es nun, weitere vergleichende Studien beispielsweise zu den liberalen Gesinnungen des Adels in ähnlichen Territorien zu betreiben. Anklänge finden sich in der Einleitung, in der der Autor darauf hinweist, daß sich gerade in Österreich in den periphären Staatsgebieten eine liberale Adelsbewegung herausbildete (als Beispiel führt er neben der Toskana Böhmen, Ungarn und die österreichischen Gebiete Polens an), die ebenfalls eine nationale Ausrichtung und Zielvorgabe besaßen. In diesem Zusammenhang wäre es von Interesse, Parallelen zu einem deutschen Adelsliberalismus herauszuarbeiten, der sich zum Beispiel in einem ähnlichen Territorium, Kurhessen, finden läßt. Auch dieser Staat war spätabsolutistisch und reaktionär. Große Teile des Adels, den die dortigen Herrscher ablehnend gegenüber standen, waren auf der gemäßigten Seite des Liberalismus anzutreffen. Einige wenige gaben sich sogar demokratisch[2]. Hier ist interessant, daß viele liberale Adlige in hohen Richterämtern anzutreffen waren und dort im Sinne der Justizstaatslehre, als Herrschaft des Rechts (ob bewußt oder unbewußt sei dahingestellt), sehr oft gegen die Regierung entschieden und alle Verwaltungsangelegenheiten justiziabel machten[3]. Bedeutsam wäre es zu erfahren, ob es solche Vorgänge in der Toskana gab, oder ob sich der Adel aus der Judikative gänzlich heraushielt. Dies wäre deshalb interessant, weil gerade die Judikative neben der Exekutive sich von vielen Herrschern starken Einflüssen gegenübergestellt sah. Zu verweisen wäre in diesem Zusammenhang auf die Dissertation von von Hodenberg[4], die den angeblichen Liberalismus der preußischen Richterschaft im Vormärz anhand von Kollektivbiographien untersucht. Dieser kleine Exkurs möchte nur zur weiteren Beschäftigung mit dem Adelsliberalismus und zu Vergleichen anregen, auf keinen Fall aber die Verdienste der Arbeit Krolls mindern. Hervorzuheben ist gerade bei dieser Dissertation, daß die Bedeutung des Adels stringent für den Liberalismus und die Verfassungsentwicklung in der Toskana herausgearbeitet worden ist.

Resümierend ist festzustellen, daß hier eine Arbeit vorliegt, die auch für den Rechtshistoriker von besonderem Interesse ist, da sie geschickt sozial- und wirtschaftshistorische Ansätze mit verwaltungsrechtlichen Aspekten verbindet. Gerade die Untersuchung der Verwaltung und seiner Beziehung zum Adel überzeugt besonders. Für die Geschichte des Verfassungsrechts ebenso unentbehrlich sind Krolls Ausführungen zu den Aktivitäten des Adels im Parlament, die mit der Verdrängung des Adels aus den staatlichen Aufgabengebieten einherging.

Leipzig                                                                                   Frank Theisen



[1] C. Dipper, Adelsliberalismus in Deutschland, in: D. Langewiesche (Hg.), Liberalismus im 19. Jahrhundert, 1988, 175.

[2] E. Grothe, Verfassungsgebung und Verfassungskonflikt. Das Kurfürstentum Hessen in der ersten Ära Hassenpflug 1830-1837, 1996.

[3] F. Theisen, Zwischen Machtspruch und Unabhängigkeit. Die kurhessische Rechtsprechung von 1821 bis 1848, 1997.

[4] C. von Hodenberg, Die Partei der Unparteiischen. Der Liberalismus der preußischen Richter, 1996.