StürnerSommerlechner20000301 Nr. 1255 ZRG 118 (2001)

 

 

Sommerlechner, Andrea, Stupor mundi? Kaiser Friedrich II. und die mittelalterliche Geschichtsschreibung (= Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturinstitut in Rom 1, 11). Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1999. 660 S., 24 Abb.

Die Autorin der allein schon durch ihren Umfang Respekt abnötigenden Arbeit fragt danach, was die Geschichtsschreiber des 13. bis 15. Jahrhunderts über Kaiser Friedrich II. wussten und für berichtenswert hielten, wie sie ihn beurteilten.Wer immer unter den Historiographen des genannten Zeitraumes sich in irgendeiner Form über den Staufer äußerte, findet Berücksichtigung. Ein wertvoller „Katalog“ am Ende des Buches führt die über 200 herangezogenen Werke nach ihren Herkunftsländern geordnet auf, charakterisiert knapp Autor und Inhalt, nennt Editionen und weiterführende Literatur. Die Studie selbst aber sucht sich in einem ersten Hauptteil anhand des jeweiligen Umgangs mit dem Thema „Friedrich II.“ zunächst ein Bild vom Profil der verschiedenen historiographischen Gattungen des Spätmittelalters zu verschaffen, also die charakteristischen Züge der damaligen Weltgeschichtsschreibung, der Geschichtsschreibung in den italienischen Kommunen, der Landesgeschichtsschreibung, der Ordens‑ und Klostergeschichte oder der Autobiographie zu bestimmen. In den weiteren Abschnitten kehrt sich die Perspektive dann gewissermaßen um. Nun rückt Friedrich selbst ganz in den Mittelpunkt; es geht darum, die Geschichte des Kaisers „in eine große Anzahl von ‚Einstellungen der Kamera’ zu zerlegen“ (S. 13). In dieser Absicht richtet die Autorin an die Quellen eine lange Reihe von Fragen, sammelt sie deren Äußerungen zu den vielfältigen Aspekten und Facetten von vier ausgewählten zentralen Problembereichen, nämlich der Darstellung der Herrschaft Friedrichs, seines Kreuzzuges, seines Verhältnisses zu den oberitalienischen Kommunen und schließlich seiner Person. So entsteht in der Tat eine Art Bilderkollektion, ein Corpus von über fünfzig Einzelanalysen des Quellenmaterials unter sehr unterschiedlichen, durchweg sinnvollen, wichtigen Gesichtspunkten. Zu den in diesem Rahmen bearbeiteten Themen gehören etwa die Wahl und Anerkennung Friedrichs als römisch‑deutscher König und seine Absetzung auf dem Konzil von Lyon, seine Einordnung in endzeitliche Deutungsmuster oder sein Vertrag mit dem Sultan al‑Kamil und sein Einzug in Jerusalem, aber ebenso die Behandlung seiner Aufenthalte in den oberitalienischen Städten, die Bewertung des Geschehens von Cortenuova, Brescia und Parma, der Stellenwert von Herrscherlob und Laster‑Katalogen oder die Schilderungen von Friedrichs Tod. Die Untersuchungen zeichnen das in den Quellen gebotene Friedrich‑Bild hie und da vielleicht etwas zu negativ: Dass beispielsweise „die Selbstdarstellung des Kaisers im Königreich Jerusalem auf generelles Unverständis stößt“ (S. 176), wird durch die auf S. 306 behandelten Quellenpassagen nicht wirklich belegt, und die dort aufgeführten „Einzelstimmen“, die der kaiserlichen Interpretation folgen, können es an Zahl mit den Anhängern anderer Deutungen durchaus aufnehmen. Insgesamt jedoch sind die Detailstudien durchaus zuverlässig, gründlich und mit großer Sachkenntnis gearbeitet. Sie bieten eine Fülle von bemerkenswerten Einzelbeobachtungen und Einsichten sowohl zur Eigenart des Spätmittelalters und seiner Geschichtsschreibung wie vor allem zur Resonanz, die Kaiser Friedrich II. dort fand, und die einschlägig interessierte Forschung wird sich auf das hier Geleistete stützen, von ihm ausgehen können. Das Werk im Ganzen beeindruckt durch seine Gelehrsamkeit, durch das ihm zugrunde liegende weitgespannte Programrr und die Ausdauer bei der Realisierung dieser Grundkonzeption. Freilich führt die starke Differenziertheit des Fragenkatalogs, mit dem die Quellen konfrontiert werden, zu manchen Wiederholungen in der Darstellung, und mehr als einmal stößt man auf Passagen der bloßen Aufzählung und Aneinanderreihung von Quellenaussagen, ohne dass tiefere Einsichten daraus abzuleiten wären. Wo aber Erklärungen versucht, Zusammenhänge hergestellt, übergreifende Ergebnisse formuliert werden, leidet die Überzeugungskraft solcher allgemeinen Aussagen immer wieder daran, dass ihnen Einzelstimmen aus ganz verschiedenen Zeiten und Regionen, von Autoren ganz unterschiedlicher Herkunft, Bedeutung und Wirkung zugrunde liegen, denen gleiches Gewicht zugemessen wird, sofern sie nur die je einschlägige Frage irgendwie beantworten. Die Ausrichtung des ganzen Unternehmens auf eine Vielzahl solcher Einzelaspekte droht überdies dessen Zusammenhang zu verschütten. Eine „Geschichte der Darstellung Friedrichs II. in ihren Anfängen“ (S. 13) müsste wohl doch stärker darauf zielen, aus dem historiographischen Material und allen den dort gebotenen Einzelzügen typische Gesamtvorstellungen vom Kaiser, gewissermaßen die für die Wirkungsgeschichte wesentlichen Darstellungsmuster zu gewinnen, und zugleich fragen, ob sich diese Muster und Grundtypen jeweils bestimmten Autorengruppen zuordnen lassen, deren Mitglieder etwa ihre gemeinsame soziale oder geographische Herkunft, ein vergleichbarer Bildungsgang, eine ähnliche Lebenserfahrung, Berufstätigkeit oder politische Einstellung miteinander verbindet. Es wäre schärfer festzuhalten, welche Verbreitung und öffentliche Wirkung diese Deutungsmuster hatten, wann, wo und warum sie ihren Einfluss erlangten, aus welchen Gründen sie ihn wieder verloren.

Stuttgart                                                                                                           Wolfgang Stürner