StruveGoez20000919
Nr. 10067 ZRG 118 (2001)
Goez,
Werner, Kirchenreform und Investiturstreit 910-1122 (=
Urban-Taschenbuch 462). Kohlhammer, Stuttgart – Berlin – Köln 2000. 223 S.
Der
Verfasser des anzuzeigenden Buches beabsichtigt nicht etwa eine Darstellung des
politisch-ereignisgeschichtlichen Verlaufs der unter dem Namen Investiturstreit
bekannten Auseinandersetzungen, die das letzte Drittel des 11. und die ersten
Dezennien des 12. Jahrhunderts beherrschten. Er legt vielmehr das Gewicht auf
die Beschreibung jenes religiösen Erneuerungsprozesses, der sowohl im
monastischen Bereich als auch im innerkirchlichen Bereich stattfand und
seinerseits nicht ohne Folgen für das Verhältnis von Königtum und Kirche
geblieben ist. Entsprechend beansprucht die Darstellung von Klosterreform und
Kirchenreform mehr als die Hälfte des Umfangs, während auf die Schilderung des
Investiturstreits lediglich ein Drittel verwendet wird. In einer weit
ausgreifenden Perspektive zeigt der Verfasser, wie sich im fraglichen Zeitraum
allmählich ein neues Frömmigkeitsideal herausbildete, das in der klösterlichen
Reformbewegung (Cluny, Gorze, aber auch in der italienischen Eremitenbewegung)
einen Niederschlag fand und zur Gründung neuer Orden (Prämonstratenser,
Zisterzienser) führte. Der eigentliche Anstoß zur Kirchenreform sei jedoch aus
dem Kanonikertum gekommen, dessen Entwicklung eingehend beleuchtet wird. Die
Forderung nach Hebung des sittlichen Niveaus des Priesterstandes sei jedoch
letztlich als Reaktion auf die gesteigerten Erwartungen des Kirchenvolks zu
begreifen. Als Charakteristikum der ottonisch‑frühsalischen Epoche wird
das sich letztlich aus einem theokratischen Herrschaftsverständnis herleitende
Zusammengehen von Königtum und Episkopat herausgestellt. Deutlicher noch hätten
hierbei vielleicht die strukturbedingten Gründe für die Einflußnahme des
Königtums auf die Bischofswahlen dargelegt werden können. Nachdrücklich wird
auf die Gefährdung des als „Funktionszusammenhang“ begriffenen sog.
Reichskirchensystems bei Ausfall auch nur eines Elements verwiesen. Zugleich
wird gezeigt, wie unter den von Heinrich III. erhobenen „deutschen“ Päpsten,
die sämtlich ihr Bischofsamt beibehielten, durch eine stärkere Betonung der
bischöflichen Funktion ein Wandel in Richtung auf ein universelles
Amtsverständnis eintrat. In der Frage eines päpstlichen Investiturverbotes
folgt der Verfasser weitgehend der von Rudolf Schieffer vertretenen
Position, wonach es vor 1078/80 kein prinzipielles Verbot gegeben habe. Doch
gibt er zu bedenken, ob das in Kanon 6 der Lateransynode von 1059 formulierte
Verbot als „verbales Zugeständnis an Reform‑Maximisten“ wie etwa Humbert
von Silva Candida (S. 106) verstanden werden könnte. In dem Moment, wo es nicht
mehr allein um eine moralisch‑sittliche Besserung des Klerikerstandes,
sondern um die Neugestaltung der inneren Ordnung der Christenheit ging, erhielt
die Kirchenreform eine neue Qualität ‑ eine Entwicklung, die nach Lage
der Dinge nicht ohne Folgen für das Verhältnis zur Reichskirche bleiben konnte.
In dem dem Investiturstreit gewidmeten Abschnitt wird der Konflikt weniger aus
der Perspektive des Reichs als vielmehr aus derjenigen des Reformpapsttums
geschildert, was zu unvermeidlichen Verkürzungen führt. Klar bringt der
Verfasser jedoch zum Ausdruck, daß die Investiturfrage im engeren Sinne während
der Lebenszeit Gregors VII. keine entscheidende Rolle gespielt habe. Der Grund
war wohl auch, daß der Papst für die Durchsetzung seiner ehrgeizigen
Reformpläne auf die Unterstützung des deutschen Königs angewiesen war und
deshalb zusätzliche Konfliktpunkte zu vermeiden suchte. Die Schwachstelle der
von Heinrich IV. seit der Wormser Synode 1076 eingeschlagenen Politik gegenüber
dem Papsttum wird zu Recht darin gesehen, daß auf Seiten des Reichs ein eigenes
kirchenpolitisches Konzept fehlte. Doch wird ebenso klar erkannt, daß das
salische Königtum aufgrund der engen, historisch gewachsenen Verbindung
zwischen Krone und Episkopat auf die Wahrnehmung der Kirchenherrschaft nicht
verzichten konnte. Heinrichs Dilemma aber habe darin bestanden, daß er mit der
gegen Ende seiner Regierungszeit bekundeten Friedensbereitschaft an der
starren, Prinzipien verteidigenden Haltung Paschalis’ II. gescheitert sei. Es
ist jedoch bezeichnend, daß auch sein Sohn und Nachfolger Heinrich V. eben in
dem Augenblick mit dem sein Königtum zunächst unterstützenden Papsttum in
Konflikt geriet, als er weiterhin uneingeschränkt das Investiturrecht für sich
beanspruchte. Wenn schließlich der Kompromiß in Worms auf Initiative der
deutschen Fürsten zustandekam, dann war dies sicherlich Ausdruck ihrer ‑
freilich nicht erst seit 1122 gestiegenen ‑ politischen Bedeutung im
Reich. Ob es freilich gerechtfertigt ist, Heinrich V. in Worms als „Verlierer“
(S. 186) zu sehen, bleibe dahingestellt. Immerhin hat das staufische Königtum
versucht, den durch die Wormser Vereinbarung verbliebenen Spielraum exzessiv zu
nutzen, wie die Auslegung Ottos von Freising (Gesta II,6) erkennen läßt.
Zuzustimmen ist dem Verfasser jedoch in der Einschätzung, daß nicht etwa
Canossa, sondern die von Gregor VII. verfügte Absetzung und Exkommunikation
Heinrichs IV. einen ideellen Verlust des deutschen Königtums bewirkt haben.
Doch sollte man auch dieses Moment nicht überschätzen; hat sich doch
langfristig ‑ wie Gerd Tellenbach (Die westliche Kirche vom 10.
bis zum frühen 12. Jahrhundert, 1988, S. 269f.) gezeigt hat ‑ der Gedanke
des Gottesgnadentums nicht völlig verdrängen lassen.
Der Band,
der die in der gleichen Reihe erschienene, seit langem jedoch vergriffene
Darstellung von Uta‑Renate Blumenthal (Der Investiturstreit, Urban
Taschenbücher Bd. 335, 1982) wohl ersetzen soll, bietet eine gut lesbare
Darstellung des die Epoche des Investiturstreits beherrschenden Konflikts
zwischen Königtum und Reformpapsttum und seiner Ursachen. Der Verfasser bewegt
sich hierbei stets auf der Höhe der aktuellen Forschungsdiskussion, räumt auf
sympathische Weise jedoch auch ein, wo die eine oder andere Frage noch offen
ist. Unverständlich bleibt allerdings, weshalb der Autor jener königlichen
Propagandaschreiben, in denen erstmals im Mittelalter die Zweischwerterlehre
formuliert wird, nicht wie seit Carl Erdmann üblich mit dem Kanzleinotar
Gottschalk von Aachen identifiziert wird (S. 147f.). Wie erwähnt, ist das Buch
nicht so sehr auf eine Schilderung der Ereignisgeschichte ausgerichtet, sondern
auf die Herausarbeitung der vom kirchlichen Reformgedanken ausgehenden Impulse
sowohl auf die gesamtkirchliche Entwicklung als auch auf das Verhältnis von
Kirche und Reichsgewalt. Man kann dem Verfasser bescheinigen, daß ihm dies auf
überzeugende Weise gelungen ist.
Köln Tilman
Struve