SterckenGrundherrschaft20000229
Nr. 1081 ZRG 118 (2001)
Grundherrschaft
- Kirche - Stadt zwischen Maas und Rhein während des hohen Mittelalters, hg. v.
Haverkamp, Alfred/Hirschmann, Frank G. (= Trierer historische
Forschungen 37). Zabern, Mainz 1997, S.
Der aus dem Trierer Sonderforschungsbereich zum Rhein‑Maas‑Raum
hervorgegangene Tagungsband ist dem Verhältnis von kirchlicher Grundherrschaft
und Stadtwerdung gewidmet. Er befasst sich also mit zwei Phänomenen, die
nebeneinander, wenn nicht als Gegensätze diskutiert worden sind, und setzt ihre
erst am Ende der siebziger Jahre begonnene Neubewertung fort. Auf die
Notwendigkeit, Landwirtschaft und Stadtwirtschaft in ihrer
forschungsgeschichtlichen Entwicklung und die Begriffe in ihrem historischen
Kontext anzusehen, verweist Alfred Heit, der darüber hinaus für eine
„geschichtswissenschaftliche Nutzung des explikativen Potentials der
theoretischen Wirtschaftswissenschaft“ (S. 33) plädiert. Die elf weiteren
Beiträge rollen die komplexen Fragestellungen um Grundherrschaft und
Stadtwerdung aus unterschiedlichen Blickwinkeln an einzelnen Fällen und vor
allem für das 11.‑13. Jahrhundert auf: 12 rheinische Städte vergleichend
beschäftigt sich Klaus Flink mit den finanziellen, rechtlichen und
gegebenenfalls auch territorialpolitischen Interessen stiftischer und
klösterlicher Grundherren an einer Stadtbildung und zeichnet die boden‑
und personenrechtlichen Verhältnisse nach, die sich mit der Verdichtung
weilerartige Fronhofsverbände zu Städten ergaben. Gisela Minn stellt am
Beispiel von Metz die große Bedeutung der Benediktinerabteien in den
lothringischen Kathedralstädten für die Stadtentwicklung heraus, die in ihrem
Ausmaß offenbar abhängig vom jeweiligen Besitzumfang der Abtei und ihrer Lage
zur städtischen Siedlung war. Dass die Klosterreform nicht nur im
geistesgeschichtlichen Kontext gesehen werden kann, sondern sich auch auf die
Zentralität im Siedlungsgefüge auswirkte, zeigt Frank G. Hirschmann: Das
Kloster St. Vanne (Verdun) wurde mit den reformatorischen Maßnahmen des Abtes
Richard (1004‑1046) zu einem Zentrum der Schriftkultur; es baute
Reliquienkult und die Memoria einer hochadeligen Familie aus, verzeichnete
Güterzugewinn und investierte in die bauliche und wirtschaftliche
Infrastruktur. Stephanie Haarländer beschreibt den Aufschwung, den das
Kloster Sint Truiden einerseits und die ihm vorgelagerte, präurbane Siedlung
andererseits nach dem Investiturstreit mit der Reorganisation der
Grundherrschaft durch den Abt Rudolf (11081138) verzeichnen konnte.
Differenziert charakterisiert Marlene Nikolay-Panter die Entwicklung
Siegburgs zu einer Kleinstadt unter dominanter äbtischer Herrschaft, die mit
einem Bedeutungszuwachs des Klosters im 12. Jahrhundert korrespondierte und
sich vor dem Hintergrund des Konkurrenzverhältnisses zwischen den örtlichen
Herrschaftsträgern, dem Abt als Grundherrn, dem Grafen als Gerichtsherrn und
dem Untervogt als Inhaber der Vogtei, vollzog. Henri Trauffler, der
Echternach ins Zentrum seiner Überlegungen zu Klostergrundherrschaft und Stadt
stellt, kommt dagegen zum Schluss, dass eine starke Abteiherrschaft die
Stadtwerdung verhinderte und die wesentlichen Impulse zur Entwicklung von
Klostermärkten zur Stadt vom jeweiligen als Vogt amtierenden Territorialherrn
ausgingen. Zu ähnlichen Ergebnissen führt der Beitrag von Anja Gillen
und Frank G. Hirschmann zu den Prioraten in der Trierer Kirchenprovinz
als Instrumente benediktinischer Grundherrschaft, die vor allem im
französischen Sprachraum unter dem Einfluss einer adeligen Herrschaft zur
Steigerung der Zentralität eines Ortes beitragen konnten. Den Eindruck, das
Interesse weltlicher Herrschaftsträger sei maßgeblich für die Stadtwerdung
gewesen, verstärkt Michael Bur mit seiner Darstellung der Entwicklung
der Stadt Saint Dizier an Marne und Ornel in einem im Frühmittelalter durch die
Abtei Montier‑en‑Der besiedelten Gebiet. C. L. Verkerk
hingegen geht den Domänen der Grafen von Geldern und des Prümer
Salvatorklosters in Arnheim nach, die noch bis ins ausgehende Mittelalter
prägende Faktoren der städtischen Gesellschaftsstruktur waren. Mit den
rheinischen Zisterzen Himmerod und Kamp setzt sich Wolfgang Bender
auseinander und stellt dabei heraus, dass Himmerod - durch Privilegien
gefördert ‑ mit Stadthöfen, Immobilien und Finanzgeschäfte sowie Weinfernhandel
Positionen in der städtischen Wirtschaft bezog, während Kamp eher auf einen
Ausbau des zisterziensischen Konventnetzes bedacht war. Das Scheitern der
klösterlichen Grangien und damit der Himmeroder Wirtschaftspolitik im Speyerer
Raum nach einer längeren Phase der Blüte unter den Staufern führt Michael
Oberweis unter anderem auf die veränderten politischen Konstellationen in
der Pfalz zurück.
Insgesamt betrachtet bieten die genannten Aufsätze ein
facettenreiches Bild der Ausformung von Grundherrschaft und der Stadtwerdung
als auf verschiedenen Ebenen eng miteinander verflochtene Prozesse. Sie
postulieren, an weiteren Beispielen die spezifische Gemengelage von
herrschaftlichen Rechten und Interessen vor Ort und ihre Entwicklung näher zu
untersuchen und Vorsicht gegenüber älteren Begriffsprägungen, so etwa
„Abteistadt“, walten zu lassen. Die Zugehörigkeit zum französisch‑ oder
deutschsprachigen Kulturraum als Begründung für verschiedenartige Phänomene und
historische Verläufe wird im Band mehrfach angesprochen, nicht aber eigens
erörtert.
Zürich Martina
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