Die Werke des wichtigsten Bearbeiters des Preußischen
Allgemeinen Landrechts, Carl Gottlieb Svarez’
(1746-1798), sind seit seinem Tode nicht wieder aufgelegt worden und antiquarisch
nur schwer auffindbar. Um so verdienstvoller ist es, daß
der Verlag Frommann-Holzboog und der Herausgeber Peter
Krause eine umfassende Edition von Svarez‘
Schriften in Angriff genommen haben. Allerdings ist es eher überraschend, daß als erster Band der erste, 1784 veröffentlichte Teil
des Entwurfs eines Allgemeinen Gesetzbuchs für die Preußischen Staaten erschienen
ist. Der 1784 bis 1788 erschienene Entwurf liegt bereits in einem 1985 vom
Verlag Keip besorgten Reprint
vor. Darüber hinaus ist es – gerade nach den Feststellungen Peter Krauses
in der Einleitung (p. XV-LXXXIV) ‑ kaum möglich, den Entwurf so ausschließlich
Svarez zuzurechnen, daß er
als „sein“ Werk gesehen werden könnte.
Gegenüber dem Reprint von 1985
zeichnet sich die neue Ausgabe durch gelegentliche Kommentierungen zum Text des
Entwurfs und durch Hinweise aus, von welcher Seite nach der Publikation des
Entwurfs zu den jeweiligen Vorschriften schriftliche Kritiken (die sog. Monita) bei den Verfassern des Entwurfs eingegangen sind.
Dazu sind dem Text eine chronologische Übersicht über das Verfahren bis zum
gedruckten Entwurf (p. LXXXV-XCI) sowie eine Übersicht über die einzelnen
Schritte der Gesetzgebung nach einer Darstellung Simons und Strampffs aus dem Jahr 1836 vorangestellt. Eine
Liste der Monenten und der Vorschriften, zu denen sie
sich geäußert haben, schließt den Band ab (S. 339-359). Rückschlüsse auf die
Inhalte der Diskussion einzelner Vorschriften des Entwurfs läßt
die vorliegende Edition allerdings nicht zu, da die Anmerkungen des
Herausgebers nur zeigen, daß und von wem Kritik zu
einer Bestimmung geäußert wurde. Für den Inhalt der Kritik bleibt die Forschung
weiterhin auf die im Geheimen Staatsarchiv zu Berlin (früher Deutsches
Zentralarchiv, Abt. Merseburg) verwahrten ungedruckten Gesetzesmaterialien
angewiesen, und hier vor allem auf den von Grolmann
und Goßler erstellten sogenannten Auszug aus
den Monita (p. LXXXIII). Somit ist der Kern des
vorliegenden Bandes die ausführliche Einleitung, in der Peter Krause die
brandenburgisch-preußische Kodifikationsgeschichte des 18. Jahrhunderts im
allgemeinen und die Entstehungsgeschichte des Entwurfs im besonderen darlegt. Krauses
glänzend geschriebene Darstellung faßt die Ergebnisse
von mehr als zwei Jahrhunderten Forschung und langjähriger eigener
Beschäftigung mit der preußischen Gesetzgebung des ausgehenden 18. Jahrhunderts
souverän zusammen, wobei die neuere Forschung auch dort präsent ist, wo auf
bibliographische Nachweise in den Fußnoten verzichtet wurde. Eine Bibliographie
der bisherigen Forschung will Krause nämlich genauso wenig liefern wie
eine Quintessenz der bisherigen Forschung: Ihm geht es darum, die Quellen noch
einmal neu zu lesen. Dies fördert teils übersehene Details, teils überraschende
Erkenntnisse, jedenfalls aber ein diskussionswürdiges neues Verständnis der
Gesetzgebung zutage.
Nach Krause läßt sich
die Gesetzgebungsgeschichte des gesamten 18. Jahrhunderts nur als dialektisches
Wechselspiel zwischen dem Bemühen der brandenburgisch-preußischen Herrscher,
ihre Souveränität durch symbolische Gesetzgebungsakte zu unterstreichen, ohne
aber zu einer umfassenden Reform im eigentlichen Sinne bereit zu sein, und dem
hierüber hinausgehenden kodifikatorischen und
reformerischen Impetus der Großkanzler Cocceji und Carmer verstehen. Die Idee der Justizreform durch
umfassende Kodifikation sei Friedrich II. durch Cocceji
1746 und Carmer 1780 „untergeschoben“ worden. In
Wirklichkeit habe der König den gesetzgeberischen Bemühungen sowohl Coccejis als auch Carmers höchst
distanziert gegenüber gestanden. Dies zeige sich daran, daß
das von Cocceji verfaßte „Project des codicis Fridericiani Marchici“ nie
förmlich als Gesetz in Kraft gesetzt worden sei. Auch der Entwurf des
Allgemeinen Gesetzbuchs habe 1784 wegen der Mißbilligung
der Gesetzgebung durch den König nur als Privatdruck im Namen des Großkanzlers
veröffentlicht werden können. Das auf die Aufforderung zur öffentlichen
Begutachtung folgende Lob an die Adresse Friedrichs II. in Kants
Aufklärungsaufsatz in der Berlinischen Monatsschrift von 1784 habe auf einem Mißverständnis beruht, da der König zeitgleich seine
Verachtung und sein völliges Desinteresse an jeglicher Gesetzeskritik zum
Ausdruck gebracht habe. Ohne den Regierungswechsel und den Carmer
gewogeneren Nachfolger Friedrich Wilhelm II. wäre das Preußische Allgemeine
Landrecht nie als förmliches Gesetz publiziert worden. Da Krauses
Einleitung nur bis zur Veröffentlichung des Entwurfs reicht, bleibt offen, wie
nach Krauses Meinung die von Friedrich Wilhelm II. verordnete Suspension in das
Bild vom Förderer des Gesetzbuchs einzuordnen wäre. Krause sieht die
Entstehung des Entwurfs von 1784 als eine Kette teils offener, teils
versteckter Insubordinationen des von ihm als geltungssüchtig beschriebenen Carmer und seines inoffiziellen Gehilfen Svarez. Er belegt minutiös, wo Carmer
und Svarez vom Wortlaut königlicher Anordnungen
abweichend vorgingen. Insbesondere hätten Carmer und Svarez entgegen der Kabinettsorder vom 14. April 1780 und
dem Patent für die Gesetzkommission vom 28. Mai 1781 den Entwurf nicht durch
die nach dem Kollegialprinzip organisierte Gesetzkommission, sondern in
alleiniger Verantwortung und ohne die erforderliche Beteiligung der
Fachressorts ausgearbeitet. Aus diesem Grund habe der König sich geweigert, dem
Entwurf vor einer umfassenden Begutachtung durch die Gesetzkommission seine
Zustimmung zu erteilen. Durch die Zulassung eines privaten Appells des
Großkanzlers an die Öffentlichkeit habe der König seine eigene
Entscheidungsfreiheit schützen, die Angelegenheit auf die lange Bank schieben
und damit die wegen der vielen Regelverstöße Carmers
an sich notwendige Desavouierung des Großkanzlers durch sofortige Zurückweisung
des Entwurfs vermeiden wollen.
Krause stellt zu Recht fest, daß die
Veröffentlichung der Gesetzgebung als Entwurf den ursprünglichen Absichten Carmers widersprach und daß die
Entscheidung hierzu kurzfristig Anfang 1784 getroffen worden ist. Die umfassend
begründete Ansicht Krauses, bei dem publizierten Entwurf habe es sich
wegen der Kritik und der Skepsis des Königs um ein letztlich ohne Rückendeckung
des Königs durchgeführtes Privatvorhaben Carmers
gehandelt, vermag gleichwohl nicht zu überzeugen. Es ist kaum denkbar, daß der König den umfangreichen Gesetzgebungsarbeiten
seines Justizministers über Jahre zugesehen hätte, ohne diese aktiv zu
unterstützen. Ein Wort des Königs hätte jederzeit ausgereicht, um dem
Gesetzgebungsvorhaben sofort den Garaus zu machen. Die Ansicht Krauses,
Friedrich II. habe der „Durchbrechung des Verfahrens“ durch Carmer
„über Jahre hinweg zugesehen“ und teilweise hieran „aktiv mitgewirkt“ (p.
LXXIV), stellt die Realität auf den Kopf: Ein absoluter Herrscher „wirkt“ nicht
an der Verletzung von ihm gesetzter interner Verfahrensvorschriften „mit“. Im
Gegenteil ist der König den Anregungen seines Großkanzlers bezüglich des Verfahrens
der Gesetzgebung in der Regel bis ins Detail gefolgt. Bis zur Veröffentlichung
des ersten Teils des Entwurfs ist kein Punkt ersichtlich, an dem Friedrich II.
sich offen gegen die Gesetzgebung gewandt oder auch nur die Absicht seines
Justizministers, eine umfassende Gesetzgebung zu schaffen, in Frage gestellt
hätte. Hätte Friedrich II. 1785 größere Bedenken gegen die Gesetzgebung gehabt
als seine berühmte Randbemerkung zum Manuskript des zweiten Teils des Entwurfs,
Gesetze müßten „kurtz und
nicht weitläuftig“ sein, dann hätte er die Veröffentlichung
der weiteren Teile des Entwurfs durch seinen Großkanzler und Justizminister
verhindert, in welcher Eigenschaft Carmer hierbei
auch immer handelte. Und Carmer hätte ihm die
weiteren Teile des Entwurfs nicht vor ihrer Veröffentlichung zur Billigung
vorgelegt. Es ist offensichtlich, daß die
Zeitgenossen in einem vom preußischen Justizminister unter seinem Namen
veröffentlichen Entwurf eines Allgemeinen Gesetzbuchs keine private Meinungsäußerung
sahen, sondern ein quasi amtliche Ankündigung eines offiziellen
Gesetzgebungsvorhabens durch die zuständige Behörde. Diese Ankündigung konnte
nicht durch den König als Gesetzgeber erfolgen, da sonst die Zeitgenossen, ganz
wie im Fall des Cocceji’schen Projects,
den Entwurf bereits für die Gesetzgebung genommen hätten, was jegliche
fachliche Diskussion unmöglich gemacht und zur sofortigen Anwendung bereits der
unfertigen Gesetzgebung durch Gerichte und Behörden geführt hätte. Durch die
Veröffentlichung des Entwurfs unter Carmers Namen
änderte sich natürlich nichts daran, daß der König
jederzeit die Möglichkeit besaß, das Gesetzgebungsvorhaben abzubrechen. So ist
auch die von Krause (p. LXXIX) zitierte Stelle aus Kleins Darstellung
der Gesetzgebungsgeschichte von 1788 zu verstehen, nach der es sich bei der
Gesetzgebung bis zur Hinzuziehung der Stände um ein „Privatwerk“ gehandelt
habe.
Die von Krause herausgestellten Gegensätze
zwischen dem König und den Spitzen seiner Justizbürokratie tragen zum tieferen
Verständnis der Gesetzgebung nicht bei, weil Krause die bürokratischen
Realitäten des spätfriderizianischen Preußen und die Absichten und Vorstellungen
der handelnden Personen verkennt. Wie beispielsweise Eckhart Hellmuth in
seiner Studie zum Werthorizont der Bürokratie detailliert belegt hat, standen Carmer, Svarez und die übrigen
Mitarbeiter der Gesetzgebung (im wesentlichen auch Klein) fest auf dem Boden
der friderizianischen Wirklichkeit. Sie hielten den absolutistischen Staat für
die zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt beste Staatsform. Friedrich II. und
seinem Nachfolger waren sie treu ergeben. Wo die Redaktoren Änderungen des status quo beabsichtigten, handelte es sich um
gesetzgebungstechnische Details, wo sie nicht buchstabengenau das von ihnen
selbst vorgeschlagene und in Vorschriften gefaßte
Gesetzgebungsverfahren befolgten, um aus Gründen der Praktikabilität und
Beschleunigung ergriffene Maßnahmen, ohne die es nie zur Publikation auch nur
eines Entwurfs gekommen wäre. Insofern bestätigen die Beobachtungen Krauses
über die Durchbrechung von Verfahrensvorschriften nur die Binsenweisheit, daß in jeder Regierungsform umfangreiche
Gesetzgebungsvorhaben nur dann zustande kommen, wenn die beteiligten Mitglieder
von Justiz und Verwaltung die Grenzen des ihnen eigentlich zugewiesenen Amts
überschreiten. Es ist das Verdienst Krauses gezeigt zu haben, in welchem
Umfang auch die preußische Gesetzgebung auf dieses Über-Sich-Hinauswachsen
der Beteiligten angewiesen war.
Berlin Andreas
Schwennicke