SchröderrainerRecht20000529 Nr. 1170 ZRG 118 (2001)
Recht und Rechtswissenschaft im mitteldeutschen Raum.
Symposion für Rolf Lieberwirth anlässlich seines 75. Geburtstags, hg. v.
Lück, Heiner. Böhlau, Köln – Weimar - Wien: 1998. ? S.
Am 01. März 1996 fand zu Ehren des seinerzeit 75jährigen
halleschen Rechtshistorikers Rolf Lieberwirth ein Symposion statt, aus
dem ein auf die Schwerpunkte der Forschungstätigkeit des Jubilars bezogener
Band zustande gekommen ist. Es geht darin um Sachsenspiegel bzw.
spätmittelalterliches Recht sowie um die Epoche der Aufklärung. Finden sich in
Festschriften üblicherweise Sammelsurien, so bildet dieser Band eine
erfreuliche Ausnahme. Das gilt sowohl für die Abstimmung der Beiträge
aufeinander als auch für ihre Qualität.
Ruth Schmidt-Wiegand (S.
9 ‑ 28) beschreibt die Bilderhandschriften zum Sachsenspiegel und ihre
Bedeutung für dessen Wirkungsgeschichte. Sie wiederholt ihre These, dass das
Abhängigkeitsverhältnis zwischen Rechtsbücherhandschriften und
Epenhandschriften anders als von Amira vorausgesetzt sei: Die
Bilderhandschriften hätten die Epenhandschriften, z. B. den Willehalm,
beeinflusst. Es sind heute die Philologen, und nicht die Rechtshistoriker, die
die Rechtsbücherforschung an manchen Stellen voran treiben.
Eine Perle bildet der Beitrag von Friedrich Ebel „Die
Magdeburger Schöppen und die Politik“ (S. 29 ‑ 40). Der gediegene Kenner
und Editor des Magdeburger Rechts zeigt, wie sich die Schöppen in den
schwierigen Konflikten des Komturs und des ihm zugeordneten Gerichts gegenüber
dem Gericht der Stadt verhielten. Die Schöppen legten nicht etwa die Kulmer Handfeste
aus, sondern sie begründeten ihre Entscheidung damit, dass Thorn
magdeburgisches Recht habe. Auch bei der Befassung von innerstädtischen
Sozialkonflikten, u. a. zwischen unterschiedlichen Zünften (Lakenmacher und
Leineweber), aber auch bei der Schiedsgerichtsbarkeit zeigen die Schöppen neben
einer gewissen Konservativität Unparteilichkeit, die offenbar zu ihrer
wiederholten Anrufung führte.
Bernd Schildt
behandelt „Die Pfändung um Schaden und Schuld“ (S. 41 ‑ 59), wobei er ‑
auf der Basis seiner Habilitationsschrift ‑ ca. 100 Dorfordnungen
heranzieht und sechs Tatbestände für die Zulässigkeit der Pfandnahme (S. 46)
herausarbeitet. Aus dem heutigen Verständnis ist es fremd, dass die Befugnis
zur Pfändung von der reinen Privatpfändung bis zur Pfändung durch Hoheitsträger
reichte. Freilich gründeten die Tatbestände, für die sich ein Pfändungsrecht
belegen lasse, im wesentlichen auf Schadensersatzansprüchen oder dienten der
Sicherung bereits bestehender Schuldverpflichtungen.
Dietlinde Munzel‑Everling zeigt computergestützte Methoden bei der Edition von
Rechtsbüchern, was die editorische Tätigkeit auf eine neue Stufe heben könnte.
Ihre Beispiele sind nützlich und eindrucksvoll.
Meisterlich erscheint der Artikel von Diethelm Klippel
„Der liberale Interventionsstaat. Staatszweck und Staatstätigkeit in der
deutschen politischen Theorie des 18. und der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts“ (S. 77 ‑103). Hier verbindet Klippel die Theorie des
Staatszwecks einerseits und die Vorstellungen über den Umfang der
Staatstätigkeit andererseits. Klippel weist mit sehr plastischen und
klugen, quellengesättigten Ausführungen nach, wie sich der Interventionsstaat
im 18. Jahrhundert entwickelte. Der Staatszweck der Glückseeligkeit verlangte
vom Herrscher Eingriffe zum Vorteil der Untertanen, sie seien zu erziehende
Kinder. Der spätaufklärerische Interventionsstaat griff in alle Lebensbereiche,
sogar in die Privatsphäre und die Familie, umfangreich ein. Während man diese
Ausführungen noch als Teil des Reformabsolutismus verstehen kann, birgt das
Folgende Überraschungen. Schon mehrfach hat Klippel ausgeführt, wie
„moderne juristische Impulse daher kaum vom Allgemeinen Landrecht, sondern u.
a. vom Naturrecht und von der Rechtsphilosophie, vom französischen Recht und
von der Wissenschaft des römischen Rechts“ ausgingen (S. 92). Nun fügt er noch
ein Paradox hinzu: Während die liberale Staatszwecklehre vom Staat
Zurückhaltung verlangte, bestand in Wirklichkeit wohl ein liberaler
Interventionsstaat. Dieser griff ‑ trotz der liberalen Theorie ‑ in
relativer Unbefangenheit in die Wirtschaft, die Kultur etc. ein. Was man
eigentlich als unzulässigen Eingriff in die Freiheit hätte ansehen müssen. Das
legitimierte die neue ‑ von der heutigen Rechtsgeschichte kaum beachtete ‑
Staatszwecklehre. Der liberale Nachwächterstaat habe vor allem in der
politischen Polemik und in der antiliberalen Geschichtsschreibung existiert.
Tatsächlich habe es sich um einen liberalen Interventionsstaat gehandelt. Das
ist neu und überraschend.
Gerhard Lingelbach
beschreibt „Rechtswissenschaft und Aufklärung in der Geschichte der Alma Mater
Jenensis“ (S. 105 ‑ 123). Die Gelehrten, welche in Jena tätig waren wie
Christian Wolff und Georg Adam Struve, begründeten in der Aufklärungszeit den
Ruf Jenas. Gottlieb Hufeland, P. J. A. Feuerbach und A. F. J. Thibaut traten
dem am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts an die Seite. Jena war
ein bedeutendes Zentrum der Rechtswissenschaft, der Verschmelzung
philosophischen und juristischen Denkens. Mit dem Weggang der letztgenannten
Autoren wurde diese Entwicklung freilich abgebrochen.
Hinrich Rüping
schreibt über „Christian Thomasius und seine Schule im Geistesleben des 18.
Jahrhunderts“ (S. 129 ‑ 136), Werner Schneiders über
„Wohlanständigkeit. Das decorum bei Thomasius“ (S. 137 ‑ 145) und Stephan
Buchholz liefert eine knappe Betrachtung der „Begegnung mit Christian
Thomasius“ (S. 147 ‑ 155). Besonders die beiden erstgenannten Autoren
sind als bestens ausgewiesene Kenner von Thomasius seit langem bekannt. Rüping
beschreibt die unmittelbaren und mittelbaren Schüler von Thomasius. Er geht
auf den Zusammenhang zwischen dem preußischen Naturrecht und Thomasius ein und
hebt die Bedeutung von Halle hervor. Der bürokratische Werthorizont in Preußen
habe eine speziell justizstaatliche Komponente gekannt, die jedoch noch nicht
rechtsstaatlich im Sinne der späteren konstitutionellen Bewegung gewesen sei
(S. 135). Thomasius und seiner Schule komme ein eigenständiger Platz in der
deutschen Frühaufklärung zu.
Schneiders
erläutert ‑ wie stets sprachlich brillant ‑ die Lehre des decorum,
die Anstandslehre, bei Thomasius. Ihr Gegenstand wird ebenso hervorgehoben wie
ihre diversen Arten. Schneiders macht deutlich, wie schwierig es
(heute) ist, diese Lehre zu begreifen, denn das decorum verschwand im Laufe des
18. Jahrhunderts aus der philosophischen und juristischen Diskussion. „Die
Normen zerfielen mehr und mehr in solche des Rechts und solche der Moral, in äußerliche
und innerliche, erzwingbare und unerzwingbare. Alles, was nicht dem Recht
unterworfen werden konnte, wurde der Moral zugeschlagen. Die gute alte Sitte,
die einmal alles regelte, dann durch philosophische Prinzipienethik einerseits
und Rechtslehre andererseits auf eine Restsitte reduziert worden war, fiel auch
in diese Reduktionsform...“ Vieles ‚verkam’ zu moralischer Trivialliteratur,
mit dem sich das aufsteigende Bürgertum in die höhere Geselligkeitskultur
einweisen ließ ‑ ganz am Adel orientiert.“
Stephan Buchholz schließlich
schildert Fragen des Konkubinats und weist auf Widersprüche sowie historische
Herkunft z. B. der Ausführungen des Thomasius hin.
Den Abschluss bildet ein instruktiver zeithistorischer
Artikel von Heiner Lück „Zwischen Refugium und Systemrechtfertigung:
Rechtsgeschichte in der DDR“ (S. 165 ‑ 176). Wer sich in der juristischen
Zeitgeschichte - konkret in der
Geschichte der Rechtsgeschichte in der DDR - nur ein wenig auskennt, wird
diesen Text mit großem Gewinn lesen. Hier wird nicht nur die Veränderung der
Studienpläne dargestellt, sondern auch die Kämpfe zwischen „Berlin“ und den
restlichen Rechtshistorikern. Diese Divergenz zwischen Halle und Jena
einerseits sowie Berlin und Leipzig andererseits, erschwert noch durch die
Anmaßung der ideologischen Hochburgen in Berlin und Babelsberg, habe die
besondere Schwierigkeit der DDRRechtsgeschichte ausgemacht. Es handelt sich um
einen spannenden Text, auf den man sich eine Replik anderer Betroffener nur
wünschen kann.
Insgesamt ein erfreulich informativer Band.
Berlin Rainer
Schröder