SchröderVorlesungsverzeichnisse20000908 Nr. 10108 ZRG
118 (2001)
Vorlesungsverzeichnisse
der Universität Königsberg (1720-1804). Mit einer Einleitung und Registern, hg.
v. Oberhausen, Michael/Pozzo, Ricardo (=
Forschungen und Materialien zur Universitätsgeschichte, Abteilung 1 Quellen zur
Universitätsgeschichte 1). Frommann-Holzboog,
Stuttgart 1999. 2 Teilbände LXVII, 778 S., mehrere Abb.
Der vielfältige Nutzen, den alte Vorlesungsverzeichnisse
für die universitätsgeschichtliche und wissenschaftsgeschichtliche Forschung
haben, ist seit langem bekannt[1]. Nach wie vor
sind aber nur ganz wenige von ihnen in modernen Drucken zugänglich[2].
Originalverzeichnisse kann man vor allem aus der Zeit vor etwa 1750 nur schwer
bekommen und Abdrucke in gelehrten Zeitschriften gibt es in größerem Umfang
erst seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts. Deshalb wird wohl jeder
Wissenschaftshistoriker grundsätzlich für die vorliegende Edition dankbar sein.
Sie umfaßt die Königsberger Vorlesungsverzeichnisse
vollständig vom Sommersemester 1720 bis zum Wintersemester 1803/1804 im
Faksimiledruck. Eines existiert wegen verzögerter Bestellung des Rektors (S.
XXI) sogar in zwei Fassungen, deren erste im Anhang (S. 729-733) abgedruckt
ist. Grundlage der ganzen Edition sind zwei Sammelbände von Königsberger
Lektionskatalogen, die heute im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz
in Berlin-Dahlem aufbewahrt werden (S. XLIV/V). In der Sache enthalten die
(lateinischen) Verzeichnisse zunächst (S. XLII) nur die Vorlesungen der Ordinarien
und Extraordinarien und erst seit 1770 auch die der Privatdozenten. Von 1770 an
sind sie übersichtlicher nach den einzelnen Fakultäten, seit 1790 außerdem nach
privaten und öffentlichen Vorlesungen geordnet und stellen den einzelnen
Vorlesungsankündigungen ein Grußwort der namentlich genannten jeweiligen
akademischen Würdenträger (Rektor, Kanzler, Dekane) voran. Die Titelblätter
wechseln mit den preußischen Königen und den Verlegern, von den verschiedenen
Varianten ist jeweils ein Beispiel abgebildet (S. LV bis LXV).
Die Edition, die im Anhang noch ein Register der Bibelstellen, der Lehrpersonen mit Lebensdaten und der in den Vorlesungsankündigungen genannten Personen, Autoren, Werke und Lehrbücher (sehr nützlich!) enthält, ließe kaum einen Wunsch offen, wenn nicht das Problem der Quellenauswahl selbst wäre. Warum gerade die Lektionskataloge von 1720 bis 1804, obwohl offensichtlich auch noch ältere existieren? Die Antwort ist, daß von 1724 bis 1804 Immanuel Kant gelebt hat und die Herausgeber vor allem der Kant-Forschung dienen möchten (vgl. S. XIV, XLIV). Vornehmlich auf sie ist auch die, an sich sachkundige und kenntnisreiche, Einleitung der Herausgeber ausgerichtet. Aber der Zeitrahmen dürfte schon aus der Sicht der Kantforschung fragwürdig sein. Statt der Vorlesungsankündigungen aus Kants Kinderjahren hätte man wohl besser die der nachkantischen Jahre (oder Jahrzehnte) abgedruckt, um das Fortwirken oder Nichtfortwirken des Meisters genauer feststellen zu können. Für die Wissenschaftsgeschichte der „oberen“ Fakultäten und der nichtphilosophischen Fächer ist die Entscheidung der Herausgeber geradezu ein Unglück. Denn nicht nur sind die Verzeichnisse vor 1720 jetzt noch immer unzugänglich oder schwer zugänglich, sondern sie werden es nun wohl auch bleiben, denn welcher Verlag wird noch einmal an das Korpus herangehen, nur um die ganz alten Kataloge abzudrucken? Daß so die Gelegenheit einer vollständigen Edition der Königsberger Verzeichnisse (oder wenigstens aller älteren) wohl endgültig vertan worden ist, kann man nur bedauern.
Für die Rechtswissenschaft ist das Königsberger 18.
Jahrhundert eher unter quantifizierenden Aspekten als wegen großer Namen
interessant. Die Königsberger juristische Fakultät hatte in dem fraglichen
Zeitraum keinen wirklich bedeutenden Juristen, geschweige denn einen Kant; ihr
einziges etwas namhafteres Mitglied war der vielseitige Theodor Schmalz, der
später nach Halle und dann nach Berlin ging[3]. Es gab vier
Ordinarienstellen, die schlecht, aber im Vergleich mit den anderen preußischen
Juristenfakultäten angemessen besoldet waren[4], und eine
stark wechselnde Zahl von Extraordinarien und Privatdozenten. Aber trotz dieser
wenig glanzvollen Bedingungen scheinen die Königsberger Juristen die Wandlungen
des juristischen Denkens in der Aufklärung mitvollzogen zu haben. Das läßt wenigstens die Durchsicht des Werke-Registers
vermuten, in dem die Vorlesungskompendien der Halleschen Aufklärungsjuristen
wie Justus Henning Böhmer, Heineccius
(Institutionen), Ludovici (Pandekten) stark vertreten
sind, später dann auch modernere Autoren wie Hofacker (römisches Privatrecht),
Höpfner (Naturrecht), die Göttinger Achenwall
(Naturrecht), C. F. G. Meister (Strafrecht) und Pütter
(deutsches Privatrecht und Reichsgeschichte). Inwiefern die Struktur und die äußere
und innere Entwicklung des Königsberger Lehrprogramms im Rahmen der
Zeitüblichen liegt, kann aber nur eine genauere Analyse der Vorlesungskataloge
klären. Jedenfalls stellt die Edition, wenn auch ihre Beschränkung auf die
Epoche Kants schwer verständlich ist, auch für die Geschichte der
Rechtswissenschaft ein wertvolles Hilfsmittel dar.
Tübingen Jan
Schröder
[1] Vgl. aus
rechtshistorischer Sicht Jan Schröder: Vorlesungsverzeichnisse als
rechtsgeschichtlicher Quelle, in: Michael Stolleis
u. a. (Hrsg.): Die Bedeutung der Wörter. Festschrift für Sten Gagnér zum 70. Geburtstag, München 1991, S. 383-401.
[2] Für die
Rechtsgeschichte ist verdienstvoll die Edition von Gerhard Köbler:
Gießener juristische Vorlesungen, Gießen-Lahn
1982.
[3] Über ihn jetzt
Hans-Christof Kraus: Theodor Anton Heinrich Schmalz (1760-1831). Jurisprudenz,
Universitätspolitik und Publizistik im Spannungsfeld von Revolution und
Restauration, Frankfurt am Main 1999. Zu Schmalz’ Königsberger Zeit dort S.
43-65.
[4] Vgl. die Tabellen
bei Jan Schröder: Zur Entwicklung der juristischen Fakultäten im
nachfriderizianischen Preußen, in: Hans Hattenhauer/Götz
Landwehr (Hrsg.): Das nachfriderizianische Preußen 1786-1806, Heidelberg
1988, S. 259-303 (300-303).