RüthersSchramm20000824
Nr. 10155 ZRG 118 (2001)
Schramm,
Nils-Eberhard, Die
Vereinigung demokratischer Juristen (1949-1999) (= Rechtshistorische Reihe
222). Lang, Frankfurt am Main – Berlin – Bern – Brüssel – New York – Oxford –
Wien 2000. 405 S.
Etablierte politische Systeme
schaffen sich die zu ihnen passenden, sytemadaequaten Verbandsstrukturen. Wenn
ein Staat von allen seinen Bürgern das Bekenntnis zu einer bestimmten
Weltanschauung verlangt (Nationalsozialismus, Marxismus-Leninismus), versucht
er regelmäßig, die angestrebte politisch-ideologische Erziehung
(„Gleichschaltung“) durch Massenorganisationen voranzutreiben. Sie erfassen
entweder bestimmte Altersstufen (Jungvolk, Hitlerjugend, Junge Pioniere, Freie
Deutsche Jugend) oder Berufsgruppen (NS-Rechtswahrerbund, Vereinigung
Demokratischer Juristen Deutschlands). Nils-Eberhard Schramm hat die
Geschichte der Juristenvereinigung der DDR („Vereinigung demokratischer
Juristen Deutschlands“, VDJD) zwischen 1948 und 1999 zum Thema seiner von Hans
Hattenhauer betreuten Kieler Dissertation gemacht.
Der Autor gliedert seine
Darstellung chronologisch in elf Zeitabschnitte: Gründung und Aufbau
(1948-1951); das „sterile Dasein“ (1951-1953); „Heran an die Massen“
(1953-1957); verstärkte Anbindung an die SED (1957-1962); im Zeichen des VI.
Parteitages (1962-1966); ein „fester Platz“ im System (1966-1970); im
„entwickelten gesellschaftlichen System“ (1970-1974); Wettbewerbe und
Initiativbewegungen (1974-1984); die Vereinigung deutscher Juristen während des
Niedergangs der DDR (1985-1989); die Vereinigung deutscher Juristen zur Zeit
der Wende (1989/90); die Vereinigung deutscher Juristen im geeinten Deutschland
(1990-1999). Seine „Zusammenfassung“ erfordert nur 1 1/3 Druckseiten. Der
Textteil umfasst 188, der Anhang (Satzungsdokumente, Personenregister und
Bibliographie sowie Quellen- und Literaturverzeichnis) dagegen 216 Seiten.
Der Autor will die Tätigkeit
der Vereinigung demokratischer Juristen der DDR als einer staatlich gelenkten
Massenorganisation von ihrer Gründung 1949 bis über die Wende hinaus in das
Jahr 1999 untersuchen. Er hat das vorhandene Quellenmaterial der verschiedenen
Archive sorgfältig gesichtet und ausgewertet. So gelingt ihm ein akribisch
genauer Überblick über die verschiedenen Epochen der Entwicklung dieser
Organisation. Sein Bericht spiegelt zugleich die jeweilige Situation des
Justizwesens der DDR, die politischen Propagandaziele der SED und die versuchte
Einflussnahme der Partei auf die politisch-ideologische Erziehung der
Angehörigen juristischer Berufe. Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit
über die gesamte Lebenszeit der Vereinigung demokratischer Juristen wird dem
Leser deutlich vor Augen gestellt. Zu keinem Zeitpunkt wurde die 1953
verkündeten Parolen „Heran an die Massen“ und die Vereinigung demokratischer
Juristen Deutschlands als „Mittelpunkt des juristischen Lebens“ je auch nur
annähernd erreicht, weder in den Juristenberufen noch gar in der
realsozialistischen Gesellschaft. In dieser Hinsicht dürfte die Darstellung
exemplarisch sein für die Wirksamkeit anderer Massenorganisationen im
„antifaschistisch-demokratischen“ SED-Staat. Ihr Effekt beruhte, wie der
führende DDR-Anwalt Dr. Friedrich Wolff in der Rückschau 1999 (S. 184)
feststellte, auf den Systemzwängen des SED-Staates: Die Mitgliedschaft sei für
die Mehrzahl keine „Herzenssache“, sondern „Pflichterfüllung“ gewesen.
Zu beachten ist bei der
Vereinigung demokratischer Juristen, dass es sich um eine typische
„Massenorganisation“, nicht um eine Elite-Vereinigung handelte. Sie sollte den
Zielen, welche die SED-Führung in der Rechtspolitik und mit den juristischen
Berufen verfolgte, den ideologischen Rückhalt bei den breiten Schichten der
juristischen Kader geben. Das ist, wie der Autor über die Jahrzehnte hin und
durch fünf Statutenfassungen hindurch dokumentiert, nur sehr spärlich gelungen.
Auffällig ist auch die
Zusammensetzung der aktiven Führungszirkel. Die Namen bekannter juristischer
Wissenschaftler der DDR sind, von Ausnahmen abgesehen, eher sparsam vertreten.
Es überwiegen eher die juristischen Parteisoldaten. Nur in der Gründungs- und
Analaufphase der Vereinigung demokratischer Juristen tauchen Namen wie Baumgarten,
Steiniger und ähnliche Prominenz auf. Auch die eigentlich
ideologisch-politischen Weichenstellungen und Krisenlagen der
DDR-Rechtspolitik, etwa die Babelsberger Konferenz, werden in den Aktivitäten
und Publikationen der Vereinigung demokratischer Juristen nur mittelbar
deutlich.
Eher am Rande behandelt der
Autor die Strukturen der Zusammenarbeit der Vereinigung demokratischer Juristen
mit potentiellen Gesinnungsgenossen in der Bundesrepublik (vgl. S. 29, 57, 60,
74, 92, 115, 147, 153, 171, 174, 176ff.). Dort hatte sich 1951 eine
„Arbeitsgemeinschaft demokratischer Juristen“ (ADJ) unter der Leitung des
Düsseldorfer Anwalts Fränkel gebildet, der gleichzeitig im Vorstand der
DDR-Vereinigung war, die sich damals noch „Vereinigung demokratischer Juristen
Deutschlands“ (VDJD) nannte. Die Namensähnlichkeit und die Verwendung des
Adjektivs „demokratisch“ waren kein Zufall. Das entsprach der Tarnstrategie der
SED, ihre Sympathisanten im Westen nicht als Kommunisten, sondern als
„Demokraten“ zu etikettieren. Als die Arbeitsgemeinschaft demokratischer
Juristen in der Bundesrepublik verboten worden war (als Verbotstermin nennt der
Autor auf S. 75 den 4. 2. 1958, auf S. 115 das Jahr 1956), wurde 1972 unter dem
Vorsitz des Bremer Rechtsprofessors Gerhard Stuby eine neue
(Nachfolge-?)Organisation mit dem wohl nicht zufällig fast gleichen Namen
„Vereinigung demokratischer Juristen“ (VDJ) gegründet. VdJ (Ost) und VDJ (West)
waren gemeinsam Mitglied der kommunistisch gelenkten „Internationalen
Vereinigung Demokratischer Juristen“ (IVDJ), die sich 1946 in Paris
konstituiert hatte. Sinniger Weise gab die VDJ (West) ab 1973 eine Zeitschrift
„Demokratie und Recht“ heraus. Eine Zeitschrift gleichen Titels gab es,
herausgegeben von der VdJ (Ost), in der DDR, bis deren Aufgaben auf die „Neue
Justiz“ übertragen wurden. In der Internationalen Vereinigung Demokratischer
Juristen wirkten beide Vereinigungen so gut wie möglich im ideologischen
Gleichschritt zusammen, etwa auf internationalen Tagungen. Wechselseitige
Besuche (1977/78) machte politisch-ideologische Differenzen deutlich. Die
Propagandisten der DDR-Ideologie Friedrich Wolff und Hermann Klenner
referierten über den „Kampf gegen Berufsverbote“ und über „Menschenrechte –
Klassenrechte“. 1989 im Mai kamen auch Kontakte mit der „Arbeitsgemeinschaft
Sozialdemokratischer Juristen“ unter ihrem Vorsitzenden Isola in
Ostberlin zustande.
Insgesamt bleiben die
Ergebnisse und Kommentare des Autors zum Zusammenwirken von ADJ/VDJ (West) und
VdJ (Ost) bemerkenswert allgemein und ungenau. Während der Leser über die
Aktivitäten, Ziele, Publikationen, Autoren und Führungspersonen der VdJ
umfangreich unterrichtet wird, bleiben die parallelen und analogen Aktivitäten
sowie die personellen Strukturen der VDJ (West) nahezu unerwähnt. Welche Rolle
etwa haben andere namhafte westliche Juristen in der VDJ gespielt? Waren die
Aktionen beider Vereinigungen gegen den Nato-Doppelbeschluss aufeinander
abgestimmt? Wer bestritt die entsprechenden Propagandaaktivitäten an den
westdeutschen Universitäten und bei Antiatom- oder Ostermarschorganisationen?
Wurde die westdeutsche Zeitschrift „Demokratie und Recht“ aus der DDR nur mit
Informationen oder auch finanziell unterstützt? Hier bleiben nach der Arbeit
von Schramm, die einen interessanten Beitrag zur Geschichte der
deutschen Spaltung liefert, viele Fragen offen.
Konstanz Bernd
Rüthers