RüfnerOlechowski20000914 Nr. 1169 ZRG 118 (2001)
Olechowski, Thomas, Die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Österreich (= Österreichische Rechtswissenschaftliche Studien 52). Manz, Wien 1999. XXXVI, 274 S.
Die mit dem Alfons Tropper-Preis 1998 ausgezeichnete und für
den Druck überarbeitete Wiener Dissertation beschreibt die Entwicklung der
österreichischen Verwaltungsgerichtsbarkeit von den Anfängen bis zur Gegenwart.
Im Mittelpunkt steht die Gesetzgebung zur Errichtung des österreichischen Verwaltungsgerichtshofs
(Verwaltungsgerichtshof) unter der am 25. 11. 1871 ernannten Regierung von Adolf
Fürst Auersperg. Maßgebend für diese Gesetzgebung waren vor allem Joseph
Unger und Karl Lemayer. Unger, von Beruf Professor des
Privatrechts und Mitglied das Reichsgerichts, gehörte der. Kabinett Auersperg
als Minister ohne Portefeuille an. Lemayer, obwohl Beamter im.
Unterrichtsministerium, war mit der Ausarbeitung der Entwürfe beauftragt.
Olechowski
befast sich im ersten Teil seines Buches (S. 7‑77) in fünf Kapiteln mit
den Voraussetzungen und Vorstufen der modernen Verwaltungsgerichtsbarkeit. Er
schildert u. a. den alten Justizstaat, dessen formellen Höhepunkt er für
Österreich im Jahre 1782 sieht, und die gegenläufige Tendenz der späteren Zeit.
Ob seine überall durchschimmernde Abneigung gegen diesen älteren Justizstaat
ganz berechtigt ist, mag dahinstehen. Bei rein formaler Betrachtung ist das
Prinzip eines einheitlichen Rechtsschutzes durch die ordentlichen Gerichte
schließlich unterlegen. Viele Ideen aus dem älteren Justizstaat bestimmen aber
heute die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland wie in Österreich.
Die Notwendigkeit, eine Verwaltungsgerichtsbarkeit
einzurichten, ergab sich in Österreich aus Art. 15 des Staatsgrundgesetzes von
1867 und auch daraus, daß das 1869 eingerichtete Reichsgerichte, das nach Art.
3 lit b StGG-ERG (Staatsgrundgesetz über die Errichtung eines Reichsgerichtes)
„über Beschwerden der Staatsbürger wegen Verletzung der ihnen durch die
Verfassung gewährleisteten Rechte“ zu entscheiden hatte, begann, eigentlich
verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten an sich zu ziehen.
Im zweiten Teil („Die Aktivierung der
Verwaltungsgerichtsbarkeit“, S. 81‑210) beschreibt der Autor die
Geschichte der Gesetzgebung über den Verwaltungsgerichtshof. Er stellt nicht
einfach chronologisch den Gang der Ereignisse dar, sondern gibt zunächst im
sechsten Kapitel eine chronologische Übersicht („Die Entstehungsgeschichte im
Überblick“, S. 81‑99), dann werden im siebten Kapitel die „Männer um das
Verwaltungsgerichtshofgesetz“ vorgestellt (S. 101‑‑120). In den
Kapiteln 8-10 folgen unter den Überschriften „Organisationsfragen“,
„Kompetenzfragen“ und „Verfahrensfragen“ die Sachprobleme der Gesetzgebung
ausführlich. Dieser Aufbau führt zu gewissen Wiederholungen, läßt aber eine
ausführliche Darstellung sowohl des Ablaufs der Gesetzgebung wie der
Sachprobleme zu.
Schon der erste Entwurf Lemayers enthielt die
Generalklausel, aber vorerst noch ohne Steuer‑ und Gebührensachen. Er sah
nur eine Instanz, den Verwaltungsgerichtshof, und nur kassatorische
Entscheidungen vor (S. 84). Das Herrenhaus beschloß u. a., Steuer‑ und
Gebührensachen einzubeziehen. Wegen Auflösung des Abgeordneten‑ und
Herrenhauses kam es jedoch nicht zu einer weiteren Beratung (S. 87f.). Die
zweite Regierungsvorlage folgte allen Änderungswünschen des Herrenhauses aus
der früheren Beratung, nur bezüglich der Gebühren‑ und Steuersachen blieb
die Regierung vorerst bei ihrer bisherigen Haltung. Unger versprach aber
einen sofortigen Vorschlag bezüglich dieser Materie. Da dieser nicht zustande
kam, erklärte er, gegen die Einbeziehung der Steuer‑ und Gebührensachen
keinen Widerstand mehr leisten zu wollen (S. 89f.). Der Entwurf wurde im
Herrenhaus gebilligt (S. 90f.). Der Ausschuß des Abgeordnetenhauses beschloß
die Aufteilung in zwei Gesetze. Die Kompetenzkonflikte sollten in einem
eigenen Gesetz geregelt werden (S. 91f.). In dieser Form wurde das Gesetz vom
Abgeordnetenhaus (S. 92 ‑ 94) und vom Herrenhaus (S. 94) akzeptiert. Die
Verkündung der Gesetze wurde jedoch um mehr als ein Jahr verzögert (S. 94‑96),
so daß der Verwaltungsgerichtshof erst am 2. 7. 1875 seine Tätigkeit aufnehmen
konnte.
Unter der Überschrift Organisationsfragen (8. Kapitel)
behandelt der Verfasser u. a. die Einstufigkeit des Verwaltungsrechtsschutzes,
die Mitglieder des Gerichts, deren Auswahl und Stellung sowie das Verhältnis
des Verwaltungsgerichtshofs zu den anderen Höchstgerichten, insbesondere zum
Reichsgericht und zum Gefällsgericht, einem obersten Gericht für Steuerdelikte.
Die einstufige Verwaltungsgerichtsbarkeit wurde mit nach Ansicht des
Verfassers. nicht überzeugenden verfassungsrechtlichen Argumenten begründet,
wobei ein späterer Ausbau mit Unterinstanzen ins Auge gefaßt wurde.
Zur Kompetenz (9. Kapitel, S. 141‑195) war neben der
Generalklausel zum Schutz subjektiver Rechte von Anfang an im Konzept Lemayers
auch die Beschränkung auf die Rechtskontrolle unter Ausschluß der
Tatsachenkognition und der Ermessenskontrolle vorgesehen. Die Probleme der
Rechts‑ und Ermessenskontrolle wurden eingehend diskutiert, die
Textfassung wurde im Laufe der Beratungen noch präzisiert. Dem
Verwaltungsgerichtshof wurde die rechtliche Überprüfung der
Tatsachenfeststellung durch die Behörde zugestanden. Zwischen Ermessen und
unbestimmten Gesetzesbegriffen wurde nicht klar unterschieden, vielmehr wurde ‑
wie damals üblich ‑ die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe weithin.
als Ermessensausübung verstanden. Die Ermessensüberschreitung wurde indes klar
der Beurteilung durch den Verwaltungsgerichtshof unterstellt.
Am Kassationsprinip wurde trotz vieler Einwendung
festgehalten. Der Verwaltungsgerichtshof erhielt weder eine Zuständigkeit in
Amtshaftungssachen (S. 157‑‑160) noch wurde ihm eine
reformatorische Kompetenz zugestanden (S. 160‑166). Vielmehr hatte der
Verwaltungsgerichtshof nur das Recht, Entscheidungen und Verfügungen ‑
nach Erschöpfung des Verwaltungsweges (S. 167) - aufzuheben. Die
Verwaltungsbehörde war bei ihrer neuen Entscheidung an die Rechtsanschauung des
Verwaltungsgerichtshofs gebunden. Eine inzidente Kontrolle von Verordnungen
(nicht von Gesetzen) stand dem Verwaltungsgerichtshof zu (S. 168). Der
Verwaltungsgerichtsbarkeit war auch die autonome Verwaltung, d. h. Landes-,
Bezirks- und Gemeindeverwaltung unterworfen. Diese Regelung wurde insbesondere
von dem tschechischen Abgeordneten Prazak in Frage gestellt (S. 171f.), jedoch
setzte sich der eher zentralistische, :die verwaltungsgerichtliche Kontrolle
der Selbstverwaltung einschließende Standpunkt durch. Eine Untätigkeitsklage
war zunächst nicht vorgesehen, sie wurde erst 1934 eingeführt (S. 172).
Besondere Schwierigkeiten entstanden daraus, daß das Gesetz
nur für die österreichische Reichshälfte erlassen werden konnte. Gewisse
Angelegenheiten, insbesondere im Wehrwesen, mußten daher von der Kompetenz des
Verwaltungsgerichtshofs eximiert werden (S. 175‑180). Ausgenommen wurden
auch verschiedene andere Materien wie die Entscheidungen der
Steuerschätzungskommissionen (S. 184), das noch weithin ohne gesetzliche
Grundlage gehandhabte Polizeistrafrecht (S. 185f.), die Ernennung zu
öffentlichen Ämtern und Diensten, soweit sich der Beschwerdeführer nicht auf
ein Vorschlags- oder Benennungsrecht stützen konnte (S. 186),
Disziplinarangelegenheiten (S. 187) und Entscheidungen von gerichtsähnlichen Kollegialbehörden
(S. 187f.).
Der verhältnismäßig kurze dritte Teil (S. 213‑257)
rundet die Arbeit ab. Im elften Kapitel gibt der Verf. eine systematische
Darstellung der Verwaltungsgerichtsbarkeit nach dem Stand vom 31. 10. 1882, die
das Reichsgericht, den Verwaltungsgerichtshof und die Entscheidung vom
Kompetenzkonflikten umgreift (S. 213‑226). In den beiden letzten Kapiteln
12 und 13 schildert er die Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in der
Monarchie und nach 1918, letztere mit einem Überblick über die Verhältnisse in
der Tschechoslowakei und Polen.
In dieser Besprechung können nicht alle Passagen des Buches
hinreichend gewürdigt werden. Hingewiesen sei vor allem noch darauf, daß der
Verfasser sich stets bemüht, die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit im
Zusammenhang mit der politischen Geschichte und der Verfassung sowie im
Vergleich mit anderen Ländern zu sehen. Dem Leser wird das gesamte Umfeld
geschildert, in dem die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit entstand und
sich fortentwickelte. Für jeden, der sich mit den Grundlagen der
Verwaltungsgerichtsbarkeit befaßt, ist die Arbeit Olechowskis
unentbehrlich.
Köln/Bonn Wolfgang
Rüfner