RanieriSomma20000821 Nr. 10144 ZRG
118 (2001)
Somma, Alessandro, Autonomia
privata e struttura del consenso contrattuale. Aspetti storico-comparativi di
una vicenda concettuale (= Problemi di diritto comparato 4). Giuffrè, Mailand 2000. 466 S.
Der Verfasser
der hier anzuzeigenden Monographie ist kein Rechtshistoriker, sondern Dozent
für Privatrechtsvergleichung an der Universität Genua. Die Untersuchung, die
während eines mehrjährigen Forschungsaufenthalts an der Universität Heidelberg
sowie am Frankfurter Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte
entstanden ist, ist in ihren wesentlichen Teilen historisch angelegt, so daß
sie auch für die Leser dieser Zeitschrift von Interesse sein dürfte. Das
Grundanliegen des Verfassers ist nicht rechtstechnisch, sondern primär als
kulturhistorisch zu bezeichnen. Seine
Grundthese lautet: „Lo studio dottrinale del diritto dei contratti trascura la
matrice culturale del dato giuridico e promuove la ricostruzione di categorie
generali delle quali sottolinea la portata meramente tecnico-avalutativa“ (so
S. 437). Eine vergleichende Perspektive in der Erforschung dieser
Probleme verdeutliche die historische Bedingtheit der begrifflichen Kategorie
des Vertrages. Sie sei „il prodotto dei contesti
storici in cui si realizza il primato della volontà“ (ebenda). Die
kulturhistorische Analyse des Problems beginnt mit der Erbschaft des römischen
Rechts in den mittelalterlichen Rechtsschulen und endet bei den heutigen
Problemen der Verbraucherverträge in der gemeinschaftsrechtlichen Gesetzgebung
sowie bei den derzeitigen Diskussionen um eine Vereinheitlichung des
europäischen Vertragsrechts. Die kulturhistorische Analyse wird vom Verfasser
in drei zentrale typologische Entwicklungsmodelle gegliedert. So begegnen wir
(S. 1-11) zunächst einem „modello giusrazionalista, detto traslativo“, in dem
der Vertragswille als Übertragung des Rechts verstanden wird, die Erfüllung
eines Versprechens zu verlangen. Nach dem sog. „modello pandettista“ wird der
Vertrag als Zusammenführung der gemeinsamen Willensrichtung der Parteien
begriffen. Das heutige „modello attuale“ sieht dagegen den Vertrag als
Austausch von Versprechungen, die ein schutzwürdiges Vertrauen begründen. Aus
den genannten entwicklungstypologischen Modellen erklären sich auch die
unterschiedlichen Perspektiven, unter denen historisch die Kategorie des
Vertrages jeweils nach Ansicht des Verfassers eingeordnet wurde. In diesem
Zusammenhang werden in einer historischen Reihenfolge die Funktion des
Vertrages als „mezzo di illimitata autonomia“, das Modell des Vertrages als
„contratto accordo“ sowie als „contratto scambio“ erwähnt. Heute herrsche das
Modell des „contratto affidamento“ vor, in dem die jeweiligen synallagmatischen
Vor- und Nachteile als Grundlage der vertraglichen Verpflichtung der Parteien
durch den Schutz des Vertrauens des Gläubigers ersetzt werden (vgl. die
Zusammenfassung der Grundthese des Verfassers auf S. 438).
Das oben
skizzierte Programm wird vom Verfasser in fünf großen Abschnitten des Buches
durchgeführt. In einer Einleitung „Il sistema dei contratti e la struttura del
consenso contrattuale“ (S. 1-65) werden zunächst die Grundthesen zur Funktion
von Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung zum Verständnis der Kategorie des
Vertrages verdeutlicht. Als erstes (S. 13ff.) wird kurz die historische
Entwicklung des Vertragsbegriffs skizziert. Hier wird das System der
Vertragstypen in den römischen Quellen erwähnt sowie dessen Überwindung im
mittel- und spätmittelalterlichen Recht (S. 14-22). Es wird auch der Beitrag des
juristischen Humanismus und des „Usus modernus pandectarum“ bei der Definition
einer allgemeinen Vertragslehre bis zum Naturrecht des 17. und 18. Jahrhunderts
beschrieben. Dem schließen sich lange Ausführungen zu den heutigen Problemen
des Vertragsrechts an. Hier werden auch die derzeitigen Diskussionen zu einer
Vereinheitlichung des Vertragsrechts im europäischen Raum ausführlich erörtert
(S. 61ff.). Ein erstes Kapitel (S. 67-174)
ist dem Thema „Il contratto come trasferimento di una promessa perfetta“ gewidmet.
Im Zentrum stehen hier die Lehren des europäischen Naturrechts vom 16.
bis zum 18. Jahrhundert Besprochen und analysiert werden die Lehren von Luis de
Molina, Johannes Althusius, Hugo Grotius, Samuel Pufendorf sowie Robert-Joseph
Pothier (S. 67-88). Das naturrechtliche Vertragsmodell, in dessen Zentrum die
Grundidee der Verschaffung eines Rechtsanspruchs auf Erfüllung eines
Versprechens steht, liegt nach Ansicht des Verfassers den historischen
Zivilrechtskodifikationen am Ende des 18. und zu Anfang des 19. Jahrhunderts
zugrunde. In diesem Zusammenhang wird etwa das Vertragsrecht des preußischen
Allgemeinen Landrechts, des französischen Code civil und des österreichischen
Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs analysiert (S. 91-124). Analysiert werden
auch die Gesetzbücher, die vor allem im italienischen Raum aufgrund der
genannten Modelle in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlassen wurden.
Ein zweites Kapitel (S. 178-295) ist dem „contratto come intento comune delle
parti“ gewidmet. Hier geht es um die Vision des Vertrages als Willenseinigung.
Ihre Grundlage wird in den Lehren von Jean Domat, Christian Wolff sowie von
Christian Thomasius gesehen (S. 178-198). Eine solche Vision des Vertrages sei
auch aufgrund der Kant’schen Philosophie von der deutschen Historischen
Rechtsschule übernommen worden. Sie liegt nach Ansicht des Verf. den Lehren von
Friedrich Carl von Savigny und Georg Friedrich Puchta zugrunde.
Dieses „modello pandettista“ beherrscht die deutsche und österreichische
Rechtsliteratur des vergangenen Jahrhunderts (S. 230-252). Es wird auch später
im italienischen und französischen Schrifttum z. T. rezipiert. Das
pandektistische Vertragsmodell als Willenseinigung beherrsche das deutsche
Bürgerliche Gesetzbuch und die von ihm beeinflußten Privatrechtskodifikationen.
Ein drittes Kapitel (S. 297-402) ist dem
„contratto come somma di promesse che producono affidamento“ gewidmet. Das
pandektistische Vertragsmodell sei bereits nach dem Ersten Weltkrieg in eine
Krise geraten. In diesem Zusammenhang wird insbesondere auf die Rechtsprechung
des deutschen Reichsgerichts und auf ihren Rückgriff auf den allgemeinen
Grundsatz von Treu und Glauben verwiesen (S. 301-305; S. 321-328). Die Krise
des bürgerlichen Vertragsmodell wird demnach in der italienischen und vor allem
in der deutschen nationalsozialistischen Rechtsliteratur der 30er Jahre
verfolgt. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe die Rechtslehre nach einem ersten
mißglückten Versuch, an die alten historischen pandektistischen
Rechtskategorien anzuknüpfen, ein bewegliches und offenes Vertragsmodell
entwickelt. Die Kategorie des Vertrages werde dabei jenseits der traditionellen
Grenzen der Privatautonomie herangezogen, etwa bei der Entwicklung der Lehre
der Schutzpflichten und des faktischen Vertragsverhältnisses. Ein letzter Abschnitt (S. 405-435) ist den künftigen
„prospettive per il diritto comunitario e il diritto comune europeo“ gewidmet. Die
Funktion des Vertrags erfahre nach Ansicht des Verfassers zur Zeit - vor allem
durch den Verbraucherschutz und durch die rechtspolitischen Pläne einer
Vereinheitlichung des europäischen Vertragsrechts - tiefgreifende
Veränderungen. Diese werden im einzelnen beschrieben. Das Buch wird durch eine
italienische Zusammenfassung (S.
437-457) sowie durch ein englischsprachiges „Summary“ (S. 459-466)
abgeschlossen. Es sei hier erwähnt, daß beide Zusammenfassungen hinsichtlich
der Länge und des Textes allerdings differieren.
Der
Anspruch, den der Verfasser mit seiner Monographie formuliert, ist ganz hoch
angesiedelt. Der Gesamteindruck, den die Monographie erweckt, bleibt allerdings
mehr als ambivalent. Der Rezensent muß einräumen, daß seine Skepsis nach der
Lektüre erheblich gewachsen ist. Zunächst sei vermerkt, daß der Verfasser es
dem Leser nicht leicht macht, den Inhalt des Buches zu erschließen und seine
Grundthesen nachzuvollziehen. Bei 50 Prozent des gedruckten Textes handelt es
sich um Fußnoten, die z. T. einen besorgniserregenden Umfang annehmen. Nahezu
die gesamte historische und rechtsvergleichende Literatur zum Thema in
deutscher und italienischer Sprache ist dort versammelt. Eine systematische
Bibliographie, wenigstens ein Register der zitierten Autoren, fehlt jedoch, so
daß es für den Benutzer kaum möglich ist, dem Schrifttum im einzelnen
nachzugehen. Es fehlt leider auch ein Inhaltsregister, das eigentlich
unentbehrlich gewesen wäre, um die z. T. sehr langen Einzelabschnitte des
Buches einigermaßen zu erschließen. Besonders störend ist zudem der
ausgesprochen abstrakte Charakter der Ausführungen des Verfassers. Sie bleiben
regelmäßig im Himmel einer allgemeinen Ideengeschichte stecken. Es fehlt die
Konkretheit des Einzelproblems oder einer vertieften Analyse der
zeitgenössischen Rechtsquellen. Das gilt vor allem für die gemeinrechtliche und
naturrechtliche Rechtsliteratur: Eine Durchsicht der Fußnoten zeigt, daß hier
im wesentlichen das Sekundärschrifttum im Vordergrund steht. Dasselbe gilt auch
für die Ausführungen zur neueren Entwicklung in diesem Jahrhundert. Verweise
auf die Judikatur fehlen fast vollständig. Als Beispiel seien hier etwa die
langen Ausführungen genannt, die der Verfasser dem Grundsatz von Treu und
Glauben und dessen Heranziehung im deutschen Recht widmet (S. 301ff. sowie S.
335-338). So ist es ungenau, eigentlich unrichtig, zu wiederholen, daß der
deutsche Gesetzgeber von 1900 in den §§ 242 und 157 BGB eine „Generalklausel
von Treu und Glauben“ kodifiziert habe. Eine nähere Analyse der damaligen
Rechtsprechung würde zeigen, daß es hier vor allem die Judikatur des
Reichsgerichts gewesen ist, die - in Fortsetzung der gemeinrechtlichen
Rechtsprechung - auch nach 1900 auf die Rechtsfigur der „exceptio doli“
zurückgegriffen hat und hierfür zunächst in § 826 BGB, später in § 242 BGB,
eine formale Legitimationsgrundlage gefunden hat. Die Ausführungen des
Verfassers hierzu beschränken sich auf die Wiederholung mancher bekannter
Schlagworte ohne eine eigentlich erforderliche Vertiefung. Es ist übrigens auch
nicht richtig zu schreiben, daß das französische Recht solche Probleme nicht
kenne: Die französische Judikatur greift zwar nicht auf den Gedanken der „bonne
foi“ von Art.1134 3ème al. des Code civil zurück, erreicht jedoch
durch andere Argumentationswege und -strukturen weitestgehend ähnliche
Sachlösungen. Trotz der Allgemeinheit des Anspruchs bleibt die Monographie
übrigens im wesentlichen auf die deutsche und italienische Rechtsentwicklung
beschränkt. Selbst das schweizerische und das österreichische Recht werden im
Ergebnis an den Rand der Ausführungen gedrängt. Die übrigen Aspekte des
kontinentaleuropäischen Vertragsrechts - man denke nur an die französische
Rechtsliteratur des 19. Jahrhunderts, an die Entwicklungen im spanischen oder
niederländischen Recht - werden kaum erwähnt. Am Ende der Lektüre bleibt der
Rezensent deshalb unbefriedigt zurück: Mit solchen allgemeinen
geistesgeschichtlichen Tableaus kann man keinen wesentlichen Erkenntnisgewinn
erzielen. Weder den Erwartungen einer historischen Rechtsvergleichung noch den
Bedürfnissen des heutigen Zivilrechts ist hiermit im erwünschten Maß wirklich gedient.
Saarbrücken Filippo
Ranieri