PolleyDeutschejuristen20000914 Nr. 10019 ZRG 118 (2001)
Deutsche Juristen im Vormärz. Briefe von Savigny, Hugo,
Thibaut und anderen an Egid von Löhr, bearb. und hg. v. Strauch,
Wer den Besten seiner Zeit genügt, der hat gelebt für alle
Zeiten. Auch diese tiefere Einsicht mag den Bearbeiter und Herausgeber der
gehaltvollen Briefsammlung bestärkt haben, der Bitte von Frau Dr. Dorothee von
Brentano nachzukommen, die von ihr aus Familienbesitz geerbten Briefe an Egid
von Löhr einem interessierten Publikum durch eine Veröffentlichung
nahezubringen. Zwar taucht Egid von Löhr (1784‑1851) in den
modernen Juristenbiographien von Kleinheyer/Schröder und Stolleis
nicht einmal mehr im Namensindex auf. Aber es steht außer Frage, dass der seit
1813 bis zu seinem Tode an der Universität Gießen wirkende Rechtsprofessor sich
nicht nur hohe Verdienste um den Lehrbetrieb und die akademische
Selbstverwaltung in der oberhessischen Stadt erworben hat, sondern auch in der
gesamten Rechtswissenschaft der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine
wichtige Integrationsfigur gewesen ist, gerade weil Löhr Ansehen und
Zuspruch sowohl bei den Vertretern der philosophisch‑praktischen
Jurisprudenz als auch bei den Vertretern der Historischen Rechtsschule genoss.
So versuchten sowohl Thibaut als auch Savigny den liebenswerten
und bescheidenen Professor 1817 und 1818 nach Heidelberg bzw. nach Bonn zu
ziehen. Von der wissenschaftlichen Ausrichtung her gesehen stand er aber dem
Heidelberger Kollegen als Mitherausgeber des „Archivs für die civilistische
Praxis“ seit 1822 wohl näher.
Leider lernen wir Löhr, dessen Schrifttum Strauch
im Anhang der Briefsammlung dankenswerterweise bibliographiert hat, nicht als
Briefsteller kennen; die Briefsammlung enthält nur an ihn gerichtete, bisher
unbekannte Briefe. Diese sind aber dazu angetan, die Bedeutung der
Persönlichkeit Löhrs für ihre Zeit zu unterstreichen, denn der Kreis der
in dem Briefkonvolut auftauchenden Korrespondenzpartner ist überwiegend
hochkarätig. Es kommen zur Edition: 13 Briefe Friedrich Carl von Savignys
1805 bis 1820, 6 Briefe Karl Ludwig von Grolmans 1807 bis 1818, 6 Briefe
Heinrich Karl Jaups 1812 bis 1819, 19 Briefe Ferdinand Mackeldeys 1814 bis
1832, 1 Brief Dr. Harbauers aus Brüssel von 1817, 9 Briefe Anton
Friedrich Justus Thibauts 1817 bis 1820, 1 Brief Karl Theodor Welckers von
1817, 7 Briefe Heinrich Eduard Schraders 1818 bis 1832, 2 Briefe Johann
Samuel Erschs 1818 und 1819, 5 Briefe Siegmund Wilhelm Zimmerns 1820
bis 1823, 2 Briefe Johann Gerhard Thomas' von 1820, 3 Briefe Albrecht
Schweppes 1820 bis 1826, 1 Brief Karl Friedrich Zepernicks von 1823,
4 Briefe Walter Friedrich Clossius’ 1823 bis 1825, 3 Briefe Karl
Joseph Anton Mittermaiers 1824 bis 1832, 7 Briefe Gustav Hugos 1827
bis 1840, 2 Briefe Johann Nepomuk von Wening‑Ingenheims 1827 bis
1831, 8 Briefe Johann Adam Fritz’ 1829 bis 1837 und 4 Briefe Andreas
August Schleiermachers 1835 bis 1843. Eingestreut sind 9 Briefe
großherzoglich frankfurtischer und hessischer Ministerialbeamter 1812 bis 1813
und 1818, und beschlossen wird die Sammlung durch 8 Verlegerbriefe 1805 bis
1837.
Die Themen der Briefe sind zwangsläufig unterschiedlich.
Abgesehen von Berufungsangelegenheiten, die interessante Erkenntnisse über die
sozialen und wissenschaftlichen Verhältnisse namhafter Juristenfakultäten des
frühen 19. Jahrhunderts liefern, werden auch diverse dogmatische Probleme des
römischen Rechts diskutiert, die sich in ihrer Tragweite wohl nur durch das
parallele Studium der angezogenen Werke und Textstellen voll erschließen. Auch
wenn das Seelenleben der Schreiber, wie das bei Juristen kaum verwundert, im
allgemeinen nur verhalten zum Ausdruck gebracht wird, so gibt es doch auch
Briefe, die die familiären, wirtschaftlichen und dienstlich-kollegialen
Verhältnisse der Schreiber in ihren Höhen und Tiefen offenlegen. Geradezu unter
die Haut gehen zum Beispiel die Briefe Ferdinand Mackeldeys, der nach eher
glücklichen Jahren in Marburg und nach einem hoffnungsvollen Start seiner
Bonner Tätigkeit durch Auseinandersetzungen mit Savignianern immer mehr von
gesundheitlichen und seelischen Krisen zu berichten weiß.
Die wissenschaftliche Bearbeitung, die Strauch der
Edition hat angedeihen lassen, kann nur als mustergültig bezeichnet werden.
Abgesehen davon, dass in einer über 50 Seiten langen Einleitung die
erforderlichen Daten zu den persönlichen, amtlichen und wissenschaftlichen
Verhältnissen auch der kaum bekannten Briefpartner gegeben und ihre Beziehungen
zu Löhr beleuchtet werden, werden sämtliche Briefe durch sorgfältige,
zum Teil umfängliche Anmerkungen erläutert, die das wissenschaftliche Umfeld
bestens erschließen. Natürlich hat es den Rezensenten erfreut zu sehen, wie
letztlich auch der von ihm edierte Briefwechsel Thibauts zu mancher
Aufhellung beigetragen hat. Das beeindruckende Register setzt der Sammlung die
Krone auf, denn es erschließt die in den Briefen angezogenen Rechtsquellen, die
Personen und Orte und die sächlichen Themen selbst in den Fußnoten. So wird die
Edition ein Steinbruch für detaillierte Erkenntnisse, auf die die Wissenschaft
auch in Zukunft angewiesen ist, nicht zuletzt dann, wenn sich wieder einmal der
glückliche Zufall ergibt, dass als verschollen geglaubte Gelehrtenbriefe dieser
Zeit einem beherzten Editor zur Verfügung gestellt werden.
Marburg an der Lahn Rainer
Polley