PöggelerFestgabe20000914 Nr. 10060 ZRG 118 (2001)
Festgabe Zivilrechtslehrer 1934/1935, hg. v. Hadding,
Walter. De Gruyter, Berlin 1999. XII, 740 S.
Dieses Buch, diese Sammlung von Aufsätzen ist ein ganz ungewöhnliches Projekt in der juristischen Literaturlandschaft; es eröffnet mehr oder weniger eine neue Gattung. Denn es handelt sich nicht um eine Festschrift zu Ehren eines einzelnen Jubilars, und es ist auch kein Tagungsband. Vielmehr verbindet es sehr unterschiedliche Beiträge von Zivilrechtsprofessoren, die untereinander primär durch ihre Geburtsjahrgänge verbunden sind: die Jahre 1934 und 1935. Alle Beiträge stammen aus den Federn dieser Zivilrechtslehrer selbst.
Walther
Hadding, der Herausgeber des Bandes und selbst Mitglied des
Jahrgangs 1934, zählte sechzig Zivilrechtslehrer beider Jahrgänge. Diese
erstaunlich große Zahl steht in einem gewissen Zusammenhang mit der Neugründung
juristischer Fakultäten in den 1970er Jahren und die in den 1960er Jahren
vorangegangene Vermehrung der Assistentenstellen, wodurch weitere
Habilitationen möglich wurden. In die frühen Arbeitsjahre der betroffenen
Zivilrechtslehrer fiel die Einführung der einphasigen Juristenausbildung, die
Entwicklung zum sogenannten Massenstudium, darüber hinaus die Etablierung von
Wahlfachgruppen, vorlesungsbegleitenden Arbeitsgemeinschaften, Wiederholungs-
und Vertiefungskursen, Klausurenkursen und LLM-Studiengängen. Nicht zufällig
geht es in den Beiträgen von Wolfgang Sellert und Horst Wünsch
daher um die Juristenausbildung in Deutschland und Österreich.
Was
charakterisiert nun die literarische Gattung der „Jahrgangsfestgabe“? Das
hervorragende Merkmal besteht wohl darin, dass die Autoren mehr von sich und
ihrer Biographie preisgeben, als es sonst in juristischen Publikationen üblich
ist. Besonders weit geht in dieser Hinsicht der allererste Beitrag des Bandes. Klaus
Adomeit berichtet darin von einem Sprengstoffanschlag auf seine Wohnung. Im
Jahre 1996 fühlte sich eine Gruppe politischer Sektierer durch Adomeits
rechtspolitische Ansichten dazu aufgefordert. Ich meine, es ist in der
juristischen und allgemeinen Öffentlichkeit noch immer nicht genügend deutlich
geworden, dass mit dem Anschlag auf Adomeit und seine Familie
gleichzeitig die Wissenschaftsfreiheit und die freiheitliche Gesellschaft
angegriffen wurde. Auch aus diesem Grunde hätte man sich gewünscht, dass dieser
unerhörte Vorgang zum Anlass für eine noch deutlichere Solidarisierung geworden
wäre.
Im
allgemeinen sind die persönlichen und biographischen Äußerungen und
Beschreibungen aber nicht Hauptgegenstand eines Beitrages, sondern fließen bei
der ansonsten „traditionellen“ Behandlung juristischer Themen mit ein,
allerdings ergiebiger als sonst üblich. Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht
beispielsweise Walter Gerhardts Schilderung der Arbeit der
Insolvenzrechtskommission, dessen Vorsitzender er war. Sein Bericht ist von
großem Interesse für diejenigen, die sich mit der Entstehungsgeschichte der
Insolvenzordnung beschäftigen. Sie erfahren darin nicht nur einiges über
Regelungsfragen des Insolvenzrechts und den äußeren Ablauf der
Kommissionsarbeit und des Gesetzgebungsverfahrens, vielmehr liest man auch mit
Interesse davon, wie sehr sich die Kommission brüskiert fühlte, weil das
Bundesjustizministerium nach dem sogenannten Zweiten Kommissionsbericht
offensichtlich keinen Wert mehr auf eine weitere Beratung durch die hochkarätig
besetzte Kommission legte.
Ein
weiteres Beispiel für das beiläufige Einfließen des Persönlichen wäre etwa der
launige Artikel von Hein Kötz über „Coase-Theorem und Schweinepanik“.
Darin schildert Kötz seine Begegnung mit der ökonomischen Analyse des
Rechts als eine Begegnung mit einigen Heroen dieser Disziplin während einer
Gastprofessur in Chicago. Falls jemand beabsichtigt, seine Studenten für die
Beschäftigung mit „Law and Economics“ zu begeistern, dann sollte er ihnen die
Lektüre dieses Aufsatzes empfehlen.
Viele
Beiträge liefern einen Überblick über die Entwicklung eines Rechtsgebietes in
den vergangenen Jahrzehnten. Bedenkt man, dass die Autoren diese Gebiete
maßgeblich mitprägten, so liegt der Gewinn auf der Hand. Roland Dubischar
berichtet über die Kfz-Versicherung und ihre Wandlungen, Horst Ehmann
über die Informations- und Meinungsfreiheit von den 1930er Jahren bis in die
Gegenwart, Peter Hanau über das Arbeitsrecht; bei Helmut Kollhosser
geht es um zwanzig Jahre Ethik-Kommission und Ulrich Loewenheim zeichnet
30 Jahre Rechtsentwicklung im Urheberrecht nach.
Im engeren
Sinne rechtshistorisch sind insgesamt sechs Artikel. Heinz Holzhauer
reflektiert über das Phänomen des Suizids und seine Behandlung in der
Rechtsgeschichte. Peter Landau untersucht zwei Programmschriften zur
Zivilrechtskodifikation aus den 1870er Jahren; sie stammten aus den Federn Moritz
August v. Bethmann-Hollwegs und Rudolf Sohms. Adolf Laufs fragt
nach politischen Revolutionen in Deutschland; die empirische Grundlagen hierzu
bilden die Ereignisse der Jahre 1848/49, 1918/19, 1933/34 und 1989/90. Laufs
widerspricht vehement der landläufigen Ansicht, die Deutschen hätte bei Lichte
besehen gar keine Revolution zustande gebracht. Klaus Luig steckt das
Feld der europäischen Privatrechtsgeschichte ab, und es verwundert nicht, dass
das römische Recht im Mittelpunkt steht. Bei Manfred Rehbinder geht es
um einen moderneren Gegenstand, nämlich um Philipp Lotmar und die Geburt
des Arbeitsrechts aus dem Geist der Rechtssoziologie. Und in die Geschichte des
ius publicum gehört Hans Schlossers Untersuchung über Verfassungs- und
Rechtsfragen des aufgeklärten Habsburgers Granduca Pietro Leopoldo di Toscana.
Insgesamt
enthält der stattliche Band 41 Beiträge, die ausnahmslos lesenswert sind und
hinter denen zumeist wohlbekannte, renommierte Autoren stehen. Sie erhalten für
den, der sie nicht persönlich kennt, gewissermaßen ein Gesicht. Den Juristen
jüngerer Generationen wird dadurch gleichzeitig die Generation ihrer
akademischen Lehrer näher vertraut. Das Buch lädt ausgesprochen zum
Herumschmökern ein, es ist kurzweilig und interessant, es ist ein juristisches
Lesebuch.
Tübingen Wolfgang
Pöggeler