PischkeSchneidmüller20000920 Nr. 10116 ZRG 118 (2001)

 

 

Schneidmüller, Bernd, Die Welfen - Herrschaft und Erinnerung (= Urban-Taschenbuch 465). Kohlhammer, Stuttgart – Berlin – Köln 2000. 378 S., Abb., Karten, Stammbäume.

Nach Monographien über Merowinger und Karolinger, Ottonen, Salier und Staufer sowie Habsburger, Luxemburger und Hohenzollern brachte der Verlag in der Reihe der Urban-Taschenbücher auch einen Band über die Welfen heraus, dem ältesten noch existierenden europäischen Adelsgeschlecht. Bernd Schneidmüller, zeitweise Inhaber des Lehrstuhls für mittelalterliche Geschichte an der Technischen Universität Braunschweig, hat es übernommen, dieses schillernde Geschlecht vorzustellen. Dies war sicher keine leichte Aufgabe. Es ist aber mit Bravour gelöst worden, den Bogen zu spannen von den Anfängen des Geschlechts im süddeutschen Raum, über die Expansion nach Westfranken, Burgund und Italien bis hin zum ersten Herzog von Braunschweig. Der Bogen umfasst die sechs Jahrhunderte von der Karolingerzeit bis in die Mitte des 13. Jahrhunderts. Ein knapper Ausblick bis in die Neuzeit fehlt auch nicht.

Es ist ein Lesebuch, ein lesenwertes Buch, entstanden, das zwischen dem Vorwort des Verfassers und mittelalterlichen Welfenbildern am Anfang sowie neuzeitlichen am Ende in sechs Kapiteln die Darstellung der Welfen vom karolingischen Frankenreich bis zu den Söhnen und Enkeln Heinrichs des Löwen einfügt. Unterkapitel mit schlaglichtartig hinweisenden Überschriften geben dem Leser eine Art Kompass durch die welfische Welt an die Hand. Diese ist eingebunden in die Reichsgeschichte, interpretiert als Königsnähe und Königsferne. In den Text einbezogene mittelalterliche Quellen (in deutscher Übersetzung) vermitteln einen Einblick in den Zeitgeist der jeweiligen Epochen. Knappe Anmerkungen, ein Verzeichnis der Stammtafeln, Karten und Abbildungen, ein Quellen- und Literaturverzeichnis und ein Namenregister mit Personen und Geschlechtern sowie Orten, Ländern und Landschaften runden das Gesamte zu einem Nachschlagewerk ab.

Dieses Buch will Quellen und Perspektiven sowie Wirklichkeiten und Erinnerungen verknüpfen, den Welfen ihren Platz als europäische Adels- und Herrscherfamilie geben, den „landesgeschichtlichen Zugriff“ überwinden und „über die schwäbische, bayrische oder sächsische Erde“ hinausweisen. Da hinein hatten Chronisten die Welfen und ihnen folgend die (Landes)Historiker gestellt. Es ist darauf verwiesen, dass Welfenstammbaum und Welfengenealogie aus dem 12. Jahrhundert am Anfang der im Spätmittelalter beliebten dynastischen Hausgeschichte stehen. Auch diese Vorreiterrolle markiert den herausragenden Rang dieser fürstlichen und königlichen Familie.

Der Aktionsrahmen der welfischen Vorfahren reichte von Austrasien über Sachsen nach Alemannien und Bayern sowie Westfranken. Mit „einem Donnerschlag“ traten die Welfen 819 in die Geschichte ein, als Ludwig I. in zweiter Ehe Judith, die Tochter des keineswegs unbekannten Grafen Welf, heiratete. Mit Karl II., dem Sohn aus dieser Verbindung, agierte bereits im 9. Jahrhundert ein erster – mütterlicherseits – welfischer König im westfränkischen Reich. In der Enkelgeneration des Grafen Welf schälten sich die drei Wirkungsbereiche der frühmittelalterlichen Welfen heraus: Westfranken, Burgund und Alemannien. Die in Westfranken agierenden Welfen starben 887/888 aus, während die Vertreter des anderen Zweiges des Geschlechts, der 1032 erlosch, in Burgund zu Königen aufstiegen. Es blieben die süddeutschen Welfen. In männlicher Linie erlosch dieser Zweig der Welfen 1055. Doch im noch nicht verschütteten Wissen um die „verwandtschaftliche Offenheit der frühmittelalterlichen Adelsverbände“ ergriff die überlebende Mutter die Initiative und bediente sich „der agnatischen Komponente“: sie machte Welf, den Sohn ihrer in Italien verheirateten Tochter, zum Familienerben. Danach griff die hochmittelalterliche Abfolge vom Vater auf den Sohn. Aufgrund seiner italienischen Herkunft und seiner – zweiten – Ehe mit einer Adeligen aus Flandern war Welf IV. – und damit sein Geschlecht – wieder ein Glied im europäischen Adelsverband mit einem weiten geographischen Aktionsrahmen. Und Welf IV. errang seinem Geschlecht – nach dem Kärntner Zwischenspiel seines Onkels Welf III. – die Herzogswürde in Bayern. Mit Wulfhild, der Frau seines Sohnes Heinrich und einer der beiden billungischen Erbinnen, setzten die Welfen einen Fuß nach Sachsen, der andere folgte, als Heinrichs Sohn Heinrich der Stolze Gertrud, die Erbtochter Lothars von Süpplingenburg, heiratete. Obwohl designierter Nachfolger seines königlich-kaiserlichen und herzoglichen Schwiegervaters erreichte Heinrich der Stolze die eine wie die andere Würde nicht. Er verlor auch noch Bayern. Sein Sohn Heinrich der Löwe errang die Herzogtümer zurück; sein Bruder Welf VI. hütete den süddeutschen Familienbesitz. Die welfische Geschichte lief doppelgleisig, bis nach dem Tod Welfs VII., dem Sohn Welfs VI., im Jahr 1167 das Ende des Geschlechts nahe schien. Es gab außer Welf VI., dem Onkel, und Heinrich dem Löwen, dem Neffen, keinen weiteren männlichen Welfen. Aus der Ehe Heinrichs des Löwen mit Mathilde von England gingen erst in den siebziger Jahren vier Söhne hervor. Welf VI. setzte nicht seinen Brudersohn zum Erbe ein, sondern seinen Schwestersohn Friedrich I. Damit waren die überlebenden Welfen aus dem süddeutschen Raum verdrängt. Und im norddeutschen Raum verursachte der Hochmut des Vaters, dass die Söhne einen neuen Anfang suchen mussten– einer stieg zum König und Kaiser auf: Otto IV. Diesen neuen Anfang fand erst sein einziger überlebender Enkel Otto das Kind als Herzog von Braunschweig. Damit begann eine neue Epoche in der Geschichte der Welfen.

Von ihren bayrischen Wurzeln am Lech begleitet Bernd Schneidmüller die Welfen bei ihrem raumüberschreitenden Handeln nach Westfranken, Burgund und Italien und wieder zurück zum stammes- und regionsbezogenen Tun, Sein und Bewusstsein in Schwaben, Bayern und Sachsen – und arbeitet dabei immer wieder ihre darüber hinausgreifenden Komponenten heraus. Er zeigt das Wissen der jeweiligen Zeit um die Welfen auf, beschreibt ihre Anstrengungen Fuß zu gewinnen und zu halten, Traditionen zu pflegen und neue Wege zu gehen, aber auch wie sie Positionen verloren, und stellt heraus, wie Heinrich der Löwe schließlich in den Braunschweiger Denkmälern von seiner süddeutsch-welfischen Vergangenheit gelöst und als Nachfahre von Brunonen und Süpplingenburgern in sächsische Traditionen eingefügt wurde.

Schade nur, dass die alten Stammbäume in den Abbildungen nicht so herauskommen, gleiches gilt für die Karten. Der Eindruck, dass – gerade bei Heinrich dem Löwen, dem bereits das längste Kapitel gewidmet ist, – manches Mal der „Blick in die Tiefe“ fehle, ist bei einem solchen auf eine breite Darstellung angelegten Werk unangebracht.

Salzgitter                                                                                                        Gudrun Pischke