LaufsDierevolutionen20000825 Nr. 10110 ZRG 118 (2001)
Die Revolutionen von 1848 in der europäischen Geschichte.
Ergebnisse und Nachwirkungen. Beiträge des Symposions in der Paulskirche vom
21. bis 23. Juni 1998, hg. v. Langewiesche,
Das
Einhundertfünfzigjahre-Jubiläum des stürmischen Aufbruchs zur Freiheit ließ
eine ganze Reihe wertvoller Bücher entstehen, zu denen auch der vorliegende
Band gehört. Er steht im Zusammenhang mit der zentralen bundesdeutschen
Ausstellung in Frankfurt (, von welcher der von Lothar Gall
herausgegebene Katalog bereits in zweiter Auflage erschien). Die Exposition wie
der Sammelband verfolgen eine doppelte Perspektive: den europäischen Vergleich
einerseits und die Rezeptionsgeschichte andererseits.
Heinz‑Gerhard
Haupt markiert das Jahr l848 als Wendepunkt auf dem „französischen
Weg in die Moderne“. Er versteht die Revolution „nicht als Bruch, sondern als
Faktor von Entwicklungsprozessen“: die Republikanisierung, die Einübung des
allgemeinen Männerwahlrechts, der Ausbau genossenschaftlicher Ansätze, der
Gegensatz von Laizität und katholischer Kirche ‑ diese vorhandenen
Faktoren wirkten über das Jahr 1848 hinaus fort. Peter Stadlers Beitrag
zur Schweiz handelt „von einer geglückten Revolution, ja der wohl einzig
geglückten jenes Jahres“: „Die alte Schweiz von 1847 war im neuen Bundesstaat
nicht wieder zu erkennen; die neue hatte sich nach außen behauptet und wurde
von den Mächten denn auch stillschweigend hingenommen ‑ teilweise mit
Reserven“.
Der
Verfassungsjurist Jörg‑Detlef Kühne zieht eine für die Entwicklung
der Rechtskultur „wegen der eingeleiteten Völkerrechtserosion“ nicht eindeutig
positive Bilanz. „Die Konzentration auf Gesellschaft und Staat geht mit einer
Vernachlässigung des Völkerrechts einher ‑ zu Lasten der Gesamtforschung
Europas. ‑ Positiv herauszustellen ist jedoch die normative Erfassung der
Gesellschaft, die 1789 zwischen dem einzelnen und der staatlichen
Gemeinwillensbildung rousseauistisch übersprungen worden war“. Christof
Dipper besichtigt Italien aus deutscher Perspektive, wobei er sechs
bezeichnende Unterschiede herausstellt. Auch die Einigung erlebte Italien
vollkommen anders. „Italien ‑ das war bei der Gründung, aber noch auf
Jahrzehnte hinaus ein Nationalstaat ohne Nation, Deutschland dagegen eine
Nation auf der Suche nach ihrem Staat“.
Einen reich
bebilderten, kunstgeschichtlichen Aufsatz trägt Thomas W. Gaehtgens bei:
Die Revolution von 1848 in der europäischen Kunst. Die populäre Druckgraphik
mit ihrem vielfach einheitlichen ikonographischen Schema bezeugt, massenhaft
verbreitet, die durchgesetzte Pressefreiheit. Dagegen schlug sich die
Revolution kaum in der Malerei nieder, wohl auch deshalb, weil der Markt
fehlte. Zu den interessantesten Beiträgen gehört der von Wolfram Siemann:
Der Streit der Erben ‑ deutsche Revolutionserinnerungen. Der Autor
erörtert das Frankfurter Einheitsdenkmal aus der Zeit um die Jahrhundertwende;
Gedächtnisorte und steingewordene Erinnerungen zu 1848/49; Mythen und
Ursprungslegenden: 1849 ‑ 1945; die gespaltene Erinnerung im Kampf der
Systeme seit 1948; neue Erinnerungsperspektiven im Zeichen der Aufwertung der
Region und Europas. Siemann bewertet zu Recht die Folgen des
Revolutionsjubiläums 1998 positiv: „Nach 1998 wissen wir erheblich mehr über
die Revolution als ein Jahr zuvor, und der ‚Streit der Erben’ um 1848 scheint
beigelegt“. Das letzte Stück des Bandes aus der Feder von Gabor Erdödy
gilt dem Revolutionserbe und der nationalen Selbstbehauptung in Ungarn. Der
Verfasser kommt dabei am Ende zu einem ähnlichen Urteil wie Siemann für
das Gedächtnis im Jahr 1998: „Das Erbe der Ereignisse von 1848 kann das erste
Mal in seiner Totalität und Komplexität ohne vorgeschriebene und unantastbare
Deutungen gefeiert werden“.
Auch wenn
der Band nach seinem Stoff nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben
könnte, so bildet er doch auf anregende und weiterführende Art repräsentative
Ansichten und bezeichnende Analysen zu einem fast unerschöpflichen Themenkreis.
Das Buch verdient es, von Forschern und Lehrern zu Rate gezogen zu werden.
Heidelberg Adolf
Laufs