LacourRublack20000615 Nr. 10112 ZRG
118 (2001)
Rublack, Ulinka, The
Crimes of Women in Early Modern
Ein
schmaler Band zu einem Thema, das endlich breitere Behandlung verdiente:
weibliche Straftaten. Gekürzt ist diese spannend geschriebenen Cambridger
Dissertation unter dem plakativen Titel „Magd, Metz’ oder Mörderin. Frauen vor
frühneuzeitlichen Gerichten“ 1998 als Fischer-Taschenbuch erschienen und hat im
Besprechungswesen ganz unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Der geradezu
euphorischen Bewertung durch Norbert Schindler in „Historische
Anthropologie“ (7, 1999) mag sich die Rezensentin nicht anschließen. Ulinka
Rublack hat nämlich nicht, wie Schindler schreibt, abgesehen von
Zauberei „das gesamte Spektrum der Frauenkriminalität“ in Südwestdeutschland
entfaltet, sondern sich auf Eigentums-, Vermögens- und Sittlichkeitsdelikte
beschränkt. Gewalttaten finden nur als Kindestötung und Gattenmord Beachtung.
Verbalinjurien und Realinjurien fallen aus unerfindlichen Gründen unter den
Tisch. Dabei ist aus der historischen Kriminalitätsforschung bekannt, dass sich
Frauen verbaler Aggression und körperlicher Gewalt keineswegs enthielten.
Immerhin waren fünf bis zwanzig Prozent der Täter weiblichen Geschlechts.
Gerade Kindestötung und Sittlichkeitsdelikte sind - als fast ausschließlich
bzw. zur Hälfte von Frauen verübte Taten - bereits so gut erforscht, dass der
vorliegende Band kaum Neues beizusteuern vermag.
Vieles
ist längst bekannt, z. B. dass Strafen exemplarisch verhängt wurden und dank
Fürbitten von Verwandten und Nachbarn, in denen sich die soziale Verankerung
des Delinquenten erwies, gemildert werden konnten. Oder dass im 17.
Jahrhundert zulasten von Frauen enge moralisch-sittliche Standards durchgesetzt
wurden. So steckt das Interessante an diesem Buch eher im Detail: z. B. dass
die Ehe als so schutzwürdig angesehen wurde, dass auch stadtbekannte
Wiederholungstäterinnen nicht in die Verbannung geschickt wurden, wenn ihr
Ehemann schuldlos war. Oder dass bei weiblichen Angeklagten besonders auf die
zur Schau gestellten Gefühle geachtet wurde. Wegen der für unglaubwürdig
gehaltenen Aussagen von Frauen suchte das Gericht nach „Beweisen“ in der
Gemütslage der Inquisitin. Tiefes, stilles Schluchzen galt als Zeichen für
Unschuld im Gegensatz zu Blässe, Zittern, Seufzen, „Krokodilstränen“ und
hysterischem Weinen. „Gut“ und „schlecht“ waren geschlechtsspezifisch
definiert: Wurde bei Männern eine konsistente Aussage eher als wahr gewertet,
so betrachtete man dasselbe Verhalten bei einer Frau als verstockt. Bei Frauen
rechnete man mit Inkonsistenz, die man aber als Zeichen der Unzuverlässigkeit
ihrer Darlegung bewertete.
Sorgfältig
entwickelt ist eine Typologie von Diebinnen. Der Grasdiebstahl war ein
geschlechtsspezifisches Frauendelikt, galt es doch als Pflicht der Mädchen und
Dienstmädchen, für Futter zu sorgen. Doch Dienstmägde stellten überhaupt -
neben Armen und Professionellen - eine der drei großen Täterinnengruppen dar.
Wenn Mägde der Versuchung nicht widerstehen konnten, Nahrung, Wein oder Geld
abzuzweigen, verwendeten sie das Gestohlene häufig, um Freunden Geschenke zu
machen, zur Geselligkeit, um ein soziales Netz zu knüpfen oder einen Mann zu
beeindrucken. Geld wurde auch für die eigene Kleidung oder Aussteuer
ausgegeben, denn ordentliche, ansprechende Kleider erhöhten die Chancen auf dem
Heiratsmarkt. Ursprünglich wurden Diebstähle der Mägde mit Lohnkürzung oder
Entlassung informell vom bestohlenen Hausvater bestraft. Im Verlauf des 17.
Jahrhunderts änderte sich die Einstellung. Vom Hausvater wurde Kooperation mit
der Obrigkeit erwartet. Ungehorsam der Mägde und Knechte wurde als Angriff auf
die ständische Hierarchie gesehen, der öffentlich bestraft werden musste. Die
Grenze zwischen armen Gelegenheitsdiebinnen und Professionellen ist nicht immer
scharf zu ziehen, denn auch Frauen, die gewohnheitsmäßig für ihren
Lebensunterhalt stahlen, arbeiteten gelegentlich, meist im Sommer als
Tagelöhnerinnen. Andere überbrückten nur akute Not oder griffen bei sich
bietender Gelegenheit zu. Kriege stellten mit den Plünderungen der Soldaten für
manche Frauen solche Gelegenheiten dar, etwas für sich abzuzweigen. Als Hauptursache
ist die Armut, besonders alleinstehender Mütter kleiner Kinder, anzusprechen.
Solche Frauen waren chronisch unterbezahlt und fanden schwer Arbeit. Ein
weiterer Faktor war die „Allgegenwart gebrauchter und wieder gebrauchter
Waren“, die den Verkauf von Diebesgut einfach machte (S. 119).
Sittlichkeitsdelikte
wurden in Württemberg und den untersuchten Reichsstädten sehr hart bestraft,
mit zur Mitte des 17. Jahrhunderts steigender Tendenz. Unzucht wurde
schließlich mit mehr als zwei Wochen Gefängnis geahndet. Uneheliche Mütter
konnten des Landes und damit ins Elend verwiesen werden, besonders wenn sie
sich mit einem Soldaten eingelassen hatten. Großeltern wurde untersagt, das
illegitime Enkelkind zu versorgen. Die Geselligkeit junger Leute in Spinnstuben,
beim Wein oder nächtlichen Tanz galt prinzipiell als verdächtig und wurde
untersagt. Mit besonderem Misstrauen beobachtete man die „Eigenbrödlerinnen“,
Frauen, die als Spinnerinnen oder Näherinnen von ihrer unabhängigen Arbeit
außerhalb eines festen Dienstverhältnisses lebten, und Mägde.
Im
Kapitel über Inzest spürt Rublack geschickt den Einstellungen nach.
Immer wieder findet sich die Äußerung - sowohl von Seiten des missbrauchenden
Mannes als auch von Müttern -, eine junge Frau solle sich fügen, denn der Mann
werde ihr keinen „Schaden tun“ (S. 238), das bedeutete, er werde sie nicht
schwängern. In eklatantem Widerspruch zur immer rigider werdenden Sexualmoral
bewertete man hier - innerhalb der Familie - lediglich eine Schwangerschaft als
„schlecht“. Wenn sexueller Missbrauch vom Haushaltsvorstand begangen wurde,
konnte die Familie dagegen wenig tun. Nur eine Anzeige hätte dem tragischen
Geschehen ein Ende gesetzt, diese hätte jedoch die wirtschaftliche und
moralisch-gesellschaftliche Grundlage der Familie zerstört, vor allem wurde
eine (über 14-jährige) missbrauchte Tochter oder Stieftochter ebenfalls
verbannt oder gar hingerichtet: eine fast unlösbare Situation. Gerade für viele
Stieftöchter stellte sexuelle Gefügigkeit geradezu eine „Bezahlung“ dar für
männlichen Schutz und Fürsorge. Weibliche Abhängigkeit in männlich dominierten
Häusern förderte solche auch emotional für alle Familienmitglieder extrem
schwierige und belastende Zustände. Die Möglichkeit eines Mannes, seine
sexuellen Ansprüche gegenüber einer Frau seines Hauses durchzusetzen, basierte
auf seiner Macht als Haushaltsvorstand. Er konnte Gehorsam und Stillschweigen
erzwingen. Männlichkeit bedeutete Macht, Attraktivität, Gewalt, Kontrolle und
Befriedigung. Sexuelle Aggression war auch eine Möglichkeit zu zeigen, wer im
Haus das Sagen hatte, wenn z. B. der Vater seine Schwiegertochter vergewaltigte
und der Sohn nichts dagegen zu unternehmen wagte. Bisweilen diente ein
sexueller Missbrauch eindeutig dem Beweis der eigenen Manneskraft,
beispielsweise im Falle eines relativ jungen Mannes, der eine wesentlich ältere
Witwe heiratete und deren Tochter, die im Alter eher zu ihm passte,
vergewaltigte. Erduldete aber eine Frau den Missbrauch ohne laut zu schreien,
wurde dies vom Gericht als Einverständnis gewertet, die Frau wurde zur Mit-
oder gar Hauptschuldigen. Männer fanden vor Gericht - je nach ihrer
gesellschaftlichen Stellung - eher Gnade als missbrauchte junge Frauen.
Insgesamt
ist das Buch jenen zu empfehlen, die sich - unter den genannten Einschränkungen
- einen ersten Überblick zum Thema weibliche Kriminalität (und Lebensumstände)
in der frühen Neuzeit verschaffen möchten.
Anschau Eva
Lacour