KöblerEuropas20000807 Nr. 10165 ZRG 118 (2001)
Europas universale rechtsordnungspolitische Aufgabe im Recht des dritten Jahrtausends. Festschrift für Alfred Söllner zum 70. Geburtstag, hg. v. Köbler, Gerhard/Heinze, Meinhard/Hromadka, Wolfgang. Beck, München 2000. XVIII, 1373 S.
Wenn der ehrbare Kaufmann am Ende eines Zeitabschnitts Bilanz über seine Tätigkeit gezogen hat, kann er auf gesicherter Grundlage in die Zukunft blicken. Stellt er einen Verlust fest, muss er sich überlegen, was er zu dessen Beseitigung ändern kann. Erkennt er einen Gewinn, kann er bedenken, wie er ihn zu sichern vermag.
Wer am Ende des zweiten nachchristlichen Jahrtausends die Geschichte der Menschheit überblickt, kann nicht darüber hinwegsehen, dass seit mehr als fünftausend Jahren das Gewicht des Rechts für das irdische Leben immer größer wird. Seit mehr als zweitausendfünfhundert Jahren sind einzelne Menschen als Rechtskundige namentlich hervorgetreten. In der Gegenwart sind zwar noch nicht alle, aber doch schon sehr viele Lebensbereiche weitgehend verrechtlicht.
Angesichts der beeindruckenden Entwicklung der menschlichen Verkehrsmittel und der wohl noch folgenreicheren Entfaltung der Verständigungstechniken ist die irdische Weite zu beherrschbarer Nähe geworden. Dementsprechend engt nationales, an den Schlagbäumen endendes Recht vielfach ein. Deswegen neigen die kleinräumigen Staaten Europas mehr und mehr zum Zusammenschluss in offenerem Rahmen zum gemeinsamen Wohl.
In einer Zeit, in der ein Entwurf einer Charta der Grundrechte der Europäischen Union allgemein anerkannte Wirklichkeit wird, darf auch darüber nachgedacht werden, welchen Inhalt Recht in Europa allgemein haben sollte. Der 70. Geburtstag eines europäisch orientierten Rechtsgelehrten vermag einen geeigneten Anlass zu bieten. Aus diesem Grunde haben sich 70 Wissenschaftler zum 5. Februar 2000 in Würdigung der Verdienste Alfred Söllners mit dieser Frage befasst.
Dass ihnen dabei keine einfache einheitliche Antwort gelungen ist, kann angesichts der Vielfältigkeit und Schwierigkeit des Untersuchungsgegenstands kaum überraschen. An vielen einzelnen Stellen haben sie aber doch wichtige Fortschritte erzielt. Damit haben sie bedeutsame Bausteine für ein künftiges europäisches Recht geschaffen, an denen nach dem Vorbild der gesichert scheinenden Charta der Grundrechte weiter gearbeitet werden kann.
Im einzelnen betreffen manche
Ausführungen dabei die Rechtsgeschichte vielleicht nur mittelbar, zumindest
dann, wenn man die Grenze zwischen Rechtsgeschichte und Rechtsdogmatik weit vor
der Gegenwart zieht. Gleichwohl darf beispielhaft auf einige Beiträge in
alphabetischer Reihenfolge aufmerksam gemacht werden, in denen die Geschichte
für die eigene Zeit fruchtbar gemacht wird. Nennen lassen sich in diesem
Zusammenhang etwa Beuthien, Volker, Die
unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag im bürgerlichrechtlichen
Anspruchssystem, Birk, Rolf,
Arbeitsrechtliche Neuerungen in der revidierten Europäischen Sozialcharta von
1996, Blaurock, Uwe, Technik und Recht – Neue Regelungsfragen am Beispiel
des elektronischen Zahlungsverkehrs, Buchner, Herbert, Die
Sozialvorschriften des EG-Vertrages in der Fassung des Amsterdamer Vertrages, Bülow,
Peter, Der Grundsatz pacta sunt
servanda im europäischen Sekundärrecht, Dreher,
Meinrad, Gemeineuropäisches Kartellrecht, Eckert, Hans-Werner,
Europäisierung des Privatrechts – Die Bedeutung der Richtlinien der
Europäischen Union für die Schaffung einer einheitlichen Rechtsordnung, Eisenhardt, Ulrich, Zur Entwicklung des
Grundrechtsverständnisses in Deutschland in der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts, Gottwald, Peter, Zum Recht der Vertragsstrafe – Ein
kritischer Blick über den Zaun, Hammen,
Horst, Griechische Klassiker und römisches Recht, Heinze, Meinhard,
Entwicklung der europäischen Sozial- und Beschäftigungspolitik und ihrer
Grundlagen, Herzog, Roman, Staat und Staatsbegriff am Ende des
zwanzigsten Jahrhunderts, Kissel, Rudolf, Gedanken zur Vertragsfreiheit,
Knemeyer, Franz-Ludwig, Magna Charta
der kommunalen Selbstverwaltung, Köbl,
Ursula, „Generationengerechtigkeit“ – Überforderung von Politik und Recht?,
Köbler, Gerhard, Zehn Gebote
Schadensrecht, Kuchinke, Kurt, Über die
Notwendigkeit, ein gemeineuropäisches Familien- und Erbrecht zu schaffen, Kühl,
Kristian, Der Beitrag der Strafrechtswissenschaft zur Europäisierung des
Strafrechts, Landau, Herbert, Verwirklichung eines europaweiten „ne bis
in idem“ im Rahmen der Anwendung des § 153c Abs. 1 Nr. 3 StPO, Leipold,
Das Schriftenverzeichnis Alfred Söllners legt seine umfassende europarechtsgeschichtliche Ausrichtung eindrucksvoll dar. Ein ausführliches Sachregister ermöglicht das Auffinden aller europarechtsgeschichtlichen Sachgegenstände ohne große Schwierigkeit. Eine Einführung in europäisches Recht weist zusammen mit einer Bibliographie internationalen europäischen Rechts umfassend den Sachstand nach, den das europäische Recht auf Grund der Tätigkeiten unterschiedlichster Einrichtungen in den letzten fünfzig Jahren gewonnen hat.
Vielleicht vermag das Werk Europa im Recht zu noch bewussterem Handeln zu verhelfen als dies in langen Jahrhunderten europäischer Rechtsgeschichte bisher geschehen ist. Möglicherweise gelingt ihm der Nachweis der Notwendigkeit gesetzlicher Festlegung der allgemeinsten Regeln in einem möglichst überzeugenden Gesetzbuch. Darin jedenfalls sieht es Europas universale rechtsordnungspolitische Aufgabe im Recht des dritten Jahrtausends.
Innsbruck Gerhard Köbler