HünemörderWesterkamp20000904 Nr. 10146 ZRG
118 (2001)
Westerkamp,
Dominik,
Pressefreiheit und Zensur im Sachsen des Vormärz (= Juristische Zeitgeschichte,
Abteilung 1 Allgemeine Reihe 3). Nomos, Baden-Baden
1999. XVI, 180 S.
Die Crux des Historikers ist die
Gegenwart. Es ist zwar die Distanz, die es ihm ermöglicht, den in der Vergangenheit
liegenden Gegenstand zu beobachten, die Einflüsse, Sprache und Sichtweise
seiner Zeit vernebeln jedoch den Blick. Der Gegenstand wird klarer, nachdem das
Licht aus der Vergangenheit gebrochen ist, das Okular muß
unter Anwendung der von der historischen Forschung entwickelten Methoden
justiert werden. Dies gilt in besonderer Weise für den Rechtshistoriker, der es
mit Normen zu tun hat, mit einem Gegenstand also, der sich im deutenden
Verstehen von Sprache realisiert. Statt das Licht, das auf das „Preßrecht” Sachsens in der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts fällt, über die Äußerungen derer zu brechen, für die es Gegenwart
war, unterzieht Dominik Westerkamp es in seiner an der
Fernuniversität Hagen vorgelegten Dissertation über weite Strecken unmittelbar
einer eigenen, ganz in der heutigen Sichtweise befangenen Beurteilung. Die
umständliche Auslegung der einschlägigen Regelung in der sächsischen Verfassung
von 1831 nach Wortlaut, Systematik und Genese wirkt angestrengt (S. 33ff.). Nachdem der Autor seine exegetischen Fähigkeiten
(zeitblind) unter Beweis gestellt hat, widmet er sich der Frage, ob es sich bei
der Norm um ein Grundrecht oder einen bloßen Programmsatz handelt. Das
zeitgenössische Grundrechtsverständnis wird dabei nur am Rande erwähnt (S.
41f.), und weil ihn die von Otto Mayer in seiner 1909
erschienenen Abhandlung über das Staatsrecht des Königreichs Sachsen
getroffenen Aussagen nicht befriedigen, kommt Westerkamp lakonisch
zu dem Schluß, „Die damalige Rechtsauffassung zu Rate
zu ziehen, hilft bei der Klärung der Frage … nicht weiter.” (S. 43). Davon
abgesehen, daß Mayer erst am Ende der
untersuchten Ära geboren wurde, verläßt Westerkamp
mit dieser Feststellung die „damalige Rechtsauffassung”, um sogleich anhand
heutiger Kriterien fortzufahren. Die Brisanz, die seinerzeit in der
wissenschaftlichen, justitiellen und politischen
Diskussion politischer Grundrechte lag, in deren Mittelpunkt immerhin die
Pressefreiheit stand, wird auf diese Weise nicht freigelegt.
Im vorausgehenden ersten Teil klärt Westerkamp
auf etwas mehr als dreißig Seiten die Begriffe Pressefreiheit und Zensur,
gibt einen Überblick über die Geschichte Sachsens und thematisiert die
Geschichte der Zensur vom Heiligen Römischen Reich bis zum Inkrafttreten der
sächsischen Verfassung von 1831. In einem dritten Teil befaßt
er sich mit „Inhalts- und Ausführungsbestimmungen über Pressefreiheit und
Zensur von 1831-1843”. Eine Zäsur findet der Autor im Provisorischen Preßgesetz von 1844, um im vierten Teil eine Erörterung der
„Inhalts- und Ausführungsbestimmungen über Pressefreiheit und Zensur von 1844
bis zur Revolution 1848/49” folgen zu lassen. Auf knapp sechs Seiten stellt er
schließlich im fünften Teil die „Pressefreiheit während und nach der Revolution
1848/49” vor. Der Blick auf Sachsen ist gut gewählt. In unmittelbarer
Nachbarschaft zu Preußen und Österreich war Sachsen mit der Messestadt Leipzig
bekanntlich ein Zentrum des Buchdrucks und Buchhandels. Deshalb spiegeln sich
die Auseinandersetzungen um Pressefreiheit und Zensur im Kräftefeld politischer
und wirtschaftlicher Interessen in dem nach 1815 zum außenpolitisch machtlosen
Mittelstaat herabgesunkenen Königreich besonders klar wider. Obgleich Westerkamp
Archivalien erschließt, gelingt es ihm selten, seinen Gegenstand zu
historisieren. Wenn er etwa meint, „Allerdings ist zu bemängeln, daß gewisse Erleichterungen unterblieben, die … zu gewähren
möglich gewesen wäre …” (S. 62), oder darin, nicht das Mögliche zur Milderung
der Zensur getan zu haben, „liegt der eigentliche Fehler, den man der damaligen
sächsischen Regierung vorwerfen muß.” (S. 73), so
klingt dies so ambitioniert, als debattierte er aus eigener Betroffenheit. An
anderer Stelle heißt es angesichts einer den Status quo bewahrenden
Verordnungspraxis ohne gesetzliche Ermächtigung unvermittelt, „Derlei ist nach
heutiger Rechtsauffassung freilich nicht möglich.” (S. 71). Hier offenbart sich
das Erfordernis einer Abschichtung von rekonstruierter Vergangenheit und einer
die Vergleichsbasis konstituierenden Gegenwart.
Der Mangel an Methodik zeigt sich
auch bei der ansonsten erhellenden Darstellung der Viten von Zensoren und
Zensierten. Die Nähe zum Gegenstand der Betrachtung wirkt gelegentlich rührend:
„Glücklicherweise wandte sich für Hasse doch noch alles zu seinen Gunsten.” (S.
95). Das Dilemma der über Beschimpfung, Überbelastung und Unterbezahlung
klagenden Zensoren war allerdings struktureller Natur. Diese aufzuzeigen,
vermag Westerkamp nur ansatzweise. Mit den Änderungen, die die Zweite Kammer des Landtags an der Regierungsvorlage des
Provisorischen Preßgesetzes von 1844 beabsichtigte,
„sollte eine deutliche Verlagerung vom Polizeisystem der Zensur hin zu einem
möglichst reinen Justizsystem eintreten” (S. 127). Westerkamp diagnostiziert
insgesamt eine „Tendenz zu einer weiteren Verrechtlichung
des Zensurverfahrens.” (S. 136). „Den entscheidenden Schritt hin zu einer von
der Verwaltung völlig getrennten, unabhängigen Kontrolle durch die Justiz wollte
man aber [letztlich] nicht gehen.” (S. 137), Aufsichtsbehörde wurde in der
endgültigen Fassung des Gesetzes eine „Administrativjustizbehörde”, die aus „je
zwei Räten des Ministeriums des Innern und der obersten Justizbehörde”
zusammengesetzt war (S. 131). Der Rechtsweg war lediglich hinsichtlich der
Entschädigung für Zensurmaßnahmen eröffnet (S. 134). Die Stellung der Zensoren
blieb demgegenüber weitgehend unverändert. Zwar sah das Provisorische Preßgesetz von 1844 vor, daß das
Belegexemplar an eine öffentliche Bibliothek ging (S. 131), womit der Vorwurf
der Bereicherung durch die Zensoren entkräftet werden sollte. Da diese aber
weiterhin nebenamtlich tätig waren, damit etwa als Professoren zugleich den
Zensierten nahestanden sowie die Zensurgebühren einbehielten,
standen sie ungeschützt im Feuer der Kritik (S. 173 und passim).
Für eine Verbeamtung, die der Modernisierung des Zensurverfahrens entsprochen
hätte, „fehlte es an Geld” (S. 141). So sprach das Imprimatur des eben nur
nebenamtlichen Zensors den Zensierten denn auch nicht von zensurrechtlicher
Verantwortlichkeit frei (S. 149 und passim). Die wie
ehedem bestellten Zensoren bezeichnen damit eine Bruchstelle in der Entwicklung
der Zensur: die Stellung der eingreifenden Akteure korrespondierte nicht mit
der Etablierung der unpersönlichen Herrschaft des Rechts im Zensurverfahren,
die nicht zuletzt der Vereinheitlichung und damit Erhöhung der Effizienz
politischer Herrschaft diente. Die Zensoren blieben verwaltungsexterne
Gutachter. Dies wird jedoch nur sporadisch deutlich, Westerkamp hangelt
sich von Ereignis zu Ereignis, worunter die Kuriosität des 13. Kapitels fällt,
das aus ganzen zwei Sätzen besteht, in denen vermerkt ist, daß
zwischen 1844 und 1848 auf dem Gebiet der Rechtsetzung nichts Erwähnenswertes
geschah.
Jena Olaf
Hünemörder