HünemörderExecutive20000904
Nr. 10064 ZRG 118 (2001)
Executive and Legislative Powers in the
Constitutions of 1848-49, ed. by Dippel,
Horst. Duncker
& Humblot, Berlin 1999. 286 S.
Als Idee war die französische
Revolution ein europäisches Ereignis, zur unabweisbaren politischen Realität
Europas wurde sie durch Napoléon Bonaparte. Der “kleine” Korse, der, indem er
die Symbolik der tradierten Herrschaft nachahmte, sie zugleich desavouierte,
hatte das alte Europa über die Kräfte in Anspruch genommen. Noch hatte es gegen
den Geist der Zeit gesiegt, als es sich mit der Wiener Schlußakte
1815 und den nachfolgenden Verträgen lediglich territorial eine neue Ordnung
gab, aber nur in gemeinsamer verzweifelter Anstrengung. Um ihre Völker gegen
das Empire zu mobilisieren, hatten die feudalen Fürsten Geister revolutionärer
Provenienz gerufen, die sie nicht mehr loswerden sollten. Auf die Frage, “Why did Europe, at least since 1847 experience a renewed struggle for constitutions, culminating in 1848-9?”, die der Herausgegeber
des vorliegenden Bandes, Horst Dippel, in seiner Einleitung stellt (S.
2), wird man hinsichtlich der Gleichzeitigkeit der Verfassungsbewegung in der
Mitte des 19. Jahrhunderts einerseits auf den gemeinsamen Ausgangspunkt
verweisen müssen, andererseits auf die Synergieeffekte. Die zwölf in dem Band
vereinten Beiträge zeigen überdies, daß die
Bemühungen um Verfassunggebung in der ersten Hälfte
des Jahrhunderts in verschiedenen europäischen Regionen parallel liefen. Die
kritische Situation war zeitgleich gereift. So zeigt sich noch in der
Herausbildung der Nationalstaaten die kulturelle Homogenität Europas in den
Grenzen, in denen die römisch–katholische Kirche es
bis zur Reformation geformt hatte.
Im einzelnen sind in dem Band
vereint: Antonio Chiavistelli/Luca Mannori, The Tuscan Statute of 1848. Background
and Genesis of a Constitution; János Zlinszky, The First Hungarian Civil Constitution
(1848). Organization
of Executive and Legislative Power; Wilhelm Brauneder, Separation of Powers
in Austria’s First Constitutions;
Wilfried Speitkamp, Die Verfassungsfrage
in Kurhessen; Andreas Schulz, „Starke Regierung auf volksthümlicher
Grundlage.” Die revolutionären Verfassungen der Hansestädte von 1848/49; Arend
H. Huussen Jr., Constitutional
Reform in the Netherlands
1847-1848; Hartmut Ullrich, The Statuto Albertino;
Das Ungemach kam den Fürsten durch
die Hintertür ins Haus. Zunächst aufgezwungen, konnten oder wollten sie nach
ihrem Sieg manche der napoleonischen Reformen, durch die die
Ausbildung einer modernen Staatsbürokratie in ihren Ländern neue Impulse
bekommen hatte, nicht mehr rückgängig machen. Im Gegenteil, angesichts ihrer
brüchig gewordenen Autorität setzten sie auf Effizienz des Herrschaftsapparates
– der Beamte wurde zur Verkörperung des neutralen, dem Gemeinwohl
verpflichteten monarchischen Staates und die unpersönliche Herrschaft des
Gesetzes zum Inbegriff politischer Freiheit schlechthin. Der Gedanke der
Gewaltenteilung war den „gemischten
Staatsverfassungen” des alten Europa keineswegs fremd; einer temporären Allianz
der alten aristokratischen und neuen bürgerlichen Eliten ging es nun um die
Wiederherstellung eines Gleichgewichts mit den Fürsten und damit um angemessene
Partizipation. Die überkommenen landständischen Institutionen sollten
mobilisiert werden, freilich als eine der neuen wirtschaftlich–sozialen
Verfassung angemessene politische Repräsentanz. Angesichts der zentralen Rolle,
die das Recht neuerdings in der Ordnung des Politischen einnahm, beanspruchten
die potenten Kräfte den Part der Gesetzgebung. Diese Entwicklung scheint in
Europa in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts relativ gleichmäßig verlaufen
zu sein. Chiavistelli und
Mannori stellen für die Toskana fest, „But it was
precisely this development into a highly efficient bureaucratic state, that
broke the pluricentennial compromise between the
local elites and their sovereign.” (S. 32). In Kurhessen wurde „das Verwaltungssystem tiefgreifend modernisiert und
nach Kriterien des Büroprinzips und der Verfachlichung
reformiert. … das modernisierte Verwaltungssystem diente autokratischer Herrschaftspraxis.
… dies [konnte] die bürgerlich-adeligen Eliten des Kurstaats nicht mehr zufriedenstellen.” (Speitkamp,
S. 72). Lediglich die ständisch gegliederten Bürgergemeinden der norddeutschen
freien Reichsstädte machten eine Ausnahme, in ihnen kam der Konflikt „nicht vor der drohenden Kulisse des
Obrigkeitsstaates zustande, sondern als eine nüchterne Interessenabwägung
zwischen dem bürgerlichen Herrschaftsanspruch und den weiterdrängenden
Revolutionskräften.” (Schulz, S. 97). Es ist wohl eine Legende, daß in Ungarn das Streben nach nationaler Unabhängigkeit
die Verfassungsbewegung leitete. Zlinszky stellt für
das nach dem Wiener Kongreß 1825 zum ersten Mal einberufene Parlament fest, „At this stage, most of those participating in politics
regarded the feudal constitution as a guarantee of the relative independence of
Hungary within the Habsburg monarchy.” (S. 39). Es ging hier wie anderenorts um Partizipation. Selbst für
das Jahr 1848, in dem der Wandel von der feudalen zur
bürgerlichen Ordnung sich in einem Verfassungstext
manifestierte, heißt es, „It
is certain that the Vienna Revolution of 13 March was one of the main reasons
for the favorable reception of the proposals from the
Hungarian Parliament, …, and thus emphasized the loyalty to the Habsburg
dynasty.” (Zlinszky, S. 45). Erst die Unruhen, die die Verfassunggebung dieser Zeit
in ganz Europa begleiteten, die Gegenwehr der Fürsten provozierten und damit
den neuen Verfassungswerken ein jähes Ende bereiteten, führten dazu, daß das ungarische Parlament dem Hause Habsburg -
Lothringen am 14. April 1849 wegen Verfassungsbruchs die Rechte auf den
ungarischen Thron absprach (Zlinszky, S. 53).
Die oktroyierte österreichische Reichsverfassung vom 2. März 1849, über die es
an anderer Stelle heißt, „the classical separation
of powers and the federal distribution of powers are specified
much more clearly and not mixed as before”
(Brauneder, S. 62), sollte das Bemühen der
Parlamente um Verfassunggebung unterbrechen,
abbrechen konnte sie es hier wie anderswo nicht (Zlinszky,
S. 53; Brauneder, S. 64). Sieht man vom
früheren belgischen Verfassungstext ab, so war es unter den aus der
Verfassungsbewegung 1848/49 hervorgegangenen Verfassungen allein das Albertinische Statut, das mit einigen Textänderungen für
das Königreich Italien bis 1946 galt. „A major paradox of constitutional history may lie in
the fact that the silence about revision, intended as an expression of the
immutability of the Statuto Albertino, was to turn out as an important factor in
making this constitution a flexible one, …” (Ullrich, S. 144). Eine Freude jedes Verfassungsinterpreten!
Hein wirft in seinem Beitrag die bekannte
Frage auf, ob es der Verfassungsbewegung 1848/49 auf Reichsebene lediglich um
eine Konstitutionalisierung oder um die Parlamentarisierung politischer
Herrschaft gegangen war (S. 164f.). Er weist darauf hin, daß
die Verfassungsberatungen in Frankfurt am Main von der sich rasch wandelnden
politischen Lage geprägt gewesen seien, weshalb von den verabschiedeten Texten
nicht unmittelbar auf die Verfassungskonzeption geschlossen werden könne (S.
175). Zwar war die parlamentarische Verantwortlichkeit der Reichsexekutive im
Verfassungsentwurf nicht geregelt, weil sie einem besonderen, einem „dilatorischen” Gesetz vorbehalten
blieb, das über das Entwurfsstadium nicht hinauskam (S. 179). Die Begründung,
weshalb die Nationalversammlung „dem Reich – mit Ausnahme des Diplomatischen Dienstes, der
Marine und der Reichsfinanzverwaltung – keine administrativen Befugnisse”
zugestand und damit die monarchische Exekutivgewalt in den Einzelstaaten weitgehend
unberührt ließ (S. 182), fällt jedoch vergleichsweise schwach aus. Entgegen
seiner Aussage, als Historiker auf „das politische Leben der Revolutionszeit” zu rekurrieren (S.
167), begründet Hein die Zurückhaltung des Verfassunggebers
aus der ex–post–Perspektive. Es ist sicher richtig, daß „die
Gewichtsverteilung zwischen Reich und Einzelstaaten … auf einen Bundesstaat unitarischen Typs” hinauslief und damit, wie sich später im
Bismarck-Reich zeigte, eine Ausdehnung der Reichsexekutive verbunden war (S. 183).
Diese Wirkung hatte aber nicht einmal Bismarck vorausgesehen.
Plausibler erscheint es, daß es ex ante die Ansicht
der Mehrheit war (wie es an anderer Stelle heißt): „Der Herrschaft der Majoritäten müsse
ein ,Element der Ruhe’ und Stabilität entgegenstellt werden, das in der
staatlichen Exekutive seinen Mittelpunkt hatte.” (Schulz, S. 97). Hein
selbst zitiert Hermann v. Beckerath, „Eine absolut regierende Versammlung
kann ihr [der Freiheit] eben so gefährlich werden, als ein einzelner Despot.”
(S. 177). In Kurhessen sah es nicht anders
aus, „Streng genommen
wurde nicht einmal die Beseitigung des Konstitutionalismus angestrebt.” (Speitkamp, S. 75). Der Klang der Guillotinen, die
Erinnerung an die Schreckensherrschaft saß den Zeitgenossen noch tief im Mark.
Die Erkenntnis, daß Freiheit eines Widerlagers in
einer objektiven Ordnung bedarf, prägte – unterschiedlich reflektiert – im 19.
Jahrhundert die Auseinandersetzung um die institutionelle Neuordnung der
Herrschaftssysteme in Europa. Die Furcht vor einer Pöbelherrschaft ließ es den
elitären Verfassunggebern neben der Beschränkung des
Wahlrechts einstweilen geraten erscheinen, die monarchische Exekutivgewalt zu
akzeptieren. Daß die Zweispurigkeit der Legitimation
politischer Ordnung zu Konflikten und Krisen führt, vorübergehend aber auch
rettend wirken kann, ist eine Erfahrung späterer Tage.
Jena Olaf
Hünemörder