GrilliWunder20000814 Nr. 1112 ZRG 118 (2001)

 

 

Wunder, Bernd, Die badische Beamtenschaft zwischen Rheinbund und Reichsgründung (1806-1871). Dienstrecht, Pension, Ausbildung, Karriere, soziales Profil und politische Haltung (= Veröffentlichungen der Kommission für geschichtlichen Landeskunde in Baden - Württemberg, B (Forschungen), 136. Kohlhammer, Stuttgart 1998. 672 S.

Bernd Wunder ist mit dem in Einleitung (S. 1-20), Die Entstehung des Dienerediktes (S. 21-50), Die weitere Entwicklung des Dienerediktes (S. 51-108), Die badische Generalwitwenkasse (S. 109-146), Der Staatsdiener zwischen Strafrichter und Dienstherrn (S. 147-172), Die Staatsdiener und die Landstände (S. 173-234), Abgrenzung und Erweiterung der Staatsdienerschaft (S. 235-266), Die Ausbildung des höheren Dienstes (S. 267-306), Die Karriere der Staatsdiener (S. 307-348), Das soziale Profil der Staatsdiener (S. 349-400), Die Subalterndiener (S. 401-454), Die Unterbedienten (S. 455-514), Staatsdiener und Staatsbedienstete während der Revolution von 1848/49 (S. 515-540), Die Repression im Sommer und Herbst 1849 (S. 541-586), Die Statistik des Staatsdienstes (S. 587-634) und Zusammenfassung  (S. 635-662) gegliederten Werk eine durchaus vollständige, artikulierte und die verwaltungsgeschichtliche Forschung ein weites Stück voranbringende Darstellung der Entstehung und Entwicklung eines modernes Staatsdienstes im Europa des 19. Jahrhunderts gelungen. Sein Werk beruht auf einer breiten Quellenbasis, die neben dem Karlsruher Generallandesarchiv auch das Berliner Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz und die Pariser Archives du Ministère des Affaires Etrangères miteinbezieht.

Die Wahl des geographischen Gegenstandes der Forschung - das Großherzogtum Baden - ist besonders interessant: Baden „gehörte zu den großen Nutznießern der politischen Flurbereinigung rechts des Rheins zu Zeiten Napoleons“ (S. 7) und war daher eine künstliche Neuschöpfung des französischen Kaisers, in der konsolidierte und geographisch verankerte Traditionen sowie adelige Privilegien eine geringere Rolle spielten als in anderen deutschen Territorien.

Auch die Beamtenschaft sei übrigens eine „künstlich geschaffene Gruppe“ (S. 4). Die Entwicklung zur Modernität der badischen Bürokratie - wo ein mit der Monarchie auf Treue- und Privilegienniveau eng verknüpfter Adel von vornherein relativ schwach war - bestünde in einer Evolution zur Unpersönlichkeit: der Beamte ist dem Staat zweckdienlich, unabhängig davon, wer ihn befehligt oder verkörpert („Die Bindung des Staatsdienstes galt dem Gesetzesstaat, nicht der Monarchie“, S. 657).

Der Autor schildert sehr luzide eine solche Entwicklung am Beispiel der letzten Phase der Revolution 1849. Nach der Wiederherstellung der badischen Regierung dank der preußischen Intervention waren - außer in Sonderfällen - Strafmaßnahmen gegen die Beamtenschaft, die der Revolution gedient hatte, kaum realisierbar: der Staatsdienst war zu wichtig geworden, und seine Treue hatte der gesichtslosen und unpersönlichen Figur der gesetzmäßigen und bürokratischen Ordnung gegolten.

Die Etappen juristisch-politischer Art, welche die Entwicklung der badischen Beamtenschaft im obengenannten Sinn ermöglichten, bilden den Kern von Wunders Werk: von der Intervention Napoleons 1808, der Dalbergs Impulse auf die Reorganisation der Zentralverwaltung Badens nach zentralistisch-französischem Modell unterstützte (der Code Napoléon wurde übernommen, wenn auch in deutscher Fassung), zu der Dienstpragmatik 1809 und dem Dieneredikt 1819, die eine richtige Kodifikation im Bereiche des Staatsdienstes darstellten (grundlegende Elemente davon waren die Unkündbarkeit der Beamten nach fünf Jahre Probezeit, die Dienstbeendigung nur unter festgelegten Voraussetzungen und mit Pensionsanspruch und somit das Ende des willkürlichen Entlassungsrechts von Seiten des Dienstherrn), bis hin zur Schaffung eines Hinterbliebenenversorgungssystems (Generalwitwenkasse), das zum Pensionsrecht gehörte, vom Staat allein verwaltet wurde und die alte, aus dem 18. Jahrhundert stammende Fürsorge (herrschaftliche Gnadenpensionen, Almosen) ersetzte. Allgemeine Auswahlkriterien zum Eintreten in den höheren Staatsdienst - der somit aus der Perspektive des bürgerlichen Mittelstandes offener und begehrter wurde - entwickelten sich auch und wurden 1853 endgültig festgelegt: Studium der Rechte oder (im geringeren Teil) der Kameralistik, zwei Staatsexamina und ein zweijähriges Praktikum. Die Ähnlichkeit zur Ausbildung des heutigen deutschen Beamten könnte nicht auffallender sein!

Was dann die Beamtenkarriere betraf, hing sie eng mit Leistungskriterien zusammen, die dienstlich von den jeweiligen Vorgesetzten angewendet wurden. Die Zugehörigkeit zum Adel spielte bald als Beförderungskriterium kaum mehr eine Rolle (außer in spezifischen, mit dem Hof am meisten verknüpften Verwaltungsbereichen wie dem diplomatischen Dienst).

Die obengenannten Faktoren trugen zweifellos zu einer stärkeren Verstaatlichung des bürokratischen Apparats bei, die wohl aber auch zu einem Paradoxon führte: die jeweiligen Exekutiven versuchten zwar, die Treue der Beamtenschaft für sich zu gewinnen, diese galt aber letzten Endes vielmehr wiederum der sachlichen, farb- und leidenschaftslosen Idee der Gesetzesordnung schlechthin.

Parallele Tendenzen - denen der Autor weiten Raum widmet - lassen sich außerdem in der Evolution der badischen Beamtenschaft während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erkennen: dazu zählen z. B. der Streit zwischen Exekutive und Justiz um das Monopol der Sanktionen über Verbrechen, die im Rahmen der Amtsgewalt begangen wurden (sollte dann das so entstandene Konzept des Amtsverbrechens rein verwaltungsmäßiger, korrektiver oder eher gerichtlicher, epurierender Natur sein?), eine gewisse Tendenz zur Politisierung der Beamten, die bis in die 60er Jahre einen hohen Anteil der Sitze der Zweiten Kammer innehatten und meistens der Regierungspartei gehörten, und letztlich die progressive Ausdehnung der obengenannten Beamtengesetze auf die unteren Beamtenschichten (Skribenten und Angestellte) im Sinne einer weitgehenden Verrechtlichung der badischen Bürokratie.

Genau in dieser hohen, frühzeitig angefangenen und umfassenden Verrechtlichung und Vereinheitlichung besteht  letzten Endes für den Autor eines der Hauptkennzeichen der Originalität des badischen Beamtentums. Das andere Kennzeichen ist aber zweifellos die Kreation einer auf offener Laufbahn beruhenden hohen Bürokratie, deutscher und französischer Prägung zugleich, die auch der Hegemonialmacht Preußen gegenüber (wo Mitte des 19. Jahrhunderts noch eine partielle „Angleichung der Vorrechte der höheren Beamtenschaft an die Privilegien des Adels“ herrschte) eine Vorreiterrolle spielen sollte.

Brüssel                                                                                                 Antonio Grilli