GebhardtKissling20000824 Nr. 1241 ZRG 118 (2001)
Kissling, Peter,
„Gute Policey“ im Berchtesgadener Land.
Rechtsentwicklung und Verwaltung zwischen Landschaft und Obrigkeit 1377 bis
1803 (= Studien zu Policey und Policeywissenschaft).
Klostermann, Frankfurt am Main 1999. VII, 299 S.
Der Begriff „Policey“ diente im
frühneuzeitlichen Europa als generelle Umschreibung für staatliche Normen zur
Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens und der sozialen Ordnung. Bisher ging
man davon aus, dass mit diesen obrigkeitlichen Maßnahmen die Untertanen geformt
und damit die ständische Autonomie untergraben werden sollte. Die vorliegende
Publikation ‑ eine überarbeitete Fassung einer von Peter Blickle
an der Universität Bern betreuten Lizentiatsarbeit ‑ versucht diese These
zu erschüttern, wobei sie in ihrem Ansatz der Frage nachgeht, inwieweit
Einfluss der Untertanen auf die Policeygesetzgebung gegeben war. Damit wird
also der Blickwinkel nicht ausschließlich auf das Handeln der Obrigkeit gelegt,
sondern auch aus der Perspektive von unten die Gestaltung der Policeyordnungen
hinterfragt. Als exemplarisches Untersuchungsgebiet wurde das kleinste
Fürstentum des Heiligen Römischen Reiches, die bis 1803 reichsunmittelbare Fürstpropstei Berchtesgaden, gewählt.
Das Thema wird in vier großen Abschnitten aufbereitet. Nach
der Darstellung der politischen und rechtlichen Grundlagen im Spätmittelalter
und der frühen Neuzeit wird in den weiteren Kapiteln auf die Landespolicey von
1629, die Ordnung der Handwerke und des Marktes sowie schließlich auf die
Landespolicey von 1667 und die Landrechtsbücher eingegangen. Als
Quellengrundlage dienten vor allem die im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, im
Salzburger Landesarchiv sowie im Österreichischen Staatsarchiv verwahrten
Rechtssammlungen und Regierungsprotokolle.
Rechtshistorischer Ausgangspunkt der Darstellung ist der
Landbrief von 1377, der insbesondere für die Rechtsbeziehungen zwischen dem
Propst und den Untertanen im Rahmen der Grundherrschaft von Bedeutung war. Bis
zur frühen Neuzeit wurden die Grenzen der rechtlichen Dispositionsmöglichkeiten
für die Untertanen immer weiter gezogen, wenngleich die Berchtesgadener
letztlich Leibeigene waren, die sich vergeblich gegen die letzten Rechtsfolgen
dieses Status ‑ wie beim Ehekonsens und der Beschränkung der
Freizügigkeit ‑ gewehrt haben.
Im 16. Jahrhundert, als die Erzbischöfe von Köln in
Personalunion auch als Berchtesgadener Landesherrn agierten, setzte die
Gesetzgebung, die jeweils am Landrechtstag öffentlich kundgemacht wurde, erst
eigentlich ein. Und hier wird deutlich dokumentiert, dass es den Untertanen
insbesondere bei den Policeyordnungen von 1629 und 1667 gelang, einige ihrer
eigenen Interessen durchzusetzen, teilweise allerdings erst nach heftigen
Auseinandersetzungen mit der Obrigkeit. Die Untertanen waren inzwischen durch
zwei Gremien ‑ den dem Landgericht zugeordneten Burger‑ und Landrat
sowie dem der obrigkeitlichen Verwaltung gegenüber stehenden Ausschuss der Land‑
und Burgerschaft – institutionalisiert und konnten so direkter auftreten.
Während die ältere Policeyordnung in erster Linie dem
Besitzrecht sowie der Organisation des Landgerichts gewidmet war, finden sich
in der Ordnung von 1667 vor allem sicherheits‑ und ordnungspolizeiliche
Regelungen ‑ von der Bettelei bis zum Glücksspiel. Dabei sprach sich die
Land‑ und Burgerschaft zum Beispiel weniger für die Armenfürsorge als
vielmehr für die Verhinderung von Armut aus, wobei etwa Ehen mit Armen
untersagt werden konnten.
Darüber hinaus war man allerdings mit der Herrschaft einer
Meinung, dass nur Einheimische ein Anrecht auf Unterstützung hatten, während
von außen kommende Vaganten als Sicherheitsrisiko eingestuft wurden. Bezüglich
der Durchführung von Sicherheitsmaßnahmen manifestierten sich allerdings wieder
Differenzen. Die Untertanen wehrten sich gegen die von der Obrigkeit geforderte
Professionalisierung des Sicherheitswesens und entschieden sich stattdessen für
das Milizsystem. Eine deutliche Einseitigkeit zugunsten der Obrigkeit lässt
sich jedoch bei der Wildereigesetzgebung und der Konfessionalisierungspolitik
beobachten.
Bei den ebenfalls sehr ausführlich behandelten Handwerks‑
und Marktordnungen der frühen Neuzeit zeigt sich vor allem, dass hier die
Obrigkeit und die Betroffenen darauf achteten, dass es zwischen den Handwerksgruppen
klar abgegrenzte Felder und keine Konkurrenz gab. Außerdem erreichten es die
Handwerksmeister, die Normen bezüglich Produktionsprozess und
Arbeitsorganisation zu beeinflussen.
Es wird also an vielen Beispielen deutlich herausgearbeitet, dass es der Land‑ und Burgerschaft in vielen Bereichen gelang, ihre Ziele im Rahmen des Normsetzungsverfahrens einzubringen und auch durchzusetzen. Dabei boten sich diverse Formen von Einflussmöglichkeiten an. Das reichte von Beschwerden über Suppliken bis hin zu einem zeitweise von der Obrigkeit stillschweigend geduldeten Konsentierungsrecht. Insgesamt bietet die fundierte Untersuchung jedenfalls einen überaus spannenden Einblick in die faszinierende Auseinandersetzung zwischen Obrigkeit und Untertanen um die Festlegung staatlicher Aufgaben im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit.
Graz Helmut
Gebhardt