EpperleinBelow20000905 Nr. 1119 ZRG 118 (2001)
Below, Stefan von/Breit, Stefan, Wald – von der Gottesgabe zum Privateigentum. Gerichtliche
Konflikte zwischen Landesherren und Untertanen um den Wald in der frühen
Neuzeit (= Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte 43). Lucius und Lucius,
Stuttgart 1998. XI, 331 S.
Die Erforschung von Rohstoffressourcen in vorindustrieller
Zeit, besonders der Wälder und ihre Nutzungsproblematik war in letzter Zeit
mehrfach Gegenstand eingehender Recherchen.[1]
In diesen Forschungstrend fügen sich vorliegende
Untersuchungen ein. Zwei den Rechtshistoriker beim Übergang von der frühen
Neuzeit zur Moderne vorab interessierende Prozesse werden an zwei
Fallbeispielen untersucht und dargestellt. Die Herausbildung eines neuen Eigentumsbegriffes
und die Verrechtlichung sozialer Konflikte. In Abkehr von einer vorwiegend
institutionell denkenden Verfassungs- und Rechtsgeschichte wird ein
konflikttheoretischer Ansatz gewählt. In der Tat war ja die Entwicklung von
Nutzungsrechten zum Eigentum am Wald ein von langwierigen Streitigkeiten
begleiteter und geprägter Prozess. So werden zu Beginn des 17. Jahrhunderts im
Herzogtum Bayern zwischen Maximilian I. und mehreren Gemeinden teilweise
heftige Auseinandersetzungen um ein kleines Gehölz in der Nähe des Klosters
Ebersberg östlich von München geführt (Stefan Breit). Gegen eine 1604
erlassene Holzordnung, die die bäuerliche Waldnutzung drastisch einschränkte,
klagten die Gemeinden zunächst vor dem Hofgericht in München und wandten sich
schließlich 1607 an das Reichskammergericht in Speyer. Der Herzog interpretierte
die Anrufung eines auswärtigen Gerichts als Rebellion und reagierte
entsprechend. In der Auffassung der Bauern war aber das Reichskammergericht
eine Instanz, die jeder Untertan gegen die Beschneidung seiner Rechte anrufen
konnte. Der Herzog habe, so die bäuerliche Argumentation, dagegen verstoßen,
was er „bey Huldigung aller Underthanen und Landsassen zugesagt und versprochen
habe“, nämlich „sei bey ihrer alten hergebrachten Gerechtigkeit verpleiben zu
lassen und dazwischen nichts fürzunehmen.“
Die erlassen Holzordnung sei daher „wider alles Recht und
Billigkeit.“
Bei der Rechtfertigung der bäuerlichen Klage kam der
Berufung auf die „Gmain“ besondere Bedeutung zu. Gmain konnte das Streitobjekt
(Gemeindewälder), die Dorfgenossenschaft und während des Prozesses schließlich
die Gesamtheit der Widerstand leistenden Bauern bezeichnen. Wer sich der Klage
nicht anschloss, wurde aus der Gmain verstoßen ‑ ein Widerstandsherd, der
sich mit der Berufung auf das Gewohnheitsrecht dem Herrschaftsanspruch des
bayrischen Territorialstaates vergeblich zu entziehen suchte. Die erlassene
Holzordnung blieb bis am Ende des sich über 30 Jahre hinziehenden Konfliktes in
Kraft. Die landesherrliche Forstpolitik hatte sich schließlich durchgesetzt und
ihr Obereigentum an den Gemeindewäldern behauptet.
In einem zweiten Beitrag analysiert Stefan von Below
Auseinandersetzungen der Berner Obrigkeit und mehreren Gemeinden des Amtes
Buren im Berner Seeland, die Mitte des 18. Jahrhunderts begannen und über fünf
Jahre andauerten. Der Rechtsstreit wurde zwischen dem forstpolitischen
Exekutivorgan der Obrigkeit, der 1713 eingerichteten „teutschen Holzkammer“ und
bäuerlichen Nutzungskorporationen ausgefochten. Diese machten auf
gewohnheitsrechtlicher Grundlage Eigentumsansprüche an den Wäldern geltend, an
denen dagegen Bern Obereigentumsrechte behauptete und damit die
Landesherrschaft auch in den Wäldern durchsetzen wollte. Das 1758 zu Ungunsten
der Bauern gefällte Urteil hatte indes angesichts der Vollzugsschwäche der
Berner Forstverwaltung und den ausgeprägten Befugnissen der Gemeinde für die
Verhältnisse in den Bürener Gemeindewäldern zunächst kaum praktische
Konsequenzen. Erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Wälder
mit dem Loskauf von der Pflicht zur Brennholzlieferung an das Bürener Schloss
1834 und der Aufhebung des Waldweidganges in Privateigentum überführt.
Insgesamt gesehen lassen die von Breit und von Below untersuchten
vor Gericht ausgetragenen Konflikte um Privateigentum am Wald die von der Blickle‑Schule
akzentuierte Rolle der ländlichen Bevölkerung als aktivierende Elemente in der
Geschichte erneut erkennen. Der Rechtshistoriker wird den sich allmählich
vollziehenden Übergang von den gewaltsamen Auseinandersetzungen zur friedlichen
Beilegung von Streitigkeiten sicher positiv bewerten.
Naturgemäß hatten die Prozesspartner unterschiedliche
Auffassungen bei der Beantwortung der Frage „Wem gehört der Wald“. Die
bestehenden Machtverhältnisse wirkten auf Prozessverlauf und Urteilsfindung
nachhaltig ein und gaben letztlich den Ausschlag. Dennoch ist es bemerkenswert,
was an Rechtssuche und partieller Rechtsfindung in jenen von Gewalt und Willkür
gezeichneten Jahrhunderten der frühen Neuzeit möglich war.
Neuenhagen bei Berlin Siegfried
Epperlein
[1] Hans Wilhelm Eckhardt, Herrschaftliche Jagd, bäuerliche Not und bürgerliche Kritik. Zur Geschichte der fürstlichen und adligen Jagdprivilegien vornehmlich im süddeutschen Raum. Göttingen 1976; Peter Blickle, Wem gehört der Wald? Konflikte zwischen Bauern und Obrigkeiten um Nutzungs‑ und Eigentumsansprüche. in: Zs. F. württembergische Landesgeschichte, 45. (1986), 176ff.; Joachim Allmann, Der Wald in der frühen Neuzeit. Eine mentalitäts- und sozialgeschichtliche Untersuchung am Beispiel des Pfälzer Raumes 1500‑1800, Berlin 1989; Siegfried Epperlein, Waldnutzung, Waldstreitigkeiten und Waldschutz in Deutschland im hohen Mittelalter. 2. Hälfte 11. Jahrhundert bis ausgehendes 14. Jahrhundert. in: Vierteljahrsschrift für Sozial‑ und Wirtschaftsgeschichte. Beihefte, Nr. 109, Stuttgart 1993.