EbelReformabsolutismus20000619 Nr. 1167 ZRG 118 (2001)
Reformabsolutismus und ständische Gesellschaft. Zweihundert
Jahre Preußisches Allgemeines Landrecht, hg. v. Birtsch, Günter/Willoweit,
Dietmar (= Forschungen zur brandenburgischen und preussischen Geschichte
Beiheft 3).
In Ergänzung zu den nicht wenigen Tagungsbänden, die das
zweihundertjährige Jubiläum des preußischen Allgemeinen Landrechts
hervorgebracht hat, ist ein weiteres gewichtiges Buch als Ergebnis eines
Symposiums der Preußischen Historischen Kommission anzuzeigen, das eine Fülle
wertvoller Beiträge enthält. 14 Vorträge sind es, die unter den Vorzeichen
„Entstehungsgeschichte“ und „rechtspolitische Ziele“ zusammengefaßt werden. Es
können nicht alle der interessanten Beiträge ausführlich behandelt werden; dem
Rezensenten sei eine subjektive Auswahl erlaubt, die keine Zurücksetzung der
nur genannten Artikel enthält.
Im ersten Teil gibt Notker Hammerstein einen
Überblick über die Lehre des Naturrechts an den deutschen, speziell preußischen
Universitäten im 18. Jahrhundert. Aber Preußen bietet, trotz Halle, zunächst
wenig; die Literatur über Duisburg, Königsberg und Frankfurt gibt
dementsprechend wenig her. Es ist eben doch Göttingen der „Trendsetter“ in der
Wissenschaftslandschaft, zu dem erst allmählich Leipzig und Jena aufrücken. So
weitet sich der Blick auf die deutschen Universitäten allgemein.
Es werden die allgemein bekannten Neuerrichtungen von
Naturrechtslehrstühlen seit Heidelberg 1661 genannt, die freilich für die
Theorie des neuen Modefachs zumeist wenig ergiebig, auch meist in den
Artistenfakultäten angesiedelt waren. In Halle ist es natürlich Thomasius, der
in seiner allgemeinen Wissenschaftstheorie ‑ nur scheinbar
widersprüchlich ‑ eine Art Vorgriff auf die historische Relativierung des
späteren Naturrechts unternahm. Dieser Blick ist neu; er erklärt die dem 19.
Jahrhundert vorarbeitende Tätigkeit der pejorativ sogenannten „juristischen
Antiquare“ des 18. Jahrhunderts. Damit war dann die propädeutische Funktion des
Naturrechts vorgegeben, die allenthalben wahrgenommen wird. Unterstrichen wird dies durch die Rolle der zahlreichen
Naturrechtskompendien, vermittelt vor allem durch Pufendorf, unter denen selbst
die Ansätze bei Christian Wolff variiert wurden. Wolff scheint überhaupt heute
wichtiger genommen zu werden als im 18. Jahrhundert. Diese Art von Naturrecht
und Aufklärung verbreitet sich im 18. Jahrhundert in den katholischen wie
protestantischen Teilen des Reichs. Ob es sich freilich um eine erstmalige
Einheit solcher Grundsätze seit der Reformation handelt, bedarf des Zweifels,
jedenfalls bezüglich der methodischen Grundlagen, die seit den
Anfangen/Vorläufern des usus modernus nicht entsprechend unterschieden.
Christoph Link,
Aufgeklärtes Naturrecht und Gesetzgebung ‑ vom Systemgedanken zur Kodifikation,
bemüht sich zum einen, das Verhältnis zwischen Naturrecht und positivem Recht
zu bestimmen, zum andern sich dem Systemgedanken des Allgemeinen Landrechts zu
nähern. Im ersten Punkt wird der Legitimitätsdruck hervorgehoben, dem
monarchische Entscheidungen in den „absolutistischen“ Staaten stark unterworfen
waren. Freilich ist zu betonen, daß Svarez diese Denkfigur später ganz
umgekehrt bewertete und den Herrschaftsvertrag als „nützlichen Grund für den
Gehorsam der Untertanen“ bezeichnen konnte. Die von Link in diesem
Zusammenhang aufgeworfene Frage der Kompatibilität des Naturrechts mit der
Gesetzgebung zur materiellen Überprüfbarkeit von Gesetzen mit dem Naturrecht
erinnert übrigens ‑ wenngleich das eine unhistorische Bemerkung sein mag ‑
an heutige Fragen der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen. Jedenfalls lag aber
Svarez die Anerkennung des Naturrechts als positiver Rechtsquelle fern. Dennoch
führt die Komplexität dieser Ideen zu einer gewissen Rechtsstaatlichkeit, wenn
auch in zeitgebundener Bedeutung. Etwas unverbunden mit diesen interessanten
Ausführungen folgt die Abhandlung von Systemfragen im Allgemeinen Landrecht,
bei der Link eine solide Skizze bietet. Freilich fehlt es an einer
Bestimmung dessen, was unter „System“ verstanden wird (die Literatur zu dieser
Frage ist bekanntlich höchst umfangreich). Daß das Allgemeine Landrecht kein
„preußisches Naturrecht“ sei, wie Link wohl unter Bezugnahme auf Dilthey
subsumiert, sei zugestanden. Daran aber, daß es eine jedenfalls inhaltlich
einmalige preußische Kodifikation war, möchte der Rezensent festhalten.
Die nächsten Beiträge seien notiert: Günter Birtsch
befaßt sich mit der Rechtsauffassung Friedrichs des Großen unter dem Titel:
Reformabsolutismus und Gesetzesstaat, wobei natürlich der Müller Arnold zu
seinem bei einem Kongreß über das Allgemeine Landrecht unvermeidbaren Recht
kommt. Eckhardt Hellmuth diskutiert die Freiheitsentwürfe von Svarez und
Klein (Noch einmal Freiheit und Eigentum) und befaßt sich hierbei mit der in
der Tat hochwichtigen Frage einer damals schon als solcher bezeichenbaren
liberalen Wirtschaftsverfassung, bei der Klein als der moderne, Svarez als der
retardierende Autor erscheint.
Einer bislang zu wenig beachteten Quelle widmet sich Dietmar
Willoweit, Die Revisio Monitorum C. G. Svarez’[1]. Acht Bände von
Monita des 1784/88 publizierten preußischen AGB-Entwurfs wurden ausgewertet und
werden überprüft. Zu wenig beachtet deshalb, weil Willoweit einen
Längsschnitt wagt und sich nicht nur auf die Entstehung einzelner Vorschriften
des Allgemeinen Landrechts beschränkt, auch wenn sich dieser Längsschnitt keine
Vollständigkeit beimißt. Es werden die Argumente sichtbar, mit denen Svarez
seine Regelungsvorschläge begründet. Es wird gezeigt, daß die bestehende
Rechtslage sachlich zumeist nicht geändert werden sollte, sondern nur
zusammengefaßt wurde ‑ ein Motiv, das noch für heutige allgemeine
Gesetzgebung an meist erster Stelle steht. Hiermit verbunden werden Denkstil
und Systematik des Gesetzes verdeutlicht und wird die doch nur beschränkte
Rolle der Sätze des Naturrechts sichtbar gemacht. „Die herausragende Tätigkeit
dieses Mannes (d. h. Svarez’) war die Kunst zu differenzieren, nicht die
philosophische Spekulation“ (S. 100). Abgerundet wird die vertiefte und
interessante Abhandlung schließlich mit der Darstellung eines grundsätzlichen,
für das vorliberale Preußen maßgeblichen Spannungsfeldes: dem der
wohlerworbenen bürgerlichen Rechte (namentlich des Eigentums) und deren
Begrenzung durch das gemeine Wohl. Willoweit macht durchweg klar, daß
eine Beurteilung von Svarez allein aus der liberalen Situation des 19.
Jahrhunderts der Situation und dem Allgemeinen Landrecht nicht angemessen ist.
Im nächstfolgenden Beitrag widmet sich Andreas Schwennicke
dem Einfluß der Landstände auf die Regelungen des Allgemeinen Landrechts von
1794, gestützt namentlich ebenso wie Willoweit auf die Monita, einer
Quelle, für die er sich schon anderwärts als Kenner ausgewiesen hat. Den
Ständen wird eine eher weniger bedeutende Rolle bei der Veränderung des
Entwurfs zugewiesen.
Peter Krause
bietet in seiner Studie „Die Überforderung des aufgeklärten Absolutismus Preußens
durch die Gesetzgebung“ einen Gesamtabriß der Entstehung von Allgemeinem
Gesetzbuch und Allgemeinem Landrecht, bei der auffällt, daß fast nur ältere
Literatur zitiert wird, das aber kompensiert durch ausführlichstes Stützen auf
die Quellen der behandelten Zeit. Die umfassende Darstellung korrigiert in
manchem herkömmliche Vorstellungen über das Herrscherbild, das Friedrich II.
verbindlich gemacht hat und an dem seine Nachfolger scheitern mußten.
Der zweite Teil des Bandes widmet sich den rechtspolitischen
Zielen des Allgemeinen Landrechts. Diethelm Klippel und Louis Pahlow
skizzieren die Bedeutung der Kodifikation für die Menschen‑ und
Bürgerrechte. Grundrechtliche Bedeutung wird den entsprechenden Normen des
Allgemeinen Landrechts (z. B. Einf. § 183) abgesprochen, seine tendenzielle ‑
anders geartete ‑ Rechtsstaatlichkeit indessen postuliert.
Klaus Luig
setzt einen vergleichenden Akzent („Das Privatrecht des Allgemeinen Landrechts
und seine Stellung unter den Naturrechtsgesetzbüchern der Aufklärung“). Bei
aller Verwurzelung in der gemeinsamen gemeinrechtlichen Tradition ist doch die
Hinwendung zur Pflichtenlehre des älteren Naturrechts nicht zu übersehen. Dem
Ständerecht widmet sich Gerd Kleinheyer („Das herkömmliche Verständnis
der Stände und die kodifikatorische Regelung des Ständerechts im Preußischen
Allgemeinen Landrecht 1794“). Dabei wird insbesondere die Klammerfunktion
desselben herausgearbeitet, doch hierbei zu Recht auf den Zusammenhang mit den
Provinzialrechten verwiesen. Einen Sonderaspekt hierzu liefert Ute Frevert
mit ihrem Beitrag: „Der Bürgerstand ‑ Funktionsstand in der
geburtsständischen Gesellschaft?“ Daß die Analogie zu den beiden anderen
Ständen keine stringente Lösung finden konnte, wird von der Verfasserin gut
nachvollziehbar ausgeführt. Hartmut Harnisch liefert dann das Gegenstück
mit: „Bauer und bürgerliche Gesellschaft“ und muß hier die abschließende Rolle
der Kodifikation gegenüber den Neuerungen des 19. Jahrhunderts konstatieren.
„Die Minderheitenproblematik in den preußischen Staaten und das Allgemeine
Landrecht“ ist Thema für A. Breitenhorn und problematisiert die Stellung
der Juden und die Armutsfrage ‑ eine wenig überzeugende
Parallelfragestellung. Das ja nur kurzlebige Strafrecht wird abschließend von Dirk
Blasius untersucht.
Die Beiträge sind unterschiedlich vertiefend, zeigen damit
den Forschungsstand recht treffend an, teilweise aus den Materialien schöpfend
weiterführend, aber auch gestützt auf die aktuelle Literatur eher summierend.
Interessant aber ist der Band allemal.
Berlin‑Dahlem Friedrich
Ebel
[1] Vertiefend: F. Ebel (Hg.), Gemeinwohl - Freiheit - Vernunft - Rechtsstaat. 200 Jahre Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, Berlin 1995, S. 1ff.