DeterHandwerk2000 Nr. 10076 ZRG 118 (2001)
Handwerk zwischen Zunft und Gewerbefreiheit. Quellen zum
Handwerksrecht im 19. Jahrhundert (= Quellensammlung zum Handwerks‑ und
Gewerberecht l), hg. v. Bernert, Helmut. Kassel 1999. XVII, 510 S.
Sehr zu Recht beklagt der Herausgeber dieser umfänglichen
Quellensammlung, dass sich die Darstellungen zur Einführung der Gewerbefreiheit
in Deutschland bisher lediglich mit den Stein‑Hardenbergischen Reformen
in Preußen befasst haben und allenfalls noch die Gesetzgebung in Württemberg
und Bayern der Erwähnung wert fanden ‑ während sie die zeitgleichen
Ansätze in den kleineren Staaten des Deutschen Bundes souverän ignorierten. Bernert
will dazu beitragen, diesem Missstand abzuhelfen. Er hat es deshalb
unternommen, der Forschung mit seiner Edition des Handwerksrechts hessischer
Mittel‑ und Kleinstaaten des 19. Jahrhunderts neue, bislang unerkannt
gebliebene Aspekte zu erschließen.
Seinem Gegenstand entsprechend versammelt der Herausgeber
Dokumente aus den Jahren 1807 bis 1867, jener Zeitspanne also, die sich
zwischen der Errichtung des Königreichs Westphalen sowie dem Beginn der
Gewerbereform einerseits und dem Aufgehen Kurhessens, Nassaus und Frankfurts in
Preußen andererseits dehnte. Bernert eröffnet seinen Band mit den Gesetzen
über die Einführung einer Patentsteuer und die Aufhebung der Zünfte in dem
napoleonischen „Modellstaat“, als welcher das Königreich Westphalen sehr zu
Recht bezeichnet worden ist.
Das nach dem Zusammenbruch der Fremdherrschaft
wiedererrichtete Kurfürstentum Hessen wies dem Gewerberecht dann aber den
entgegengesetzten Weg: Schon 1816 erließ der Gesetzgeber in Kassel eine
detaillierte Zunftordnung, die weitestgehend an die Regelungen und den
Zunftbrauch des 18. Jahrhunderts anknüpfte. Auch in den folgenden Jahren sah
Hessen‑Kassel im Gewerberecht einen Schwerpunkt seiner Gesetzgebung:
Bestimmungen über die gerichtliche Zuständigkeit in Zunftsachen, die
Lebensmitteltaxen und das Wandern der Gesellen folgten in den zwanziger Jahren.
Es kennzeichnet die außerordentlich gründliche Vorgehensweise des Herausgebers,
dass er die gesamte Gesetzgebung der von ihm berücksichtigten Territorien
durchgesehen und selbst in vermeintlich entlegenen Regelungszusammenhängen für
das Kleingewerbe bedeutsame Normen entdeckt hat, die er präsentiert: So
bestimmte, um nur einige Beispiele zu erwähnen, die kurhessische
Verfassungsurkunde von 1831, dass Gewerbe‑Privilegien ohne Zustimmung der
Landstände nicht mehr erteilt werden durften, das Edikt über die
Rechtsverhältnisse der Standesherren aus dem Jahre 1833 überwies das Zunftwesen
der Zuständigkeit der standesherrlichen Polizeibehörden, und die 1834 erlassene
Städte‑ und Gemeindeordnung normierte die Berechtigung zur Ausübung eines
Handwerks als eine der möglichen Voraussetzungen zum Erwerb des
Ortsbürgerrechts. Die Bundesratsbeschlüsse über das Wandern der Gesellen, die
in Hessen in Kraft gesetzt wurden, sind ebenso in der Sammlung berücksichtigt
wie die Bestimmungen über die Handwerkerschulen. 1840 hob Kurhessen den
Zunftzwang auf, und 1865 schließlich, unmittelbar vor dem Aufgehen des Staates
in Preußen, legte die hessische Regierung einen Gesetzentwurf vor, der allen
Staatsangehörigen ausdrücklich die Berechtigung zur Ausübung des
Gewerbebetriebs einräumte.
Ganz anders entwickelte sich das Gewerberecht in Nassau.
Nachdem 1809 eine Gewerbesteuer eingeführt worden war, beseitigte der
Gesetzgeber zehn Jahre später, 1819, den Zunftzwang. Das kleine Fürstentum
vollzog dann die wesentlichen Schritte der preußischen Gewerbegesetzgebung der
Zeit mit: 1829 wurde eine Polizeiverordnung zur Gesellenwanderung erlassen und
1849 der Prüfungszwang wieder eingeführt. Das Gewerbegesetz des Jahres 1860
schließlich brachte, ganz dem Zeitgeist verpflichtet, auch in Nassau die
völlige Liberalisierung des Gewerberechts.
Bedächtiger gerierte man sich in Waldeck; zwar waren die
Gesellen dort seit 1811 verpflichtet, Wanderbücher zu führen. Erst in den
dreißiger Jahren begann der Gesetzgeber aber gewisse, anderwärts längst als
„Missbräuche“ empfundene Bestimmungen des hergebrachten Zunftrechts wie den
Zunftschluss oder das Erfordernis der ehelichen Geburt und des christlichen
Bekenntnisses der Lehrlinge zu beseitigen, während er auf die Einhaltung der
Wanderjahre weiterhin besonderen Wert legte. 1862 schließlich erließ auch
Waldeck eine liberale Gewerbeordnung, die den Zunftzwang, nicht aber die Zünfte
aufhob.
Die die Handwerker betreffende Gesetzgebung der Freien Stadt
Frankfurt zeigte sich zwar den damals virulenten Reformgedanken gegenüber noch
zurückhaltender. Neben der zeittypischen und daher wenig spektakulären
Verordnung über die Einführung der Wanderbücher aus dem Jahre 1817 und der
Beseitigung der zunfttypischen Beschränkung der Gesellenzahl fällt jedoch als
innovativer, den Forderungen des Frankfurter Handwerker‑ und
Gewerbekongresses des Jahres 1848 entlehnter Ansatz das 1855 in Kraft getretene
Gesetz über die Errichtung einer Gewerbekammer auf. 1864 wurde dann durch
mehrere Gesetze die Gewerbefreiheit auch in der ehemaligen Reichsstadt
eingeführt.
Mit einer vorzugsweise für die Regionalgeschichtsforschung
nutzbaren Quellensammlung lässt es der Herausgeber nicht bewenden: Durch die
Aufnahme der Materialien und Entwürfe des Frankfurter Paulskirchen‑Parlaments
zu einer einheitlichen deutschen Gewerbegesetzgebung und der entsprechenden
Beschlüsse der Frankfurter Handwerker‑ und Gesellenkongresse ‑
Texte, die bislang nur schwer zugänglich waren ‑ gewinnt der Band
Bedeutung für die gesamte Handwerksgeschichtsforschung zum 19. Jahrhundert.
Das akribische Aufsuchen der Quellen, dem sich die
ungewöhnliche Vollständigkeit der Sammlung verdankt, besticht ebenso wie die
Sorgfalt der Edition. Niemand, der sich künftig mit der Rechts‑, aber
auch der Wirtschafts‑ und Sozialgeschichte des Handwerks im 19. Jahrhundert
beschäftigt, kann an diesem mit einer Literaturübersicht und einem
ausführlichen Register versehenen Werk vorübergehen.
Bonn Gerhard
Deter