CarlenBraun20000217 Nr. 1095 ZRG 118 (2001)
Braun, Bettina, Die Eidgenossen, das
Reich und das politische System Karls V. (= Schriften zur Verfassungsgeschichte
53). Duncker & Humblot, Berlin 1997. 602 S.
In einer guten Einleitung und einem Überblick über die
Forschung umreißt die Autorin die Problemstellung. Dann behandelt sie in einem
ersten Teil das Verhältnis der Eidgenossenschaft zum Reich und in einem zweiten
Teil die Eidgenossen und das politische System Karls V.
Um 1500 wandelte sich nicht nur die innere Gestalt der Eidgenossenschaft,
sondern auch die Aussenbeziehungen wurden revidiert. Das betraf vor allem die
Reichszugehörigkeit. Kritisch untersucht die Autorin die in den Handbüchern
vertretene Ansicht, dass die Schweizer Eidgenossenschaft mit dem Ende des
Schwabenkrieges de facto unabhängig vom Reich wurde. Zu den Wormser
Reformbeschlüssen von 1495 nahmen die Eidgenossen, die zunächst die Tragweite
des Reformwerkes nicht erkannten, nicht formell Stellung. Sie mussten sich aber
mit gewissen Fragen auseinandersetzen. So lehnten sie es ab, den gemeinen
Pfennig und spätere Steuerforderungen zu bezahlen, Fragen, die auf den
eidgenössischen Tagsatzungen zu regen Diskussionen führten. Auch der Beitrag
zur Türkenabwehr wurde, trotz rechtlichen Schritten gegenüber den Eidgenossen,
abgelehnt, bis Karl V. in einer politischen Lösung auf den Beitrag verzichtete.
Auch gegenüber dem Reichskammergericht verhielten sich die Eidgenossen
ablehnend. Die Verfasserin kommt auch zum Schluss, dass aufgrund der Akten des
Bundesarchivs Frankfurt und des Hauptstaatsarchivs Stuttgart „das
Reichskammergericht für die Rechtsprechung in der Eidgenossenschaft insgesamt
nur eine geringe Rolle spielt“ (S. 190), abgesehen von einigen typisch
gelagerten Fällen von Prozessen, die vor das Reichskammergericht gelangten. Die
Reichstage beschickten die Eidgenossen, abgesehen von Zürich, Bern und andern
Städten, im 16. Jahrhundert nicht. Wenn sie auch Bereitschaft bekundeten, sich
am Romzug zu beteiligen, nahmen sie doch im Reichsverband, dem sie im 16.
Jahrhundert zugehörig blieben, eine Sonderstellung ein. Das Reich blieb für die
Eidgenossen Legitimationsbasis, indem sich deren 13 Orte auf königliche und
kaiserliche Privilegien abstützten. Unter Friedrich III. wurden diese nicht bestätigt,
wohl aber von Maximilian, Karl V. und Ferdinand I. Die Äbte der
reichsunmittelbaren Klöster in der Schweiz bemühten sich um die kaiserliche
Belehnung. Hingegen ließ sich die Eidgenossenschaft, anfänglich mit Ausnahme
von Basel, Schaffhausen und St. Gallen, nicht in die Kreisverfassung des
Reiches einbeziehen.
Die Verfasserin zeigt, wie mit den Burgunderkriegen sich
eine Wende in der eidgenössischen Politik anbahnte: Neben Habsburg trat
Frankreich, die beide um die Vorherrschaft kämpften. Mit ihren attraktiven
Söldnern hatten die Eidgenossen einen besonderen Trumpf in der Hand. Versuchte
bereits Maximilian die Eidgenossen in seine Politik einzubinden, tat das Karl
V. in besonderem Maß, wobei Diplomatie und Bündnisse taugliche Mittel waren.
Vor allem die Erbeinung 1511, als ein Nachbarschaftsvertrag zur Vermeidung und
Regelung von Konflikten zwischen Österreich-Burgund und den Eidgenossen und
sekundär auch für geregelte Wirtschaftsbeziehungen sowie die Festlegung einer
von Habsburg an die Eidgenossen bezahlten Pension (Erbeinungsgeld). Da die
Eidgenossenschaft in das politische System Karls V. eingegliederte Länder
umgaben, waren für diesen die Eidgenossen besonders wichtig. Diese waren
jedoch zwischen Frankreich und Karl V. zurückhaltend, schlossen aber auch
Verträge mit Frankreich, welche die Verfasserin mit jenen gegenüber Habsburg
vergleicht.
Mit der zwischen Herzog Ferdinand und den fünf katholischen
Orten der Innerschweiz abgeschlossenen christlichen Vereinigung von 1529, die
eine recht mühsame Vorgeschichte hat, erhielt die Erbeinung in der neuen
Situation der konfessionellen Spaltung eine Ergänzung und wurde ein
konfessionelles Sonderbündnis geschlossen. 1532/33 wurde rege um ein Bündnis
der katholischen Orte mit Kaiser und Papst gerungen. Die eingehenden
Ausführungen der Verfasserin über die diplomatische Vertretung Karls und
Ferdinands in der Eidgenossenschaft sind ein interessantes Kapitel der
Diplomatiegeschichte, wobei auch die konspirative Seite des
Gesandtschaftswesens mit Kundschaften und Spionen beachtet wird. Sie zeigen,
dass Karl versuchte, „in seinem Streben, sein imposantes Imperium und damit die
Vorherrschaft in Europa zu sichern und zu stabilisieren ... die Eidgenossen in
sein System einzubinden“ (S. 544). Das Ringen zwischen Habsburg und Frankreich
um die Hegemonie aber beherrschte die Diplomatie, wobei wirtschaftliche
Überlegungen, geographische Lage und Konfession eine „unübersichtliche
Landschaft der Eidgenossenschaft im 16. Jahrhundert“ schufen (S. 519) und so
verschiedene Interessen zwischen den beiden Großmächten schwankten.
Das Buch von Bettina Braun ist eine scharfsinnige Analyse
des behandelten Themas. Es gelingt ihr nicht nur eine spannende Darstellung,
sondern verschiedentlich auch die Korrektur bisheriger Geschichtsbilder. Das
ist vor allem auch möglich durch die Verarbeitung eines immensen
Quellenmaterials, das sich neben den gedruckten Quellen auf die Ausbeute
ungedruckter Quellen aus 18 Archiven Deutschlands, Frankreichs, Österreichs,
Spaniens und der Schweiz stützt. Reichsgeschichte und eidgenössische
Geschichte erfahren eine willkommene Bereicherung.
Brig Louis Carlen