BuschmannCattaneo20000314 Nr. 1153 ZRG 118 (2001)

 

 

Cattaneo, Mario A., Karl Grolmans strafrechtlicher Humanismus. Aus dem Italienischen von Thomas Vormbaum (= Juristische Zeitgeschichte, Abteilung 4, Leben und Werk 1). Nomos, Baden-Baden 1998. 122 S.

Der bekannte italienische Rechtsphilosoph Mario A. Cattaneo gilt als einer der besten Kenner des Strafrechtes und der Strafrechtswissenschaft der Aufklärungszeit. Seine Untersuchungen über Thomasius, Feuerbach und über die Strafrechtsphilosophie der Aufklärung zählen zu den wichtigsten Arbeiten, die zu dieser Thematik in den letzten Jahren erschienen sind, im deutschen Sprachbereich jedoch bisher nur wenig Beachtung gefunden haben. Umsomehr ist zu begrüßen, daß nunmehr eine der wichtigsten Untersuchungen Cattaneos aus den letzten Jahren, nämlich die Studie über Karl Ludwig von Grolman (1775-1829) ins Deutsche übertragen und damit dem deutschsprachigen Leserkreis zugänglich wird. Die Übertragung ist Thomas Vormbaum zu verdanken, der sich durch die Herausgabe einer umfangreichen Dokumentation über die Strafrechtsdenker der Neuzeit verdient gemacht und in dieser wichtige Texte von Grolman publiziert hat, auch und nicht zuletzt, um die Quellen von Grolmans Strafrechtslehre der Vergessenheit zu entreißen.

In der Tat gehört Grolman zu jenen Strafrechtsdenkern des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts, die – ähnlich wie sein gelehrter Vorläufer und zugleich Mitstreiter Christoph Carl Stübel (1764-1828) – in den rechtsgeschichtlichen wie in den strafrechtsgeschichtlichen Darstellungen eher ein Schattendasein führen, obwohl die von ihnen vertretenen Lehren nicht nur unter den Zeitgenossen auf eine beachtliche Resonanz trafen, sondern Gedanken enthielten, die auch in späteren strafrechtlichen Diskussionen eine Rolle spielten. Dies gilt namentlich für die von Grolman und Stübel vertretene Lehre von der Spezialprävention, die, nachdem ihre Verfechter Feuerbach und dessen Lehre von der Generalprävention in der gelehrten und rechtspolitischen Auseinandersetzung unterlegen waren, in der Strafrechtswissenschaft unseres Jahrhunderts in Gestalt der Theorie vom Täterstrafrecht, wenn auch in veränderter Form, überraschende Aktualität erlangte. Schon aus diesem Grunde erscheint es angezeigt, Cattaneos Studie über Grolmans Lehre, deren geistige Grundlagen und historische Hintergründe für die strafrechtliche und strafrechtsgeschichtliche Diskussion der Gegenwart fruchtbar zu machen.

Cattaneo beginnt seine Untersuchung mit einer unmittelbar aus den Quellen geschöpften Darstellung der Strafrechtslehre Grolmans, wobei er zu Recht darauf verweist, daß diese Lehre in der Auseinandersetzung mit Grolmans Vorläufer Stübel entstanden ist. Hauptquelle der Grolmanschen Gedanken sind die 1798 erschienenen „Grundsätze der Criminalwissenschaft“, die Cattaneo zutreffend in den Mittelpunkt seiner Darlegungen stellt. In diesem Werk findet sich neben anderen Materien auch die Begründung für die Lehre von der Spezialprävention, die zu dem bereits erwähnten Gelehrtenstreit mit Feuerbach geführt hat, der folgerichtig von Cattaneo im Anschluß an die Lehre Grolmans beschrieben wird. Das Schlußkapitel ist der Frage nach dem Verhältnis der Grolmanschen Lehren und Kants Philosophie gewidmet, das, so meint Cattaneo, wesentlich kritischer beschaffen gewesen sei, als man dies gemeinhin bisher angenommen habe. In einer Schlußbetrachtung unternimmt Cattaneo schließlich den Versuch, Grolmans Stellung in der Geschichte der Strafrechtstheorie in ihrer Gesamtheit zu beurteilen, wobei er die vielfach geäußerte Auffassung, daß diese, insbesondere deren Kern, die Lehre von der Spezialprävention, untrennbar mit dem aufgeklärten Absolutismus und dem absolutistischen Polizeistaat verbunden sei, zu widerlegen sucht. Vielmehr sei, so Cattanaeo, Grolman wie sein Widersacher Feuerbach ein Anhänger der Strafrechtslehre Kants gewesen, als deren wichtigste Forderung die nach Milderung und Humanisierung der Strafe bei gleichzeitiger Angemessenheit der angewandten Strafmittel betrachtet werden müsse. Vor allem Grolman habe in dieser Angemessenheit der Strafe die Verwirklichung der Gerechtigkeit im konkreten Einzelfall gesehen, hierbei Grenzen sowohl für den Gesetzgeber als auch für den Richter postuliert und insgesamt für ein humanes Strafrecht plädiert. Konsequent spricht Cattaneo daher von einem strafrechtlichen Humanismus Grolmans – eine These, die sich zwar fugenlos in die allgemeine Auffassung vom Charakter des Strafrechts und der Strafrechtslehre der Aufklärung und deren Repräsentanten einordnet, wie diese jedoch nicht ohne Skepsis geteilt werden kann.

Die Auffassung von einer Humanisierung des Strafrechts oder von einem strafrechtlichen Humanismus in der Aufklärung kann nur geteilt werden, wenn man unter Humanisierung des Strafrechts die Abkehr vom peinlichen Strafrecht mit seinen grausamen Strafen und die Forderung nach Angemessenheit oder besser Verhältnismäßigkeit der Strafen und der Strafzumessung versteht, nicht hingegen die Bezeichnung für ein humanes Strafrecht im heutigen Verständnis des Wortes „human“. Human in diesem Sinne waren die Strafen, von denen auch die Vertreter des strafrechtlichen Humanismus und mit diesen Grolman sprechen, keineswegs, wie ein Blick in die Strafgesetzgebung des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts und übrigens auch deren lehrbuchmäßige Darstellung zeigt – vom Vollzug der Strafen in der Strafrechtspraxis ganz zu schweigen.

Salzburg                                                                                                              Arno Buschmann