BürgeRudischhauser20000830 Nr. 10074 ZRG 118 (2001)

 

 

Rudischhauser, Sabine, Vertrag, Tarif, Gesetz. Der politische Liberalismus und die Anfänge des Arbeitsrechts in Frankreich 1890-1902 (= Studien des Frankreich-Zentrums der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg 4). Berlin Verlag, Berlin 1999. 291 S.

Der Gegenstand dieser niveauvollen historischen Dissertation ist rasch skizziert: Sabine Rudischhauser zeichnet die gesetzgeberischen Aktivitäten auf dem Gebiet des Arbeitsrechts nach, die 1890 nach der Boulanger-Krise einsetzten und mit der Einführung des Zehn-Stunden-Tages für Jugendliche und Frauen durch das Gesetz vom 30. 3. 1900 (D.P. 1900.4.44; S. 1900.4.1089) sowie der sich daran anschließenden Auseinandersetzung um den Acht-Stunden-Tag im Bergbau zu einem vorläufigen Ende fanden. Sie bietet aber nicht nur Gesetzgebungsgeschichte, sondern auch anschauliche Sozialgeschichte, denn es ging bei diesem Ringen um nichts weniger als um die Stellung der Gewerkschaften und um das Streikrecht. Da sich die soziale Debatte immer wieder auf die liberté du travail bezog, haben wir zudem einen höchst anregenden Beitrag zur Geschichte rechtlicher Ideen, der durch die Berücksichtigung der gutdokumentierten Rechtsprechung noch gewinnt.

Überaus nützlich ist die klärende Erläuterung des Begriffs Liberalismus in der nicht einfach zu verstehenden damaligen Parteienlandschaft (S. 11ff.). Dabei widersteht Rudischhauser der Versuchung, aus deutscher Sicht französische Positionen mit Etiketten wie ‚fortschrittlich‘ oder ‚rückständig‘ zu versehen, vielmehr bemüht sie sich, die Entwicklung aus sich heraus zu begreifen. Sie beschränkt sich dafür klugerweise auf eine wirtschaftsliberale Haltung, die auf die Sprengkraft der Freiheit vertraute und für die Jules Ferry stehen mag (S. 24). Sie betont den Gedanken der Assoziation, dessen Bedeutung klar wird, wenn man sich die Hürden vor Augen hält, die angesichts der tiefverwurzelten Assoziationsfeindlichkeit in der französischen Gesetzgebung auf dem Wege zur Koalitionsfreiheit zu überwinden waren. Für die geistigen Grundlagen der liberté du travail geht sie auf die Anfänge bei Turgot und die - eben jede intermediäre Gewalt aus­schließende - loi Le Chapelier von 1791 zurück (S. 28ff.), die das größte Hindernis für die Entwicklung einer Gewerkschaftsbewegung bildete (S. 32ff.). Nach deren Zulassung im Jahre 1884 blieb im Namen der liberté du travail das Streikverbot bestehen, bis das Gegenmachtsprinzip langsam durchdrang (S. 35). Ob diese liberté du travail gegenüber einem Interventionismus jakobinischer Denkart ursprünglich wirklich geschlossen war, möchten wir allerdings sowohl für Turgots Zeit als auch für die Restauration bezweifeln. Vielmehr dürfte sie zunächst mit dem Paternalismus vereinbar gewesen sein, den Rudisch­hauser dann als Gegengewicht entwickelt. Sie macht ihn an den Ideen eines Le Play und seiner Anhänger fest, die mancherorts - insbesondere in Großbetrieben - in die Realität von betrieblichen Sozialeinrichtungen bis hin zu Kranken- und Pensionskassen umgesetzt wurden. Soweit das Paradigma des Paternalismus die liberté du travail als Freiheit vor Staatsinterventionen verstand, waren die Konfliktherde gegeben: die Gewerkschaften und speziell das Streikrecht.

Im Blick auf das Arbeiterschutzrecht (S. 40ff.) betont Rudischhauser, daß es sich nicht geradlinig aus den Regelungen zur Kinderarbeit fortentwickelt habe; sie räumt freilich ein (Fn. 108), daß dort das dogmatische Instrumentarium bereitgestellt worden war - und dann eben dem Gesetzgeber zur Verfügung stand. Die Gründe für ihre Zurückhaltung werden deutlich, wenn sie darlegt, daß der Schutz von Kindern und Frauen als Schutz des Schwächeren in der rechtspolitischen Diskussion oft nicht mit dem Postulat des Arbeiter­schutzes verschmolz, sondern davon getrennt wurde. Die einheitliche Betrachtung wurde nur von der Arbeiterbewegung gefordert (S. 44ff.), während die wirtschaftsliberale Doktrin den Arbeiter auf die Durchsetzungsfähigkeit im Rahmen der invidualrechtlichen liberté du travail verwies.

Wie sinnvoll diese feine Differenzierung ist, erweist sich bei der Auslotung der Grenzen des liberalen Arbeitsrechts (S. 49ff.): Sowohl die auf der Weltausstellung von 1889 präsentierte Bilanz der Sozialpolitik, die ganz im Zeichen des Paternalismus stand und der spät noch eine Spitze gegen staatliche Interventionen eingezogen wurde, als auch das Auftreten auf der - ursprünglich von der Schweiz initiierten - Berliner Arbeiterschutz­konferenz von 1890 (S. 60ff.) erzwangen die Debatte um die Rolle des Staates in diesem Bereich. Das Beispiel der Berliner Konferenz zeigt übrigens, was der Zwang bewirken kann, vor internationalen Übereinkommen zu bestehen. Interessant sind die Tendenzen zu einer unheiligen Allianz von Anhängern einer Gesetzgebung zum Schutz der Arbeiter und Verfechtern einer Schutzzollpolitik (S. 54), da damit wirtschaftsliberale Kernpostulate in Frage gestellt wurden. Sie blieben zunächst jedoch ohne Erfolg. Der Bewußtseinswandel zeigt sich darin, daß nun ganz im Sinne der von Jules Simon in Berlin vertretenen Position entschiedener versucht wurde, das Potential des Individualarbeitsvertrages auszuschöpfen, so im Gesetz vom 27. 12. 1890 (D.P. 1891.4.33; S. 1891.4.130), das die Möglichkeit einer Schadensersatzpflicht auch des Arbeitgebers bei einseitiger Kündigung eines auf unbestimmte Dauer eingegangenen Arbeitsvertrages vorsah. Im Vordergrund stand dabei der Schutz wohlerworbener Rechte gegenüber Vorsorgeeinrichtungen des kündigenden Betriebes.

Zu Recht rückt aber Rudischhauser die Diskussion um die Gewerkschaftsfreiheit in den Mittelpunkt (S. 71ff.). Auch entschiedene Anhänger einer liberté du travail wurden aufgeschreckt durch die Pressionen seitens der Arbeitgeber, Arbeiter vom Beitritt zu einer Gewerkschaft abzuhalten, die Clemenceau 1890 dokumentierte. Damit konturierte sich die erste Scheidelinie. Die für einen ausgesprochenen Paternalismus eintretenden Liberalen wandten sich im Namen der liberté du travail dagegen, die gesetzliche Garantie der positiven Koalitionsfreiheit auch im Verhältnis gegenüber den Arbeitgebern zu gewähren. Ihnen standen die Wirtschaftsliberalen gegenüber, die den Streik als Mittel des Arbeits­kampfes ablehnten, aber bereit waren, die Rolle der Gewerkschaften als Partei in einem Arbitrage-Verfahren zu akzeptieren und zu fördern.

Mit guten Gründen betont Rudischhauser, daß die oft als erster Tarifvertrag bezeichnete Convention d'Arras von 1891 kein Tarifvertrag, sondern Resultat einer vom Préfet mit staatlichem Druck ausgeübten Arbitrage war (S. 85ff.). Dies ist zentral, wie die Auseinandersetzung um die negative Koalitionsfreiheit und um die Sanktionsmöglich­keiten der Gewerkschaften gegenüber Streikbrechern lehrt, als sich Gerichte bereit zeigten, auf Druck von Gewerkschaften erfolgte Entlassungen als wirksam zu behandeln (S. 91ff.). Rechtsdogmatisch äußerte es sich in der Ablehnung jedweder Drittwirkung der von den Gewerkschaften ausgehandelten Abkommen auf den Individualvertrag, die auch von der Cour de Cassation bestätigt wurde (S. 98ff.). Der Schritt zum kollektiven Arbeitsrecht wurde also gerade nicht vollzogen, sondern die Parteien sahen sich auf die Vermittlerrolle bei Arbeitskämpfen im Interesse des einzelnen Arbeitnehmers verwiesen. Symptomatisch sind der drittelparitätisch besetzte Conseil supérieur du travail, den die Regierung 1891 ins Leben rief, und die durch das Gesetz vom 27. 12. 1892 (D.P. 1893.4.33; S. 1893.4.532) geförderten Schlichtungsverfahren. Die nachfolgende Entwicklung zeigt den französischen Weg, Postulate der Berliner Konferenz zu verwirklichen, nämlich die staatliche Inter­vention für Schutzbedürftige, die mit dem Gesetz vom 2. 11. 1892 (D.P. 1893.4.24; S. 1893.4.521) beim Schutz der Kinder, Frauen und Mütter einsetzte. Damit blieb der Grundsatz der liberté du travail unangetastet. Dennoch wurde hier eine Wendemarke erreicht und ein wichtiger Schritt in Richtung eines Interventionismus vollzogen, da man nicht länger im Zeichen des Fortschrittes auf eine allmähliche Verbesserung der Sitten baute, sondern erstmals die Kompetenz des Staates anerkannte, hinsichtlich der Arbeits­zeit in den Individualarbeitsvertrag einzugreifen (S. 107ff.). Interessant ist hier die Darstellung auch deshalb, weil sie ein besonderes Augenmerk auf die Effektivität der beschlossenen Gesetze richtet.

Für längere Zeit stagnierte dann der gesetzgeberische Elan. Die Jahre bis 1898 stehen unter dem Stichwort der défense sociale, der liberalen Blockade des Arbeitsrechts (S. 135ff.). Die folgenden Auseinandersetzungen wurden von den sich verschärfenden sozialen Spannungen geprägt, welche die Anhänger eines paternalistischen Ansatzes und die Wirtschaftsliberalen zusammenfinden ließen, um dem Schreckgespenst des Sozialis­mus zu begegnen. Sie manifestierten sich in einem repressiven Vorgehen gegen gewerk­schaftliche Aktivitäten, paradigmatisch am Beispiel des Konfliktes um die Pariser Bourse du travail, eine von der Stadt unterstützte neutrale Arbeitsvermittlungsstelle (S. 150ff.). Mit deren Schließung wurde die öffentliche Rolle der Gewerkschaften grundsätzlich in Frage gestellt; in den Arbeitskonflikten in den nordfranzösischen Kohlebergbaugebieten bekam das tiefverwurzelte Mißtrauen gegen intermediäre Gewalten wieder Oberhand (S. 158ff.). Die ausschließliche Favorisierung des Instruments des Individualvertrages verhinderte alle Versuche, neue Formen kollektiver Repräsentation einzuführen. Für Frankreich bezeichnend ist allerdings der Weg, den viele Kommunen, unter ihnen die Stadt Paris, einschlugen, durch Festlegung von Mindestlöhnen (Série des prix) bei der Vergabe öffentlicher Aufträge soziale Forderungen durchzusetzen (S. 173ff.). Sie scheiterten zwar am Conseil d’État, blieben aber dennoch in der politischen Diskussion. Durch die 1899 dekretierte Schaffung von Commissions mixtes wurde die Ausarbeitung solcher Lohnlisten institutionalisiert; dahinter verbarg sich aber mehr schlecht als recht eine staatsinterventio­nistische Haltung. Die liberté du travail wurde damit formal nicht angetastet, ihre Extension jedoch gegenüber den staatlichen Befugnissen eingeschränkt.

Die Auseinandersetzungen zwischen 1899 bis 1902 werden durch die Annäherung zwischen republikanisch gesinnten Liberalen und Sozialisten in der Folge der Dreyfus-Affäre geprägt (S. 193ff.). Den Sieg, den die Liberalen mit der Verteidigung der liberté du travail errangen, läßt sich dahingehend umschreiben, daß negative und positive Koalitions­freiheit gleichgestellt wurden und daß gegen Verstöße beider Seiten dagegen nur zivil­rechtliche Sanktionen vorgesehen waren, daß aber letztlich die Rolle der Gewerkschaften als Tarifpartner nicht anerkannt wurde. Das zeigte sich auch bei den Auseinandersetzungen um die Rolle der Conseils du travail[1]. Der französische antikorporationistische Reflex samt seiner Abneigung gegen Streiks hatte obsiegt. Diese Tendenzen waren schon bei der Schlichtung des Creusot-Streiks 1899 deutlich zu tage getreten. Im Gegenzug wurde nun zur Sicherung des sozialen Friedens der Arbeiterschutz zum Mittel staatlicher Industrie­politik. Die Einführung des Zehn-Stunden-Tages zunächst für Jugendliche und Frauen übte faktisch einen Anpassungsdruck zugunsten der anderen Beschäftigten in der davon am stärksten betroffenen Textilindustrie aus; in deren Gefolge wurde dann eine ganze Reihe von Maßnahmen des Arbeiterschutzes Gesetz. Die für die Liberalen wichtige Fiktion des freien Arbeiters blieb damit erhalten. Unter dem gleichen Gesichtspunkt der Gesundheits­vorsorge wurde schließlich - nach einer durch den Senat verursachten Verzögerung - der Acht-Stunden-Tag im Bergbau eingeführt (D.P. 1906.4.114; S. 1905.4.1001).

Die Arbeit von Rudischhauser hilft, die Eigenart der französischen Arbeits­verfassung zu verstehen, insbesondere die Schwierigkeiten, zu einer funktionierenden Sozialpartnerschaft zu gelangen, die sich in einer relativen Schwäche der Gewerkschaften nicht zuletzt in institutioneller Hinsicht äußert. Sie öffnet den Blick für die Ursache der verbreiteten Staatsintervention bei der Ordnung der Arbeitsbeziehungen, die in ihrer Entstehung für Außenstehende so eigenartig mit der liberté du travail zusammenspielt und einmal mehr ein Beispiel bietet, wie schillernd der Begriff der Freiheit ist. Zudem beginnt man das Selbstverständnis der jeweiligen Eliten zu begreifen, was weit über das Thema der Arbeit hinausführt.

Wenn man im Grundsätzlichen Kritik üben muß, so betrifft das die Frage der historischen Kontinuität. Der Titel der Arbeit kann hier leicht in die Irre führen. Treffender wäre es, von den Anfängen des kollektiven Arbeitsrechts zu sprechen. Arbeitsrecht gab es schon vorher, was sich nicht nur in einschlägigen Handbüchern für Praktiker niederschlägt. In der Sache könnte man dies beispielsweise an der Behandlung der auf S. 105 angespro­chenen Fabrikreglemente (règlements d’atelier) im Laufe des Jahrhunderts nachzeichnen, die zunächst sicher eine betont etatistische Komponente hatten und die Prüfungskompetenz des Préfet de police fraglos voraussetzten[2]. Für diese Tradition interventionistischen Denkens ließen sich zudem leicht weitere frühe Belege finden[3]. Erst mit einem gewandel­ten Verständnis der Vertragsfreiheit, das mit der von Rudischhauser beschriebenen liberté du travail harmonisiert, änderte sich dies. Eine ähnliche Entwicklung kann man bei der Behandlung der Arbeitsunfälle feststellen, wo die frühere paternalistische Praxis der Gerichte angesichts einer gewandelten Lehre zum Verschuldensvorwurf zu neuen Begrün­dungsmodellen finden mußte. Aus dem gleichen Grunde findet man durchaus auch für die Praxis der Festlegung von Mindestlöhnen durch die lokalen Behörden gute frühe Anknüpfungspunkte. Erst mit der Juli-Monarchie begann sich die neue Konzeption allgemein durchzusetzen und in den Köpfen niederzuschlagen.

Deshalb irritiert es den Rechtshistoriker, wenn von naturrechtlicher liberté du travail gesprochen wird, da damit die Anknüpfung an das Denken der Aufklärung des 17. und 18. Jahrhunderts nahegelegt wird; dahinter verbirgt sich jedoch ein späterer liberalistischer Vertragsbegriff und eine völlig gewandelte Einstellung zur Rolle des Staates bei der Regelung privatrechtlicher Beziehungen, wobei das alte Gedankengut nie ganz vergessen ging[4]. In diesem Moment erst beginnt sich der Paternalismus vom wirtschaftlichen Liberalismus zu differenzieren, ohne daß jedoch der starke Staat aus der Realität je ganz verabschiedet worden wäre. Von diesem Moment an wird die Analyse von Rudischhauser stimmig, und sicher hat sie recht, wenn wir die neue Qualität der Arbeitsverhältnisse, der Auseinandersetzungen und der Lösungsinstrumente betrachten, die gegen die Jahr­hundertwende faßbar wird und in eine neue Dimension führt.

Wir haben hier versucht, vor allem den Gang der Ideen nachzuzeichnen, und ver­weisen den Leser daher auf die Arbeit, wenn er die Namen der Akteure und überhaupt das historische Detail sucht. Die Lektüre lohnt sich, weil Rudischhauser immer sorgfältig recherchiert und die Mühe intensiver Archivarbeit nie gescheut hat. Da wird man auch auf vieles stoßen, was wir hier ausblenden mußten, so die Rolle der Kirche, die im ganzen Jahrhundert stets mitzubedenken ist; sie erscheint etwa bei der Frage der Bildung von gemischten Gewerkschaften, die nicht als gegnerfreie Vereinigung konzipiert waren. Ein hübsches Beispiel bietet die Notre Dame de l’usine (S. 94), die man als eine zur Aus­beutung der Arbeitskraft gegründete Gebetsbruderschaft eines Fabrikunternehmers bezeichnen möchte. Als Jurist hätte man sich nicht nur den Hinweis auf die Publikation der Gesetzestexte in den Recueils Sirey und Dalloz, die dank der oft umfangreichen Auszüge aus den Materialien eine zusätzliche, wichtige Facette beisteuern, sondern auch eine stärkere Gliederung nach dem jeweils erreichten gesetzgeberischen Fortschritt gewünscht. Allerdings steht dem der Vorzug gegenüber, daß die Verabschiedung eines Gesetzes nie als absolute Zäsur erscheint, sondern die vielfältigen Fäden der Ideengeschichte weiter verfolgt werden. Darüber hinaus wird man als Jurist noch mit vielem belohnt, genannt seien nur wichtige Beobachtungen zur Drittwirkung von Verträgen, die die Arbeit durch­ziehen; Hinweise zur Symmetrie von Kündigungsrechten kommen hinzu, und plötzlich wird man gewahr, daß in den siebziger Jahren auch in der Rechtsprechung zu den Kündigungsvorschriften die Figur des abus de droit auftaucht (S. 218). Man bedauert daher, daß solche und andere Kostbarkeiten nicht durch ein Sachregister erschlossen werden. In allem ist aber klar geworden, daß Rudischhauser eine hervorragende Arbeit vorgelegt hat, die eine wichtige Phase der französischen Arbeitsrechtsentwicklung ebenso klug wie erschöpfend behandelt. Dank des Gespürs für Mentalitäten und die Bedeutung von geistigen Einstellungen weist sie über den behandelten Zeitraum hinaus und bekommt damit eine Aktualität, die nie vordergründig herbeigezwungen wird, sondern sich aus der sorgfältigen Analyse des Gegenstandes scheinbar zwanglos ergibt.

München                                                                                                             Alfons Bürge



[1] Vgl. dazu noch N. Olszak, Les Conseils du Travail en France (1892-1908): Représentation syndicale ou représentation élective des intérêts professionnels, in: H. Van Goethem u. a. Hg., Libertés, pluralisme et droit: une approche historique, Bruxelles 1995, S. 239-252.

[2] Vgl. in diesem Sinne A. Bürge, Vom polizeilichen Ordnungsdenken zum Liberalismus. Entwicklungslinien des französischen Arbeitsrechts in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Archiv für Sozialgeschichte 31 (1991) S. 1 - 25, 6ff.

[3] Nicht zu Unrecht stützten sich schließlich die Befürworter des Gesetzes vom 27. 12. 1890 auf die Ansicht Pothiers, wonach eine „sans motif légitime“ erfolgte Kündigung des Dienstvertrages unzulässig sei, so Delattre D.P. 1891.4.36. Richtig verweist denn auch Rudischhauser S. 262 darauf, daß sich die Regierung für die Regelung der Arbeitsverhältnisse im Bergbau auf eine seit 1810 bestehende Tradition der Staatsintervention in diesem Bereich berief.

[4] Als Beispiel für eine solche Kontinuität der Tradition sei einmal mehr genannt Ch. Dupont-White, Essai sur les relations du travail avec le capital, Paris 1846, vgl. im übrigen die Hinweise in Fn. 3.