BenöhrCortesi20000221
Nr. 809 ZRG 118 (2001)
Cortesi, Oreste, Die
Kaufpreisgefahr. Eine dogmatische Analyse des schweizerischen Rechts aus
rechtshistorischer und rechtsvergleichender Sicht unter besonderer
Berücksichtigung des Doppelverkaufs. Schulthess, Zürich 1996. XXV, 179 S.
Cortesi, Verfasser dieser von H. Honsell betreuten Zürcher Dissertation, zieht eine Linie von D. 18, 6, 8: perfecta emptione periculum ad emptorem respiciet, zu Art. 185 Absatz 1 des schweizerischen Obligationenrechts von 1911/1912 mit seinen beiden, auch hier getrennt behandelten Halbsätzen: Sofern nicht besondere Verhältnisse oder Verabredungen eine Ausnahme begründen, gehen Nutzen und Gefahr der Sache mit dem Abschlusse des Vertrages auf den Erwerber über. Parallel dazu verläuft die Geschichte des Eigentumsübergangs, der schon im römischen und noch im schweizerischen Recht von dem Kaufvertrag getrennt, nämlich von der Übergabe der Ware abhängig, ist (zur Kodifikationsgeschichte S. 64 Anm. 269). Hinzu tritt drittens das Prinzip des Synallagma, das von griechischen Vorstellungen bis hin zum Obligationenrecht reicht. Die zumindest scheinbare Divergenz zwischen diesen drei Regelungskomplexen stellt ein altes Problem dar, das im schweizerischen Obligationenrecht von 1881/1883, im sogenannten alten Obligationenrecht, fortgeführt und in der Neufassung von 1911/1912 ebenso wenig gelöst wurde. Als Prüfstein für die Erklärung der römischen und schweizerischen Gefahrtragungsregel gilt der Doppelverkauf, dessen Fragen weder im römischen Recht noch in den neueren Gesetzbüchern beantwortet sind. Cortesi verspricht nun eine „ausgiebige“ rechtshistorische, rechtsdogmatische und rechtsvergleichende Erörterung der Kaufpreisgefahr beim Mobilien‑ und Immobilienkauf gemäß Art. 185 I Halbsatz 2 OR.
Die schweizerischen Kantonsrechte des 19. Jahrhunderts[1] lehnten sich
zwar teils an die französische, teils an die österreichische, teils an die
zürcherische Kodifikation an[2] Cortesi weist
nun aber überzeugend die französische Grundlage der gesamtschweizerischen
Gefahrtragungsregel nach, die noch mit dem gemeinen römischen Recht
übereinstimmt. Insofern wurde der preußischen[3] und der
österreichischen Kodifikation[4], die auf den
vereinbarten oder tatsächlichen Zeitpunkt der Übergabe abstellen, die
Gefolgschaft versagt. Die kantonalen Einzelheiten werden von Cortesi
nicht noch einmal ausgebreitet. Offensichtlich stimmten die Kantonsgesetzbücher
bezüglich der Gefahrtragung des Käufers überein. Da allgemein anerkannt, konnte
die alte Gefahrtragungsregel unbesehen in Artikel 204 des Obligationenrechts
von 1881/1883 übernommen werden, wozu die eigentliche Kodifikationsgeschichte
von Cortesi nicht weiter bemüht wird (vgl. 11ff.).
Die Kantonsrechte differierten aber hinsichtlich der
Eigentumserwerbsart. Um den Eigentumserwerb zu vereinheitlichen, bestimmte das
Obligationenrecht von 1881/1883 in Artikel l99: Soll infolge eines Vertrages
Eigentum an beweglichen Sachen übertragen werden, so ist Besitzübergang
erforderlich. Die kausale Ausgestaltung der Übereignung in der Schweiz führt Cortesi
darauf zurück, dass, als ein Produkt der Naturrechtsphilosophie, das
französische Recht insofern das deutsche Recht verdrängt habe (12f., Anm.
44ff.)[5], wenn er auch
das heute ebenfalls im schweizerischen Recht geltende Traditionsprinzip nicht
auf französische Wurzeln zurückführen kann.
Textlich fast unverändert ist die Gefahrtragungsregel in
Art. 185 OR 191l/1912 übergegangen[6], etwas
modernisiert wurde die Übereignungsregel in Art. 714 Abs. 1 ZGB 1907/1912[7]. Die
Zusammenfügung der beiden Bestimmungen zuerst in demselben Gesetz, danach in
dem aus Obligationenrecht und Zivilgesetzbuch gemeinsam gebildeten Privatrecht
soll nach allgemeiner Meinung auf „einer typisch helvetischen Kompromisslösung“
beruhen und zu einer „originären Mischlösung“ geführt haben (11ff.). Die
Rechtsvereinheitlichung in diesen Punkten sei „nur dank des Willens der
deutschsprachigen Mehrheit zum Entgegenkommen gegenüber der am Code civil
orientierten welschen Minorität erreicht worden“, indem der Eigentumsübergang
entsprechend dem preußischen und österreichischen Recht an die Tradition
geknüpft, der Gefahrübergang hingegen nach dem französischen Vorbild auf den
Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorverlegt wurde (12f.). Nicht als „unbedachten
Kompromiss“ (Siehr) oder als eine „unglückliche“ Regel (Bucher),
sondern als „zeitbedingtes Konfliktergebnis einer ausgewogenen
rechtspolitischen, rechtsökonomischen und rechtsdogmatischen Debatte“ will uns Cortesi
Art. 185 OR nahe bringen (15). Dass gerade diese Doppelregel des
gesamtschweizerischen Privatrechts voll mit dem gemeinen Recht mit titulus und modus und periculum emptoris
übereinstimmte, gilt eher als ein historischer Zufall (39). Aber zweifelsohne
standen zwischen dem Zivilgesetzbuch, dem neuen und dem alten schweizerischen
Obligationenrecht, den kantonalen Gesetzbüchern und dem römischen Rechts die
gemeinrechtliche Wissenschaft und die Naturrechtskodifikationen als Vermittler[8][9].
Bei der Anpassung des Obligationenrechts an das
Zivilgesetzbuch meinte man 1908, dass die Gefahrtragung des Käufers für den
schweizerischen Außenhandel günstiger sei als die Gefahrtragung des Verkäufers
(13), und lehnte eine Anlehnung an die neue Regel des § 446 BGB als eine
„véritable révolution dans nos dispositions actuelles“ ab (14 Anm. 53). Das
ursprüngliche Bestreben aller Kantone, Gefahr und Eigentum gleichzeitig
übergehen zu lassen, war längst bewusst aufgegeben worden (13 Anm. 48).
Dazu liefert Cortesi die „dogmatischen
Erklärungsversuche zur römisch‑rechtlichen periculumest‑emptoris‑Regel“
(16 ‑ 39), beginnend mit Wächters „Theorie der wechselseitigen
Unabhängigkeit der Obligationen bei gegenseitigen Verträgen“, über die von Kuntze
begründete, neuerdings von F. Peters und W. Ernst verfochtene
„Veräußerungstheorie“ und die „Theorie der fingierten Erfüllung“, bis hin zu
einer von Ihering entworfenen „Verschuldenstheorie“. Die
Zusammenstellung der Erklärungen der großen wie der weniger bekannten Juristen
des vorigen Jahrhunderts[10] dürfte für den
Rechtshistoriker einen der beiden Hauptpunkte der Arbeit ausmachen. Historisch
mag sich die römische Regel daher erklären, dass auf dem Markt der Verkäufer so
gut wie immer erfüllungsbereit und die Hinauszögerung der Vertragsabwicklung für
ihn besonders nachteilig gewesen sei (40). Heute jedenfalls ist die Orientierung
an Marktkauf und Barkauf anachronistisch (42). Dazu erörtert Cortesi die
„Anwendbarkeit der gemeinrechtlichen Theorien auf OR 185“ (44 ‑ 68).
Cortesi findet in der
Entstehungsgeschichte des Art. 204 OR 1881/1883 den „eindeutigen Beweis“ dafür,
dass der heutige Art. 185 I Halbsatz 2 OR auf der Veräußerungstheorie fuße
(62). Das ist insofern überzeugend, als die Regelung dieses Problems im alten
Obligationenrecht bewusst dem französischen Recht folgte, welches die Zuordnung
der Kaufsache und ihrer Risiken im Vertragsrecht wie im Eigentumsrecht allein
von dem Konsens abhängig macht, in den Worten Cortesis: „Im Sinne eines
Kompromisses wurde auf der obligatorischen Ebene dem naturrechtlichen Konsens‑
und auf der sachenrechtlichen Ebene dem gemeinrechtlichen Traditionsprinzip
stattgegeben, wobei genau betrachtet der Konsensgrundsatz, indem das
Traditionsprinzip kausal (und nicht abstrakt wie das deutsche Recht)
ausgestaltet wurde, auch im Sachenrecht teilweise Eingang gefunden hat“ (63).
Ist auch diese Erklärung für das schweizerische Recht entstehungsgeschichtlich
überzeugend, so würde sie sich doch für das römische Recht, soweit es die traditio und nicht bloß den Konsens für
die Übereignung verlangte, nicht verwenden lassen.
Cortesi beruft sich auch auf
den Wortlaut des Gesetzes, die Regelung des Gattungskaufs, die Vor‑ und
Nachteilszuweisung an den Käufer, die Drittschadensliquidation, den Grundsatz Casum sentit dominus und auf die 1908
geäußerte, noch heute angeblich gängige Meinung, dass im Verkehr „der
Kaufabschluss als der Zeitpunkt des wirtschaftlichen Übergangs der Kaufsache in
das Vermögen des Käufers empfunden werde“ (64, 67), ohne zu fragen, ob diese
Stimmung auch für den Kredit‑, Termin‑ oder Distanzkauf gelten
würde. Er meint jedenfalls, „dass die periculum‑est‑emptoris‑Regel
zwar im Sinne der Ausnahmetheorie äußerlich einen Einbruch in unsere allgemein
geltenden Rechtsprinzipien darstellt, sich jedoch innerlich auf Grund der
Veräußerungstheorie, als die ihr immanente gesetzgeberische Wertentscheidung,
plausibel begründen lässt“ (67). Das ist sicherlich eine respektable
Ehrenrettung des Schweizer Gesetzgebers. Das Vorhaben Cortesis, die dem
Art. 185 I Halbsatz 1 OR (periculum est
emptoris) zugrundeliegende ratio legis zu erfassen und die gesamte
kaufrechtliche Gefahrtragungsordnung auf einen gemeinsamen dogmatischen Nenner
zurückzuführen (2), darf füglich als geglückt bezeichnet werden.
Mit der Erörterung der „Konsequenzen des Doppelverkaufs für
die Gefahrtragung unter Zugrundelegung der Veräußerungstheorie“ (69) kommt Cortesi
zu dem zweiten der beiden rechtshistorisch delikaten Punkte seiner
Dissertation. Wenn dieselbe Sache zweimal von demselben Verkäufer an zwei
verschiedene Käufer verkauft wird und wenn diese Sache vor der Übereignung
zufällig untergeht, fragt es sich, ob der Verkäufer von beiden Käufern oder nur
von einem der Käufer, den er sich auswählen darf, oder nur von dem ersten oder
nur von dem zweiten oder von keinem den Kaufpreis verlangen darf, ohne auch nur
einmal zu liefern (5). Dieselbe Frage stellt sich für den Gattungskauf ab
Aussonderung der Ware und für den Distanzkauf ab Abgabe zur Versendung (6f.).
Abhängig von den jeweiligen Erklärungen zum römischen Recht
wurden im gemeinen Recht hierzu alle möglichen Lösungen angeboten (69 ‑
78), zum Teil mit Unterscheidungen danach, ob der Verkäufer gutgläubig oder
bösgläubig gehandelt hatte (Dernburg) oder ob die Sache auch ohne die
Zweitveräußerung untergegangen wäre oder nicht (F. Mommsen). Das
naheliegende, leicht zynische Argument, dass der Verkäufer dann, wenn die Ware
nicht zufällig untergegangen wäre, dem einen hätte liefern und dem anderen
hätte Ersatz leisten müssen, wurde anscheinend kaum verfolgt. Doch wollte Ihering
anfangs dem Verkäufer kumulative Kaufpreisansprüche gegen alle, später, ebenso
wie Vangerow, nur noch einen Anspruch auf einmalige Zahlung gegen einen
der Käufer, nach seiner Wahl, zubilligen. Sein Meinungswechsel ist ebenso
berühmt wie der Windscheids[11], der sich
anfangs für das Risiko des ersten, später für das des zweiten Käufers
aussprach. Die schweizerische Rechtsprechung hat sich noch nicht geäußert. Die
in der modernen Literatur vertretenen Lösungen sind äußerst gespalten und
operieren teilweise mit weiteren Unterscheidungen als es die Lehre des vorigen
Jahrhunderts getan hatte. Cortesi schließt sich den heutigen Meinungen
von Oser und Schönenberger, Bucher, H. Honsell und A.
Koller an, die Doppelverkäufe als „besondere Verhältnisse“ i. S. von § 185
I Halbsatz 1 OR ansehen, welche von Gesetzes wegen „eine Ausnahme begründen“
(78 ‑ 105).
Da sich der Vermögensübergang, der die Abwälzung des Risikos
auf den Käufer grundsätzlich rechtfertige, im Falle des Doppelverkaufs nicht
entfalten könne, müsse der Verkäufer für das Risiko allein einstehen und könne
von keinem der Käufer Zahlung verlangen (84ff.). Der Leser ist zunächst
überrascht, weil Cortesi in Übereinstimmung mit der Veräußerungstheorie
die verkaufte, noch nicht übereignete Sache dem Vermögen des Käufers zugeordnet
hatte. Nimmt man hingegen an, der Verkäufer hätte die Ware zwar ein zweitesmal
nicht verkaufen dürfen, er habe es jedoch wirksam gekonnt, dann könnte man wohl
konsequenterweise dem zweiten Käufer die (später untergegangene) Ware und das
Risiko zuweisen. Höchstens zwecks Pönalisierung oder aus Billigkeit könnte man
dann wegen irgendeines Vertragsbruchs das Risiko an den Verkäufer
zurückverweisen. Cortesi hingegen meint, beim Doppelverkauf sei es
unbestimmbar, in wessen Vermögen die Kaufsache schließlich übergehen soll, und
deswegen werde der Vermögens‑ und infolgedessen der Gefahrenübergang
unmöglich. Ausführungen zu den „besonderen Verhältnissen“ und „besonderen
Verabredungen“ gemäß Art. 185 I Halbsatz 1 OR, zu „ausländischen
Rechtsordnungen und internationalen Übereinkommen“ führen die Arbeit weiter (106
‑ 160).
Trotz der gutgemeinten Ehrenrettung für die schweizerische Regelung werden im letzten Kapitel eine „kritische Würdigung der Periculum‑est‑emptoris‑Regel und (ein) Gesetzesvorschlag“ für notwendig erachtet (160 ‑ 176). Nach überzeugender Ablehnung der jetzigen Regelung knüpft der „Gesetzesvorschlag“ die „Risikoabwälzung an die tatsächliche Sachübergabe beim Mobilienkauf ... und an die kumulative Besitzes‑ und Eigentumseinräumung beim Immobilienkauf“ an (175f.).
Die Arbeit ist ein ansprechendes Beispiel dafür, in welcher Weise die Rechtsgeschichte ‑ hier vor allem die Theorien des 19. Jahrhunderts ‑ für die heutige Rechtsdogmatik und Rechtspraxis nutzbar und sogar für einen Gesetzesvorschlag fruchtbar gemacht werden kann.
Berlin
Hans‑Peter
Benöhr
.
[1] Zu Neuenburg: I. Augsburger-Bucheli, Le Code civil neuchâtelois 1853 ‑ 1855, Neuchatel ]988.
[2] Das Privatrechtliche Gesetzbuch für den Kanton Zürich widmet
ein ganzes Kapitel, die §§ 1436 bis 1444, dem „Uebergang der Gefahr und des
Eigentums“. § 1438: Ist eine individuelle Sache (species) Gegenstand des Kaufvertrages, so geht die Gefahr auf den
Käufer über, sobald der Kaufvertrag vollendet (perfekt) erscheint und die Sache
so zur Verfügung des Käufers steht, dass dieser sie beliebig zur Hand nehmen
kann. Bis zu diesem Zeitpunkt trägt der Verkäufer die Gefahr.
[3] Teil 1, Titel 11, §§ 95ff. ALR. § 95 Solange der Verkäufer dem Käufer die Sache noch nicht übergeben hat, bleibt ... Gefahr und Schade dem Verkäufer zur Last.
[4] §§ 1064, 1048ff. ABGB.
[5] Ob die Verfügung über dingliche Rechte an Fahrnis kausaler
Natur sein sollte, hatte der Gesetzgeber jedoch offengelassen, wie Art. 199 OR
1881/1883 und Art. 714 ZGB zeigen; die Rechtsprechung hatte anfangs geschwankt
und sich erst mit BGE 55 II 302 endgültig für das Kausalitätsprinzip auch im
Mobiliarsachenrecht entschieden; Meier‑Hayoz, Berner Kommentar,
Band IV, 1. Abteilung, 1. Teilband, Sachenrecht, Systematischer Teil, 5. Aufl.
1981, Rdnr. 88.
[6] Im alten Obligationenrecht ist vom Abschlusse des Veräußerungsvertrages die Rede, im neuen vom Abschlusse einfach des Vertrages.
[7] Art. 714 Abs. 1. Zur Übertragung des Fahrniseigentums bedarf es des Überganges des Besitzes auf den Erwerber.
[8] Nachweise auch bei D. Liebs, Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, 6. Aufl. 1997, P 28.
[9] H. Coing,
Europäisches Privatrecht, Band 1, 1985, S. 455; R. Zimmermann, The Law
of Obligations, 1990, S. 281 ff.
[10] Bechmann, Brinz, Bruns, Dernburg, von Keller, Lenel,
Friedrich Mommsen, Puchta, Regelsberger Vangerow und Windscheid.
[11] U. Falk, Ein Gelehrter wie
Windscheid, Frankfurt am Main 1989, S. 51ff.