KöblerScholtyseckreinhardmohn20210706 Nr. 17560 ZIER 11 (2021) 82. IT

 

 

Scholtyseck, Joachim, Reinhard Mohn. Ein Jahrhundertunternehmer. C. Bertelsmann, München 2021. 223 S., Abb. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Irgendwann vor vielen Tausenden von Jahren ist irgendeinem Menschen an einem unbekannten Ort nach dem ersten Wort und dem ersten Bild fremder Vorgänger auch das erste Zeichen gelungen, mit dessen Hilfe der in dem vergänglichen Laut verkörperte Gedanke sichtbar festgehalten und damit nicht nur aufbewahrt, sondern auch anderen zugänglich gemacht wurde oder werden konnte. Damit wurde, ohne dass der Urheber dies ahnen konnte, eine seinerzeit unvorstellbare Entwicklung angestoßen, in deren Verlauf Reinhard Mohn zu einem Herrn einer Welt aufstieg, in der es, wie die Abbildung in der Titelei symbolisiert, außer dem Verleger und den ihn umgebenden Türmen von Büchern eigentlich kaum noch irgendetwas anderes gibt. Von daher stellt sich wie von selbst die von dem in Bonn 1958 geborenen, nach Abitur und Wehrdienst in seinem Geburtsort ab 1980 in Geschichte, politischer Wissenschaft, Kunstgeschichte und Soziologie ausgebildeten, 1991 bei Klaus Hildebrand mit einer Dissertation über die Frage Alliierter oder Vasall? – Italien und Deutschland in der Zeit des Kulturkampfes und der „Krieg-in-Sicht“-Krise 1875 promovierten, nach einer in Karlsruhe 1993 aufgenommenen Tätigkeit als wissenschaftlicher Assistent 1998 mit einer Schrift über Robert Bosch und den liberalen Widerstand gegen den Nationalsozialismus habilitierten, 2001 für neuere und neueste Geschichte nach Bonn berufenen und seit diesem Wechsel Arbeiten etwa über die Außenpolitik der DDR (2003), den Aufstieg der Quandts (2011), die Geschichte der National-Bank 1921 bis 2011 (2011, 2. unveränderte Auflage 2011), das Familienunternehmen Freudenberg in Kaiserreich, Demokratie und Diktatur (2016), Merck – From a pharmacy to a global corporation (2018, gemeinsam mit Carsten Burhop und Michael Kißener) sowie Otto Beisheim – Jugend, Soldatenzeit und Entwicklung zum Handelspionier (2020) vorlegenden Verfasser formulierte Frage: Wer war Reinhard Mohn?

 

Als Antwort des Verfassers war in diesem Rahmen festzuhalten, dass ein eigenständiges Lebensbild bisher fehlte, Reinhard Mohn keine Memoiren geschrieben hatte und eine offizielle oder autorisierte Biographie ablehnte, so dass eine Biographie des sowohl öffentlich wie in vielfältigen Hintergründen tätigen Verlegers als ein kein ganz einfaches Unterfangen eingestuft wurde, für das es erstaunlicherweise kaum Vorarbeiten gibt. Gleichwohl kann der Autor dabei feststellen: „Gepägt waren die im ostwestfälischen Gütersloh verwurzelten Bertelsmanns durch den sprichwörtlichen Geist des Pastorenhaushalts, der stark von der Minden-Ravensbergischen Erweckungsbewegung geprägt war.“ Die Enkelin des Verlagsgründers Carl Bertelsmann heiratete 1881 den ebenfalls aus einer Pastorenfamilie stammenden Johannes Mohn, der den Verlag Bertelsmann 1887 nach dem Tode seines Schwiegervaters übernahm, sein Sohn Heinrich Mohn 1912 die Pastorentochter Agnes Seippel, die ihm an dem 29. Juni 1921 als fünftes von sechs Kindern und drittältesten Sohn Reinhard Mohn gebar, für den die Schule ein mühsamer Weg war und den die Mutter zu Religiosität, Sittenstrenge, Ordnung, Pünktlichkeit, Sauberkeit, Korrektheit und Pflichtgefühl zu erziehen versuchte, aber auch mit Liebe, Hilfsbereitschaft und Fürsorge umgab.

 

Nach dem Abitur an dem 3. März 1939 absolvierte Reinhard Mohn ab dem 1. April 1939 den Reichsarbeitsdienst und meldete sich anschließend „aus Pflichtgefühl“ früh freiwillig zu der Wehrmacht in der Luftwaffe, wurde 1942 Leutnant und geriet an dem 5. Mai 1943 nordwestlich von Tunis in die Kriegsgefangenschaft der Vereinigten Staaten von Amerika, die ihn über Algerien nach Kansas führte und wirtschaftspolitisch dauerhaft bestimmte, wobei er sich nach seiner Rückkehr 1946 für eine Lehre als Buchhändler und den Einstieg in den Verlag seines Vaters entschied, der ihm wegen seiner nationalsozialistischen Verbindungen als größter Buchproduzent der Wehrmacht bereits in dem April 1947 die Verlagslizenz übertrug. Auf dieser sorgfältig untersuchten Grundlage versucht der Verfasser anschließend Unternehmer und Persönlichkeit zu trennen und zwischen Reformern, Liberalen und Konservativen und zugleich zwischen rotem Mohn und Scheinlinken sachgerecht einzuordnen und sieht schließlich die auch Steuern ersparende Stiftung als bleibendes Vermächtnis. „In den Jahren, in denen sich die westdeutsche Linke nach dem Sechs-Tage-Krieg von Israel ab- und den palästinensischen Befreiungsbewegungen aller Couleur zuwandte und dabei vergaß, dass Israel die einzige Demokratie im Nahen Osten war, blieb Mohn ein aufrichtiger Verteidiger Israels“, was vielleicht neben dem Einfluss des Aufenthalts in den Vereinigten Staaten von Amerika und den unbestreitbar erfolgreichen Wegen, das Buch beispielsweise durch einen Lesering so nahe wie möglich zu Käufern zu bringen, einer der Gründe für den nicht vorhersehbaren, weltweit beeindruckenden Aufstieg von einem einfachen, eigentlich nur den an sich für die Nachfolge vorgesehenen, aber bereits 1939 gefallenen ältesten Bruder ersetzenden und nach rastlosem vielseitigem Wirken in Steinhagen an dem 3. Oktober 2009 gestorbenen Verleger zu einem global visionär agierenden Medienmogul gewesen sein könnte, an den das vorliegende eindrucksvolle und mit vielen Abbildungen bereicherte Werk anlässlich Mohns hundertsten Geburtstags erinnert.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler