Markovits, Inga, Diener zweier Herren. DDR-Juristen zwischen Recht und Macht. Ch. Links Verlag, Berlin 2020, 239 S. Besprochen von Bern Schildt.

 

In Anlehnung an das einem japanischen Filmklassiker entlehnte Rashomon-Prinzip verifiziert Inga Markovits – erfreulich vorurteilsfrei – die 40-jährige Geschichte der Juristen an der juristischen Fakultät der Humboldt-Universität Berlin zwischen 1949 und 1989.

 

Erzählt werden drei Geschichten – Erste Geschichte: Anpassung und willige Unterwerfung unter die Parteibeschlüsse – Zweite Geschichte: Der mürrische Gehorsam von Revisionisten – Dritte Geschichte: Verschleiß des politischen Glaubens an den Sozialismus. Ausgangspunkt aller drei Geschichten ist die auf sowjetischen Druck erfolgte Wiederaufnahme des Vorlesungsbetriebes an der alten Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität – jetzt als Universität Berlin am 20. Januar 1946 – (die Umbenennung in Humboldt-Universität erfolgte erst 1948 als Reaktion auf die Gründung der Freien Universität).

 

Dem „Kalender der DDR-Geschichte“ folgend wird aus drei unterschiedlichen Perspektiven jeweils das Geschehen, an der Juristischen Fakultät / Sektion Rechtswissenschaft der Universität Berlin / Humboldt-Universität (HUB) bis zum Untergang der DDR erzählt. Dabei sind alle drei Geschichten bezogen auf die handelnden Personen eng miteinander verbunden. Zwar benutzt Markovits unterschiedliche Details für ihre drei Geschichten/Perspektiven; gleichwohl stützt sie sich bisweilen zweimal auf dasselbe Ereignis und macht damit deutlich, dass gleiche Sachverhalte je nach Betrachtungsweise auch auf verschiedene Weise gesehen werden können. (20)

 

Als Quellen wurden im wesentlichen Archivalien aus vier Archiven benutzt: Archiv der HUB, Bundesarchiv, Landesarchiv Berlin und Archiv der Stasi-Unterlagen Behörde. Der weitgehende Verzicht auf Anmerkungen öffnet das Buch für einen weiteren Leserkreis, ist aber insoweit auch nicht ganz unproblematisch (die fehlende Paginierung der benutzten Archivalien ist eine eher fragwürdige Begründung für diese Vorgehensweise), als Markovits dadurch gezwungen ist, sich „auf das Vertrauen meiner Leser in die Glaubwürdigkeit meiner Forschungen (zu) verlassen“ (10) – wozu der Rezensent. durchaus bereit gewesen ist. Auf Publikationen der handelnden Personen und auch deren Selbstreflektion (Befangenheit durch zeitliche Nähe) wurde bewusst verzichtet.

 

Bei allen drei Sichtweisen in den Geschichten von Inga Markovits geht es um das Spannungsverhältnis ihrer Protagonisten, wie sie die Juristen der HUB zumeist pauschal bezeichnet, zwischen deren Gefolgstreue zur Partei und ihrem (handwerklichen) Selbstverständnis als Juristen. Diese Ambivalenz hatte sowohl eine zeitliche als auch eine vom jeweiligen persönlichem Hintergrund bestimmte Komponente. „Wie die meisten Menschen waren die HUB-Juristen in der Regel keine Helden, sondern zeigten, je nach Charakter und Gelegenheit, eine Mischung aus Anpassung, Ausweichen und Mut.“ (200f.) Aber auch Überzeugungen dürften neben Opportunismus und eher zaghaftem Widerstand eine Rolle gespielt haben. Von zentraler Bedeutung für diese zum Teil auch in einer zeitlichen Abfolge stehenden Perspektiven sind die überwiegend begrüßten Entnazifizierungsmaßnahmen nach dem Ende des Krieges, der Schock nach dem Bericht Chruschtschows über die Verbrechen Stalins und die nicht zuletzt auch von nachfolgenden Juristengenerationen als „berühmt-berüchtigt“ wahrgenommene Babelsberger Konferenz sowie die beiden Rechtspflegeerlasse Ulbrichts und dessen illusionäre Theorie von der sozialistischen Menschengemeinschaft und der nie verwirklichten Forderung nach Ersetzung des bürgerlichen Positivismus in der Wissenschaft durch eine marxistische Rechtswissenschaft.

 

Schlußfolgerungen:

Inga Markovits verweist mit kritischem Verständnis für die diffizile Situation von Rechtswissenschaftlern wie Juristen in der DDR überhaupt auf ein latentes Spannungsverhältnis zwischen der Partei[führung] und den Juristen, nicht nur in der DDR. Für die HUB-Juristen konstatiert sie einen Balanceakt zwischen Macht und Recht, geprägt durch die Widersprüchlichkeit von handwerklichen Notwendigkeiten (u.a. sprachliche Exaktheit, Konflikt- und Kompromissbereitschaft) und dem Anspruch der Partei auf Unterwerfung, Gehorsam und Anpassung. Das Handeln der Juristen war – vielleicht berufsbedingt und deshalb stärker als bei anderen DDR-Bürgern – geprägt durch eine enge Verwobenheit von Überzeugung, Opportunismus, gelegentlich zaghaftem Widerstand im Detail und Zwang (200f.)

 

Ulbricht hatte den Juristen immer misstraut. Ein Sinneswandel trat erst ein „als in den Honecker-Jahren – „Recht“ und „Rechte“ in der DDR zunehmend gesellschaftsfähig wurden“ (201), was auch den Spielraum für die Rechtswissenschaft und die Juristen erweiterte. Das führte zu einer (eher vorsichtig) „wachsenden Verrechtlichung“ getragen von „alle[n] Juristen in der DDR – Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte, Notare, Juraprofessoren“ (209). Neben aufs Ganze gesehen eher bescheidenen Reformideen aus der Rechtswissenschaft (z. B. Karl Bönninger und Wolfgang Bernet – Rechtsschutz gegen die Verwaltung) sieht Inga Markovits die Ursachen für diese Entwicklung vor allem in dem „zivilisierenden Einfluß […] des Rechts“ selbst in vorwiegend durch Macht regierten Gesellschaften. (209)

 

Thematisiert wird auch die allgegenwärtig im Raum stehende Frage nach einer etwaigen Vergleichbarkeit der „Ideologieanfälligkeit“ von Juristen im Dritten Reich und in der DDR. In dem „rassistischen und emotionalen Führerwahn der Nazis“ sieht sie einen „Kult, der um seine Anhänger nicht mit Argumenten warb, sondern mit dem verführerischen Größenwahn eines Götzen“. Dem gegenüber versteht sie „das komplexe und philosophisch ausgefeilte Gedankengebäude des Marxismus-Leninismus“, selbst „in Gestalt der banalen Propagandaversion der SED“ durchaus als eine Ideologie. Ob allerdings die Schlussfolgerung, dass „HUB-Protagonisten … an der Geschichtsanalyse des Marxismus nicht besonders interessiert“ und „nicht ideologieanfällig, sondern eher ideologieunbegabt“ waren (200), in dieser Pauschalität zutreffend ist, scheint eher zweifelhaft – der Rezensent hat das jedenfalls noch bis Ende der 1980er Jahre (in Halle) teilweise anderes erlebt.

 

Ausführlich geht Inga Markovits daran anschließend auch der Frage nach, ob die HUB-Juristen einem „Unrechtsstaat“ dienten. Unter Bezugnahme auf die von Ernst Fraenkel mit Blick auf die NS-Diktatur entwickelte Theorie vom Doppelstaat – dem Nebeneinander von traditionellem aus der Weimarer Republik übernommenen „Normenstaat“ und einem – basierend auf dem „Führerwillen“ – durch rechtliche Willkür geprägten „Maßnahmestaat“, kommt sie zu dem Schluss, dass die DDR zwar nie zu einem „Rechtsstaat“ im technischen Sinn des Wortes wurde, „weil die Partei nie bereit war, sich der Macht des Rechtsstaats zu unterstellen“; sich aber gleichwohl auf diesen zu bewegte (210f). Dass beide Aussagen in letzter Konsequenz einander ausschlossen, hat die Geschichte bewiesen. Mit dem durch die Menschen in der DDR erzwungenen „Verzicht“ der Partei[führung] auf den in ganz anderer Zeit formulierten Anspruch princeps legibus solutus – diese Metapher sei gestattet – ist die DDR bekanntlich untergegangen.

 

Zum Schluss eine Bemerkung in eigener Sache: Die Ergebnisse der Analyse von Inga Markovits dürften in der Tat, wie es der Rezensent aus eigenem Erleben im Wesentlichen bestätigen kann, über die Sektion Rechtswissenschaft der Humboldt-Universität hinaus auch für die übrigen Juristischen Fakultäten (Halle, Jena, Leipzig) in der DDR prinzipiell verallgemeinerungsfähig sein.

 

Jatznick                                                                       Bernd Schildt bernd.schildt@arcor.de