Urheberrecht. Kommentar, hg. v. Loewenheim, Ulrich/Leistner, Mattias/Ohly, Ansgar. 6. Aufl. Beck München, 2020. 3343 S. Angezeigt von Albrecht Götz von Olenhusen.

 

Der Hinweis auf diese bedeutende Publikation an dieser Stelle bedarf bei dem opulenten und bis zu der dritten Auflage von Gerhard Schricker edierten Werk wegen seines rechtsgeschichtlichen Gehalts einer gewissen Rechtfertigung. Jedoch sind gerade das Urheberrecht und das Bildrecht wegen seiner jüngeren Entwicklung von besonderem Interesse für historische Rückgriffe. Deswegen ist die erfreulich ausführliche Einbettung aktueller praxisgeleiteter Kommentierung in diesen Kontext umso wichtiger, je mehr sich Lehre und Forschung davon eher leise-leichthin zu entfernen geneigt oder veranlasst sind. Diesen Preis war etwa ein Niklas Luhmann, der das analytische Wort von der „Reduktion von Komplexität“ geprägt hat, nicht bereit zu zahlen.

 

Den komplexen Zusammenhang mit der rechtstheoretischen Ableitung, zum Urheberrecht als Gegenstand von Politik, Kultur und Wirtschaft, zur meist allzu verspätet reagierenden Rechtspolitik mit den Ausweitungen bis zu den so genannten verwandten Schutzrechten und dem Verhältnis zu anderen Rechtsgebieten wie etwa dem gewerblichen Rechtsschutz, Lauterkeitsrecht und Kartellrecht (Loewenheim, Leistner, Ohly) kann ohne Bezug zu naturrechtlich-individualistischen und utilitaristischen Begründungsansätzen nicht auskommen. Das wird in den lesenswerten grundsätzlichen Einleitungen deutlich.

 

Individuelle, partikulare und allgemeine Interessen, das Postulat vom Beitrag zum geistigen und kulturwirtschaftlichem Fortschritt und dem notwendigen Interessenausgleich haben in der Vergangenheit, je unterschiedlich geprägt von Epochen der Propertisation oder De-Propertisation (Hannes Siegrist), ihr entsprechend differentes Gewicht erfahren. Eine umfassendere Sozialgeschichte des Immaterialgüterrechts, die neben Ideen-, Dogmen- und Wirtschaftsgeschichte gehörte, ist allerdings ein Desiderat, wie überhaupt der Brückenschlag zur Rechtssoziologie immaterieller Güter sich auf eine Art Schattendasein reduziert.

 

Von der Antike über das Privilegienzeitalter – mit seinem Bewusstsein vom eher wohlfeilen Veröffentlichungsrecht des Autors einerseits, dem eines profitablen nachhaltig lebensfähigen Verlagseigentums andererseits – vollziehen sich die Anfänge eigenständiger Urheberrechte (Martin Vogel) seit dem 17./18. Jahrhundert.  Es führt ein recht langer, sub specie aeternitatis aber doch sehr kurzer Weg bis zum einheitlichen Nachdruckverbot und zur Lösung der Schutzfristfrage in Deutschland. Martin Vogel, Autor monografischer Pilotstudien, zeichnet die Schritte seit der Mitte des 19. Jahrhunderts so präzise wie fundiert nach. Sie führen eindringlich hin über die Aporien des Immaterialgüterrechts und Vertragsrechts in Brüchen, Stufen und Rösselsprüngen bis zur Entstehung des deutschen Urhebergesetzes von 1965 und zur fragmentarischen Internationalisierung und Europäisierung, schließlich zur oft nur reaktiven unzureichenden Anpassung an Bedingungen und Erfordernisse der Informationsgesellschaft und eines modernisierten und reformbedürftigen Vertragsrechts auf dem Hintergrunde der widersprüchlichen Vergesellschaftungsansätze des Rechtsgebiets.

 

Mit diesem, den heutigen Stand der rechtsgeschichtlichen Forschung einbeziehenden Abriss Vogels, in kommentierenden Werken geltenden Rechts selten so stringent und umfassend vorzufinden, lassen sich die Krisen der Theorie in ihren Entwicklungsstadien ebenso gut nachvollziehen wie wesentliche Gründe für die nicht überwundene Legitimationskrise des Urheberrechts, aber auch die Interdependenzen von rechts-, sozial- und kulturpolitischen Intentionen und ökonomisch-technologischen Marktmächten mit ihren sich wandelnden und unterschiedlich wirksamen Einflusssphären und Instrumentarien von organisierten Interessen und „Lobbies“ (die in rechtshistorischen Studien zuweilen weniger kritisch denn als relativ „normal“ gesehen und seltener aufgearbeitet werden, es sei denn, dass sie, wie bei Peter Baldwin die „Qualität“ von 300 Jahre währenden “Copyright Wars“ erfahren).

 

Bei den Entstehungsgeschichten von Normgeflechten sollte - natürlich mein unfrommer Wunsch - immer offengelegt werden, welche wirtschaftliche oder andere Interessengruppe der Justizbürokratie und sonstigen Gesetzesverfassern bis hin zu parlamentarischen Hütern und Hürden die emsigen Federn geführt haben. Eine retrospektive Transparenz und Aufklärung, wie sie, um ein einziges Beispiel zu nennen, Hoeren mit seiner fulminanten Studie „Der Kampf um das UrhG 1965“ (2015) vorgelegt hat, erreicht wissbegierige Zeitgenossen erst allzu lange post festum.

 

Der interdisziplinäre Blick auf die generalisierte Genese von Normen und Systemen, wie er sich in den subtilen Einleitungen abzeichnet, gilt gleichermaßen für das in einem engeren als oftmals gesehenen Kontext mit dem Urheberrecht stehende Bildrecht (Horst-Peter Götting). Dessen sparsamere Ausformungen im 19. Jahrhundert bis hin zu den allzu feinziselierten Differenzierungen der kommerziellen und nichtkommerziellen Bildernutzungen in immer exzessiverem und globalerem Ausmaß heutiger Bilderfluten sind - neben der reichen einschlägigen Literatur und Kasuistik - an den verästelten Auslegungsszenarien der antiquierten §§ 22, 23 KUG zu verfolgen, die in Götting einen scharfsinnigen bis rigiden Kritiker des derzeitigen relativ festgefügten Regimes finden.

 

Das Recht der Europäischen Union, die zaghaften bis kraftvolleren Harmonisierungsmomente werden allgemein oder implizit dargeboten (Leistner). Zu Recht wird etwa der Mangel der fehlenden Einbeziehung des auch in seiner Herkunft im vorletzten Jahrhundert und nach seiner Praxis gleichermaßen in die Jahre gekommenen Urheberpersönlichkeitsrechts in das Unionsrecht kritisiert (Alexander Peukert), nicht nur aber auch wegen des bedenkenlosen Umgangs mit dem in graue Vorzeiten reichenden ehrwürdigen Genre der Parodien und ähnlich widerspenstigen Kunstformen. Unter scheinbaren Sachzwängen von Richtlinien mutieren Harmonisierungspostulate zuweilen zu Einebnungen dienlichen Heckenscheren.

 

Die enger als angenommen einwirkende Verbindungen zwischen Immaterialgüter- und Dienst- bzw. Arbeitsrecht, Stiefkinder historischer Betrachtungen, werden in den Grundzügen sichtbar (Grünberger/Rojahn/Frank zu §§ 43,79). Die Versuchung liegt nahe, hier die normativen Widersprüche von Urheber-, Vertrags- und Arbeitsrechts als Wege oder Abwege aus dem Armenhaus in die Expropertisation zu beschreiben, wenn man will, als eine blitzsaubere Systematik von Pauperisierung mit System. Dabei hat die Rechtstatsachenforschung gezeigt, dass der einzelne, auf Alimentation angewiesene Schöpfer schwerlich noch als Leitbild des Immaterialgüterrechts geltend darf. Die Schaffung von Werken erfolgt vielmehr zu etwa 90 Prozent in sog. abhängiger Arbeit. Die historisch sichtbaren Hintergründe der Diskurse und Entwicklungen namentlich in und seit der Weimarer Zeit hat jüngst Christoph Sorge monografisch aufgezeigt (2020).

 

 Aus den Spezialmaterien ist die fragmentarische und besonders rechtspolitisch anfechtbare Geschichte und Dogmatik des Filmrechts (Katzenberger, N. Reber) herauszuheben. Angesichts der sysiphosartigen Aufgabe, arte legis für einen angemessenen Interessenausgleich zu sorgen, muten die sich fortpflanzenden Ergebnisse seit der Entwicklung des Stummfilms polemisch formuliert wie ein Rückfall ins produzentengeneigte Privilegienzeitalter an - was jedoch nicht auf das Konto der Kommentatoren zu verbuchen ist, die nur den lückenvollen Status redlich Revue passieren lassen.

 

In ihrem historischen wie systematisch-dogmatischen Zusammenhang kommen die Themen „Sozialbindung“ und Schranken der Rechte (Malte Stieper) zu ihrem diskussionswerten Recht.

 

Dass und wie unterschiedlich die Kommentierungen in ihren genetischen oder eher positivistisch-interpretatorischen Kunstfertigkeiten sich präsentieren, mag am Schluss dieses kleinen, nur kurze Streiflichter bietenden Notiz angemerkt werden. So wie sich als ein freilich weit konfliktiver zu diskutierender Ausgangspunkt feststellen lässt, dass ökonomische Forschung zur Frage nach dem „optimalen Balancepunkt“ des Urheberschutzes keine Antwort gäbe (Loewenheim), bleibt letztlich der produktive Stellenwert historisch-kritischer und sozialhistorischer Perspektive auf Entwicklungsschritte und moderne Funktion des Immaterialgüterrechts als Zukunfts- oder Möglichkeitswerte - mehr oder weniger ausgesprochen - offen.

 

Düsseldorf                                        Albrecht Götz von Olenhusen, Düsseldorf