Selvage, Douglas/Süß, Walter, Staatssicherheit und KSZE-Prozess - MfS zwischen SED und KGB (1972-1989) (= Analysen und Dokumente des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik 54). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2019. 762 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

An dem 7. Oktober 1949 wurde durch Beschluss eines Volkskongresses aus der von der Sowjetunion an dem Ende des zweiten Weltkriegs besetzten Ostzone des Deutschen Reiches von 1871 als Volksrepublik die Deutsche Demokratische Republik. 1989 feierte dieser in einem langen Ringen weltweit allmählich anerkannte Staat sein vierzigjähriges Bestehen, obwohl in dem Westen an der theoretischen Forderung nach einer Wiedervereinigung Deutschlands verbal stets festgehalten wurde. Wenig später zeichnete sich ein immer deutlicher werdender, aber in seinen Gründen nicht vollständig klarer Verfall ab, an dessen Ende der Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zu der aus den Besatzungszonen der drei westlichen Alliierten entstandenen Bundesrepublik Deutschland an dem 3. Oktober 1990 stand.

 

Mit dieser dramatischen politischen Entwicklung beschäftigt sich das von den als Projektleiter in der Abteilung Bildung und Forschung des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdiensts der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik und als 2013 ausgeschiedener Projektleiter als Verfassern geschaffene gewichtige Werk, das der Frage nachgeht, welche Rolle das Ministerium für Staatssicherheit der früheren Deutschen Demokratischen Republik in dem KSZE-Prozess nach der Unterzeichnung der Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa spielte. Es gliedert sich nach einer Einleitung über Fragestellung, Forschungslage, Quellenlage, Vorgehensweise und Aufbau in zwölf Sachkapitel. Sie betreffen den KGB, das MfS und die Entspannungspolitik von 1969 bis 1975, die Sowjetunion, die DDR und den Kampf um die Auslegung der KSZE-Schlussakte, die DDR, die deutsche Frage und den KSZE-Prozess, das Belgrader Treffen (1977-1978), das Madrider Folgetreffen (1980-1983), das Madrider Abschlussdokument, die Ausreisebewegung und die Milliardenkredite 1983 bis 1985, die fehlgeschlagene Friedensoffensive von 1983 bis 1985, das Expertentreffen zu Menschenrechtsfragen, die Vorbereitungen und den Beginn der Wiener Folgekonferenz, den Positionswandel der Sowjetunion durch den Beginn politischer Reformen unter Michael Gorbatschow und die Taktik der Warschauer-Pakt-Staaten in der Konferenz über Sicherheit und Entspannung, die Abschlussverhandlungen in Wien und die Zeit nach Wien.

 

In diesem ausführlichen Rahmen der lange scheinbar erfolglos vorbereiteten Wende können die Verfasser unter dem Titelbild eines zufriedenen Händedrucks zwischen Erich Honecker und Helmut Schmidt ansprechend zeigen, wie die Führung des Ministeriums für Staatssicherheit die Haltung der Partei- und Staatsführung gegenüber der Sowjetunion und die Forderungen der Sowjetunion gegenüber der Parteiführung unterstützte. Die Aufrüstung der Nordatlantischen Verteidigungsorganisation bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Schwäche des Ostblocks führte dann zu einer Einschränkung der Repressionsmöglichkeiten der Deutschen Demokratischen Republik und der Sowjetunion gegenüber ihren Bürgern. Letztlich konnte das Ministerium für Staatsicherheit dem durch die internationale Diskussion über Menschenrechte entstandenen Ausreisedruck nicht mehr Stand halten, so dass gewissermaßen von einem Tag auf den anderen die Mauer der Deutschen Demokratischen Republik gegenüber dem wirtschaftlich stärkeren Westen geöffnet wurde.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler