Pomerantsev, Peter, Das ist keine Propaganda – Wie unsere Wirklichkeit zertrümmert wird, aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2020. 296 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Seit seiner Entstehung befindet sich der Mensch auf der Grundlage seines naturgegebenen Selbsterhaltungstriebs in einem mit seiner Zahl und mit seinen technischen Möglichkeiten zunehmenden Wettbewerb um Ansehen, Macht und Einkünfte. Spielte dabei anfangs die bloße körperliche Kraft eine ganz wesentliche Rolle, so ist diese in den Hochkulturen gegenüber den geistigen Fähigkeiten allmählich in den Hintergrund getreten. Dementsprechend haben die Meinungen und Ansichten gegenüber Geschehnissen und Tatsachen erheblich an Bedeutung gewonnen und hat Twitter die Atombombe zumindest in den derzeitigen Gesellschaften in den Hintergrund gedrängt.

 

Mit einem Teilaspekt dieser modernen Entwicklung beschäftigt sich das vorliegende Werk des in Kiew 1977 als Sohn eines Schriftstellers geborenen, 1978 mit seinen Eltern nach Wien gezogenen, in London aufgewachsenen, in Edinburgh in Anglistik und Germanistik ausgebildeten, danach rund zehn Jahre in Russland bei dem Fernsehkanal TNT verbringenden und anschließend wieder von London aus wirkenden Verfassers, der 2014 in dem Titel Nothing Is True and Everything Is Possible (Nichts ist wahr und alles ist möglich) seine Erfahrungen mit der nach seiner Ansicht nach gespaltenen und von einer von dem Kreml gesteuerten Medien-Hydra hypnotisierten Gesellschaft Russlands schilderte. Sein daran anknüpfender Bericht gliedert sich nach einer einführenden Einleitung in insgesamt sechs Teile. Sie betreffen Trollstädte, Demokratie auf See, den unglaublichsten Informationsblitzkrieg der Geschichte, weiche Fakten, Pop-Up-Menschen und die hier beginnende Zukunft.

 

In diesem Rahmen erkundet der Verfasser Wracks auf der Suche nach Funken von Sinn und gelangt dabei von den Philippinen zu dem Finnischen Meerbusen, von dem Westbalkan über Lateinamerika in die Europäische Union, von Frieden zu Krieg und von außen nach innen, von der Forderung nach einer faktenbasierten Politik zu dem Zusammenbruch dieser Idee, von religiösen Extremisten zu Pop-up-Populisten, um an dem Ende von China und Czernowitz aus in die Zukunft zu blicken. In leuchtenden Farben auf schwarzem Hintergrund eingebunden schildert er die Gefahren, die in der Gegenwart Menschen dafür drohen, dass sie das Recht wahrnehmen, zu hören, zu lesen, zu sagen und zu schreiben, was sie wollen. Das Ergebnis seiner intensiven Ermittlungen ist eine Welt der Dark Arts, Psysops, Hacks, Bots, Soft Facts, Deepfakes, Fake News, IS, Putins, Trolle und Trumps, der gegenüber nur die Wahrheit zur Freiheit führen kann, obwohl ihre Gegner leider auf Grund der Vielseitigkeit des Menschen jederzeit und überall allgegenwärtig und in ihrer Vielzahl fast allmächtig sind.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler