Mävers, Sophie-Luise, Reformimpuls und Regelungswut – Die Kasseler Kunstakademie im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Eine Studie zur Künstlerausbildung im nationalen und internationalen Vergleich (= Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 184). Selbstverlag der Hessischen Historischen Kommission Darmstadt und der Historischen Kommission für Hessen, Marburg 2020. IX, 302 S., 48 Abb. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Nach dem bisherigen Wissensstand ist die Kunst als die Hervorbringung eines von Menschen anerkannten Werkes erst lange nach dem Übergang des Tieres zu dem Menschen entstanden. In ihren Anfängen beruht sie auf in ihrer Herkunft ungeklärten Überlegungen einzelner Menschen, auf welche die Gesellschaft und der Staat erst in dem klassischen Altertum Einfluss genommen zu haben scheint. Die Anfänge der besonderen Kunstakademien dürften in Italien liegen, wo 1563 unter der Herrschaft Cosimos I. de‘ Medici in Florenz 1563 die Accademia delle Arti del Disegno entstand, der in Rom 1593 die päpstliche Accademia di San Luca, in Paris 1648 die Académie royale de peinture et de sculpture und in Nürnberg 1662 die Malerakademie Jacob von Sandrarts folgten.

 

Mit der besonderen Kasseler Kunstakademie beschäftigt sich die die von Martina Sitt betreute, von der Konrad-Adenauer-Stiftung durch ein dreijähriges Stipendium geförderte und von der Kunsthochschule Kassel der Universität Kassel als Dissertation zu der Erlangung des akademischen Grades einer Doktorin der Philosophie angenommene Untersuchung der Verfasserin. Sie gliedert sich zwischen Einführung und Ausblick in zehn Sachabschnitte. Diese betreffen das Collegium Carolinum als Anfang der Künstlerausbildung in Kassel, die Académie royale de peinture et de sculpture de Paris als Referenzmodell, die Wege zu einer autonomen Institution auf Initiative der Künstlerschaft, die Academia Clementina di Bologna, Künstlerinnen an Kunstakademien in dem 18. Jahrhundert, Lehren und Lernen, Kopieren wie in Dresden, Düsseldorf und Rom, Reisebenefizien als Ausnahmen von der Regel, monetäre und ideelle Diskrepanzen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts  und den Akademiebedarf aus Eigenproduktion  (Made in Cassel).

 

In diesem Rahmen kann die Verfasserin zeigen, dass der Impuls zu der Gründung einer Kunstakademie in Kassel von den Vorstellungen ausging, das Lehren und Lernen der Künste zu „nobilitieren“ und die Stellung des Künstlers aus dem handwerklichen Zunftzwang zu lösen. Entscheidend für diese Initiative war nach den ansprechenden Erkenntnissen der Verfasserin aber nicht Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel, sondern die Künstlerschaft selbst in Gestalt Johann Heinrich Tischbeins d. Ä. und Simon Louis Du Rys. In der Folge untersucht die Verfasserin die aus dem Collegium Carolinum entstandene Akademie zwischen 1762 und 1866 in dem Netzwerk der weiteren europäischen Akademiebewegung in Paris, Bologna, Kopenhagen und Düsseldorf mittels Auswertung vieler Handschriften aus Hessen-Kassel, Marburg, Paris, Berlin, Darmstadt, Neuenstein, Kassel, Basel, Frankfurt am Main und Tübingen, wobei sie nachdrücklich auf das stets immanente, wechselseitige Austarieren zwischen innovativen Reformimpulsen und einer restriktiven Regelungswut hinweist.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler