Konflikt und Koexistenz. Die Rechtsordnungen Südosteuropas im 19. und 20. Jahrhundert (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main 305). Band 2 Serbien, Bosnien-Herzegowina, Albanien, hg. v. Simon, Thomas unter Mitarbeit v. Bender, Gerd/Kirov, Jani. Klostermann, Frankfurt am Main 2017. IX, 629 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Nach dem Vorwort des ersten, 2015 von Michael Stolleis herausgegebenen, der Erinnerung an Marie Theres Fögen (1948-2008) gewidmeten Bandes dieses interessanten und gewichtigen Unternehmens steckt die rechtshistorische Erschließung der komplexen Geschichte und Rechtsgeschichte Südeuropas noch in den Anfängen, weil seit dem frühen 20. Jahrhundert Westeuropa und Osteuropa in einen politischen Gegensatz gerieten. Dieser ergab sich vor allem aus dem Siegeszug des von Karl Marx begründeten Kommunismus, der unter Lenin und später Stalin seit 1917 in Russland in politische Wirklichkeit umgesetzt wurde, die aus unterdrückten Bauern und Arbeiter glückliche Genossen des Friedens und Wohlstands machen wollte oder sollte. Dazu kamen sprachliche Zugangsschwierigkeiten für Interessenten aus dem Westen zu Texten aus dem Osten.

 

In dieser Lage war es ein glücklicher Gedanke Marie Theres Fögens, sich Südosteuropas anzunehmen und in dem Rahmen des Exzellenz-Clusters The Formation of Normative Orders den Blick auf die in dem 19. Jahrhundert aus der untergehenden osmanischen Herrschaft entstehenden Nationalstaaten zu richten. Marie Theres Fögen konnte zwar dieses wichtige und interessante Vorhaben noch optimistisch beginnen, erlag aber in Zürich bereits an dem 18. Januar 2008 einer tödlichen Krankheit. Auf ihre Bitte hin hat sich Michael Stolleis selbstlos dem Unternehmen gewidmet und es trotz aller damit verbundenen Schwierigkeiten zu einem zunächst auf Rumänien, Bulgarien und Griechenland beschränkten Ende geführt.

 

Der im Anschluss hieran von Thomas Simon herausgegebene zweite Band behandelt den Wandel des Rechtssystems in Bosnien und Serbien während des 19. Jahrhunderts, als in diesen Ländern die jahrhundertelange Herrschaft der Osmanen teilweise gewaltsam zu Ende ging und der Bereich zu einem Teil des Westens wurde, wenn auch unter unterschiedlichen  Bedingungen und mit starken Abstufungen, wobei sich zumindest in den größeren Städten westliche Kulturmuster und Lebensformen in kapitalistischer Wirtschaftsweise verbreiteten und westliche Rechtsmodelle aufgenommen wurden. Der vorliegende Sammelband behandelt nach einer Einführung des Herausgebers über die beiden den Rechtstransfer betreffenden Muster der nationalen Wiedergeburt und der kolonialen Modernisierung in zwölf Studien die vielfältigen Entwicklungen in Bosnien, Serbien und Albanien bezüglich des Überlebens des ottomanisch-islamischen Rechtes in Bosnien und Herzegowina, des koexistierenden österreichischen und ottomanischen Privatrechts in Bosnien-Herzegowina zwischen 1878 und 1918, der Reste ottomanischer Regeln unter österreichisch-ungarischer Herrschaft, des Aufkommens von Menschenrechten in der serbischen Rechtstheorie, der Anfänge serbischen Verfassungsdenkens, der geschichtlichen Entwicklung des Strafprozesses in Serbien zwischen 1815 und 1865, der Hauptstrafen in Serbien in dieser Zeit, des Strafgesetzbuchs Serbiens von 1860, der Nationsbildung und der Notwendigkeit des Rechtsstudiums in Serbien in dem 19. Jahrhundert, der Rechtsquellenlehre Valtasar Bogišićs in den Motiven zu dem Gesetzbuch Montenegros von 1888 und schließlich der Verfassungsgesetzgebung Albaniens bis 1928 in dem Spannungsfeld zwischen dem osmanischen Reich, den europäischen Mächten den Vereinigten Staaten von Amerika und den Staaten der Region, so dass zwar leider noch kein vollständiges Gesamtbild geboten wird, aber doch das gesamte Forschungsfeld in ersten eindrucksvollen Ansätzen hinreichend deutlich gemacht wird.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler