Handbuch der hessischen Geschichte, Band 5 Grundlagen und Anfänge hessischer Geschichte bis 900, hg. v. Böhme, Horst Wolfgang/Dobiat, Claus (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 63). Historische Kommission für Hessen, Marburg 2018. X, 728 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Nach dem kurzen Vorwort der beiden früher in Mainz und Marburg tätigen Herausgeber behandelt der hier vorgelegte Band einen unermesslich langen Zeitabschnitt, der sich von dem ersten Auftreten des Menschen in dem hessischen Raum vor 300000 Jahren bis zu dem Beginn des frühen Mittelalters in der Zeit der merowingischen und karolingischen Könige erstreckt. Er umfasst damit die viele Jahrtausende währenden Perioden von der Steinzeit bis zu der Eisenzeit, die knapp 300 Jahre der Herrschaft der Römer und die anschließenden 500 Jahre bis zu der Christianisierung. Räumliche Grenzen dieses überwiegend kalkarmen Gebiets sind dabei Wetterau, Rhön und Diemel.

 

Gegliedert ist der 1986 geplante, durch zahlreiche Hindernisse erschwerte und verzögerte Band dementsprechend in fünf zeitliche Abschnitte. Sie betreffen Hessens Vorgeschichte von der Steinzeit bis zur Eisenzeit und damit bis 50 v. Chr. (Claus Dobiat und Frank Verse), frühe „Germanen“ in Hessen (Michael Meyer, 247), Hessen in römischer Zeit (Margot Klee, 271), Hessen in den Jahrhunderten zwischen Spätantike und frühem Mittelalter (3. – 8. Jahrhundert, Horst Wolfgang Böhme, 471) und Hessen im frühen Mittelalter (Matthias Hardt 635). Ein Ortsregister von Aachen bis Zwesten schließt den gewichtigen durch zahlreiche Abbildungen veranschaulichten Band örtlich benutzerfreundlich auf.

 

Ausgangspunkt ist nach vorangestellten Überlegungen über die Genese eines archäologisch-historischen Bewusstseins die Entstehung des homo sapiens sapiens in Ostafrika vor etwa 200000 Jahren, der vor rund 45000 oder 43000 Jahren Europa erreichte. Auf einer Mainterrasse in Kelsterbach bei Groß-Gerau wurde dann 1952 in Schottern bzw. in Löss der letzten Eiszeit in einer Tiefe von 4,60 Metern eine wahrscheinlich weibliche Schädelkalotte eines eindeutig modernen Menschen mit einem Alter von 31000-32000 Jahren gefunden. Um 5500 v. Chr. werden neben den Jägern und Sammlern Ackerbauern (Emmer, Einkorn, Erbse, Linse, Lein) und Viehhalter (Rind, Schwein, Schaf, Ziege, Hund) mit Häusern (mit einer Länge von bis zu 40 Metern) und Linearbandkeramik sichtbar und lassen sich danach Menhire als Ausdruck einer stark kultisch-religiös-mythisch geprägten Vorstellungswelt werten.

 

In der Folge verändert Metall die Gesellschaft, wobei nachweislich bereits jungneolithische Gruppen in Süddeutschland in dem vierten vorchristlichen Jahrtausend Kupfergewinnung und Kupferverarbeitung kannten. Um etwa 1200 v. Chr. wird die Körperbestattung durch die Verbrennung und die Urnenbestattung ersetzt. Danach verändert Eisen als neuer aus dem Erz herauszuschmelzender Werkstoff erneut die Welt, in der nun auch „Kelten“ in Hessen lebten, die danach aber in zuwandernden Germanen, von denen sich Chatten wohl in dem 2./1. vorchristlichen Jahrhundert in Hessen festsetzten, aufgegangen sein könnten, womit ein ökonomischer und struktureller Wandel verbunden zu sein scheint.

 

In gleich eindrucksvoller, Anschaulichkeit und Detailreichtum mit Sorgfalt und Vorsicht verbindender Weise durchmisst der Band die anschließenden Jahrhunderte bis zu der politischen Integration in das Frankenreich. Kennzeichnend sind Burgenbau und Christianisierung. Unter den Konradinern, die mit Konrad I. von 911 bis 918 einen fränkisch-deutschen König stellen, schließlich nähern sich zwei unterschiedliche geschichtliche Landschaften einander an, wenn es auch, womit der außerordentlich interessante, fesselnd geschriebene Band zutreffend schließt, bis zu dem Werden Hessens noch weit war.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler