Berghorn, Detlef/Hattstein, Markus, The Roaring Twenties. Die wilde Welt der 20er. Wissenschaftliche Buchgesellschaft/Theiss. Darmstadt, 2019. 208 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Wie es in der Geschichte des Individuums Tradition und Innovation gibt, so stehen auch in der allgemeinen Geschichte des Lebens sich lange Zeiten von Dauer und Gleichmaß und kurze Augenblicke von Veränderungen und Freuden gegenüber. Dem individuellen Menschen gefallen dabei zeitweise Gier, Genuss und Glück besser als Zeitablauf, Einerlei und der einfache Weg von der geschenkten Geburt bis zu dem unabänderlichen Tode. Die bloße Natur mit ihrem langen Atem gilt dabei dem modernen urbanen Menschen oft dort wenig, wo Kultur und Kommerz als Alternative möglich sind.

 

Mit den wilden, verrückten oder goldenen Jahren des 20. Jahrhunderts beschäftigt sich das vorliegende, mit vielen Abbildungen und einem Register von 21 Club bis Zweig (Stefan)  versehene Werk des in Geschichte, Theologie und Religionswissenschaft ausgebildeten, 2018 promovierten und als Historiker und Redakteur in Hannover und Berlin tätigen Detlef Berghorn und des 1961 geborenen, in Philosophie, Soziologie, katholischer Theologie und vergleichender Religionswissenschaft und Islamwissenschaft ausgebildeten, als freier Schriftsteller  und Lektor in Berlin tätigen Markus Hattstein, die bereits 2010 bei einer Weltgeschichte von den Anfängen bis in das 21. Jahrhundert zusammenarbeiteten. Es gliedert sich in insgesamt elf Abschnitte. Sie betreffen in alphabetischer Ordnung Berlin, Chicago, Lissabon, London, Moskau, New York, Paris, Rom, Shanghai, Tokio und Wien.

 

Vor allem in Berlin, London, New York und Paris werden an dem Ende des ersten Weltkriegs nach den Verfassern die Menschen von unbändiger Lebensgier, Vergnügungssucht und Zukunftshoffnung erfasst. Daraus entstehen beispielsweise Frauenbefreiung, Film, Jazz, Charleston und vieles andere mehr. Repräsentiert werden sie auf dem Umschlagbild durch vier Revuegirls des Damenballetts Ehed Karina in Berlin um 1920 in bunten bikiniähnlichen Gewandungen, wobei unter dem Berliner Kabarett von Politik, Erotik und Artistik in größeren Gruppen das Oberteil auch überwiegend fehlen kann und bunt geschminkte Frauen vorsichtig zu Bernd Roberts Rhythmen vor neugierigen Zuschauern tanzen, doch auch an dem Broadway Damenbeine oberhalb des Knies mit dem Band gemessen werden – insgesamt ein vielfältiger Rückblick aus einer längst weiter fortgeschrittenen befreiteren Zeit auf die ersten zögernden Anfänge einer Emanzipation von vielen Lasten einer durch die kulturelle Avantgarde der Moderne verabschiedeten Vergangenheit mit allen glücklichen und schädlichen Folgen für die irdische Gesamtgesellschaft.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler