Becker, Hans-Joachim, Von der konfessionellen Militärstatistik zur „Judenzählung“ (1916). Eine Neubewertung. Verlag Traugott Bautz, Nordhausen 2017. 588 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Die zahlenmäßige Erfassung häufiger oder massenhafter Gegebenheiten erfolgt in wissenschaftlicher Weise der Statistik erst seit dem frühen 19. Jahrhundert, in dem in Preußen 1805/1810 ein statistisches Büro eingerichtet wird. Einer dabei möglichen Sachgegenstände ist auch das Militär. Wie in der Gesamtbevölkerung kann auch hier die Verteilung auf unterschiedliche Konfessionen von Interesse sein.

 

Mit dem in diesem Zusammenhang an dem 11. Oktober 1916 auf Grund von Klagen antisemitischer, sich als besorgte Bürger ausgebenden Organisationen von dem Kriegsministerium Preußens geschaffenen Erlass, den jüdischen Kriegsbeitrag an der Front, in der Etappe und in der Heimat statistisch zu erfassen, beschäftigt sich die vorliegende Darstellung des in Jever 1945 geborenen, in München 1981/1982 mit einer Dissertation über die frühe Nietzsche-Rezeption in Japan (1893-1903) promovierten Philosophen, Japanologen und Historikers Hans-Joachim Becker, der außerdem mit Untersuchungen über Nietzsche und Adorno, Fichtes Idee der Nation und das Judentum sowie das Judentum in der philosophischen Politik Nietzsches hervorgetreten ist. Das Werk gliedert sich nach einem Vorwort über den Erlass, dessen Ergebnisse übrigens nicht veröffentlicht wurden, methodischen Vorbemerkungen und einer Einleitung über Zivilgesellschaft, Armee und Judentum in dem Kaiserreich in 23 Kapitel. Sie beginnen mit der anfänglichen Kriegsbegeisterung und enden mit einer Betrachtung von Krieg und Judentum in Frankreich und Großbritannien.

 

Dabei gelangt der nach eigenen Worten eine Neubewertung vornehmende Verfasser zu dem Ergebnis, dass die Wirkung des Erlasses vielfach antisemitisch war und sich jüdische Soldaten zu Recht auch davon betroffen fühlten, dass aber die ursprüngliche Zielsetzung hiervon abwich. Weil antisemitische Organisationen und jüdische Einrichtungen unterschiedliche Statistiken führten, wollte nach Ansicht des Verfassers das Ministerium eigene, davon unabhängige Zahlen. Nach dem viele neue Quellen verwertenden Verfasser ist es dabei schlechthin extrem unwahrscheinlich oder geradezu undenkbar, dass mehrere hohe Beamte des Kriegsministeriums Preußens bis hin zu dem Minister sowie zwei Kriegsminister Bayerns und Hindenburg selbst mit ähnlichen Worten eine antisemitische Intention des Erlasses in Abrede stellten und dies nicht den Tatsachen entsprochen hätte, doch fragt sich schon, ob, wie von dem Verfasser angenommen, der Antisemitismus in dem Deutschen Reich vor 1914 tatsächlich bereits an Gewicht verloren hat.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler