Angster, Julia/Gosewinkel, Dieter/Gusy, Christoph, Staatsbürgerschaft im 19. und 20. Jahrhundert. Mohr Siebeck, Tübingen 2019. XI, 203 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Der Mensch hat wohl erst ziemlich spät in seiner Geschichte den Staat entwickelt. Seitdem besteht die Gefahr, dass das Geschöpf dem Schöpfer die Herrschaft aus der Hand nimmt und eigene Entscheidungen trifft, die auch den Schöpfer berühren. In diese Richtung weist die Entwicklung des Menschen zu dem Staatsbürger als dem bewusst als Bürger mit Teilhaberecht an dem Staate in der Form der Staatsangehörigkeit verstandene Mitglied eines Staates, die sich darin zeigt, dass nach bisheriger Ansicht zwischen 1770 und 1789 der Staatsbürger allgemein anerkannt wird.

 

Nach seinem Vorwort ist der vorliegende schmale, mit einem Sachverzeichnis von Abstammung bis Zwangsmigration ausgestattete Band eine weitere Publikation aus dem Arbeitskreis Rechtswissenschaft an der Akademie der Wissenschaften in Mainz, wobei die Beiträge aus Referaten hervorgingen, die anlässlich der Jahrestagung 2016 gehalten wurden und die dortigen Kommentare und intensiven Diskussionen nach Möglichkeit berücksichtigten. Sie gehen von der Herausbildung der Staatsangehörigkeit in dem 19. Jahrhundert aus, die zunächst der territorialen Zuordnung des Menschen zu dem Staate diente und als Grund und Grenze sozialer Garantien angelegt war. Deren Ergänzung um politische Rechte legte den Grund für eine neue Art der Zugehörigkeit des Bürgers zu dem Staate, welche die ältere Staatsangehörigkeit nicht ablöste, sondern auf ihr aufbaute.

 

In diesem allgemeineren Rahmen stellt Dieter Gosewinkels Untersuchung über die Staatsbürgerschaft als interdisziplinäres Feld historischer Forschung methodische und perspektivische Vorklärungen unter den Bedingungen von Binnengesellschaften, Auswanderungsgesellschaften und Einwanderungsgesellschaften in den Mittelpunkt. Julia Angsters Studie über Staatsbürgerschaft und Nationalisierung von Staat und Gesellschaft behandelt die Voraussetzungen, unter denen sich verschiedene Formen von Zugehörigkeit zwischen der Mitte des 19. Jahrhunderts und der Mitte des 20. Jahrhunderts gebildet haben. Christoph Gusy beschreibt auf dieser Grundlage die weitere Entwicklung von Staatsangehörigkeit und Staatsbürgerschaft nach 1945 unter den Gesichtspunkten der Spaltung der Welt in Westen und Osten, der teilweisen Europäisierung Europas in den europäischen Gemeinschaften und der Europäischen Union sowie der Entkolonialisierung der von Staaten Europas vor allem in dem 19. Jahrhundert unter ihre Herrschaft gebrachten Teile der nichteuropäischen Welt, wobei er an dem Ende zu dem überzeugenden Ergebnis gelangt, dass die politische, soziale und kulturelle Rolle von Bürgerrechten und Staatsangehörigkeit in der Gegenwart offener ist als jemals zuvor und die Findung der richtigen Balance eher eine Aufgabe der Politik und des bürgerschaftlichen Engagements in ihr ist als des Rechtes.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler