Breitinger, Jan C., Zwischen Nutzung und Niedergang. Der Lake Victoria als Ressource in Wissenschaft, Kolonial- und Entwicklungspolitik, 1927-1988 (= Historische Grundlagen der Moderne 18 Geschichte International). Nomos, Baden-Baden 2018. 482 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Der früher nach seiner größten Insel Ukerewesee genannte, auf einer Hochebene Ostafrikas gelegene Victoriasee in Tansania, Uganda und Kenia liegt nahe der Wiege des modernen Menschen und ist mit etwa der Fläche Bayerns oder Irlands nach dem Oberen See der zweitgrößte Süßwassersee der Welt und der größte See des Kontinents Afrika. Sein Alter wird auf weniger als eine Million Jahre geschätzt. Während er bei hoher Verdunstung vor etwa 14700 letztmals vollständig austrocknete, hat ihn der Mensch in der Gegenwart zwecks Energiegewinnung mittels Staudämmen deutlich vergrößert.

 

Das vorliegende Buch ist die leicht überarbeitete Fassung der von Benedikt Stuchtey betreuten und an der Universität Marburg 2016 eingereichten Dissertation des in Geschichte und Volkswirtschaftslehre in Heidelberg und Lund ausgebildeten Bearbeiters, der für sein Werk dank großzügiger Stipendien mehrmals in Großbritannien und Uganda forschen konnte. Gegliedert ist die Untersuchung nach einer Einleitung mit Fragestellung, Eingrenzungen, Forschungsstand, Theorien, Quellen und Aufbau in insgesamt sechs Abschnitte. Sie betreffen in geschichtlicher Abfolge Erkunden, Erforschen, Nutzen, Entwickeln, Warnen und Schützen.

 

In ihnen kann der Verfasser beispielhaft zeigen, wie mit der Ankunft John Hanning Spekes in dem Quellbereich des Niles der See in das Blickfeld der Welt und des Empires Großbritanniens geriet, das ihn seit dem späten 19. Jahrhundert in seinen Machtbereich einfügte. Auf der Grundlage umfangreicher wissenschaftlicher Forschungen ließ sich der See in vielfacher Weise wirtschaftlich nutzen, so dass der Verfasser die These formulieren kann, dass der Lake Victoria eine Ressource wurde, deren Kontrolle durch das Empire einen zentralen Faktor für den Aufbau und die Aufrechterhaltung der kolonialen Expansion bildete. Noch weit darüber hinaus kann der Autor den Lake Victoria als Sinnbild für die globale Herausforderung einordnen, den Umgang mit den vorhandenen natürlichen Ressourcen in ökologisch nachhaltiger und gesellschaftlich verträglicher Weise zu organisieren, damit die künftigen Folgen des von dem Menschen bewirkten Wandels eines paradiesisch anmutenden Sees zu einem höchst beanspruchten sozioökonomischen Raum und beispiellos geschädigten Habitat wenigstens in Zukunft in dem Allgemeinwohl verpflichteten Grenzen gehalten werden können.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler