Unterreiner, Katrin, Franz Joseph. Eine Lebensgeschichte in 100 Objekten. Amalthea, Wien 2016. 191 S., 177 Abb. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Der Gehirnforschung und der Lernpsychologie verdanken wir die Erkenntnis, dass sich Informationen umso besser im Gedächtnis festsetzen, je plakativer sie an unsere Sinnesorgane herangetragen werden. Die meisten Publikationen versuchen dem Rechnung zu tragen, indem der laufende Text als primärer Informationsträger agiert und diversen Illustrationen eine begleitende und dienende Rolle zukommt. Dass die Eingängigkeit von Bildern, die dem „Augentier“ Mensch in besonderer Weise entgegenkommt, auch intensiver genutzt werden kann, beweisen Kompositionen wie die hier zur Besprechung anstehende, die das Leben des österreichischen Kaisers Franz Joseph I. (1830 – 1916) über hundert exklusive bis alltägliche Objekte aufrollt. Die Palette dieser materiellen Hinterlassenschaften umfasst eine größere Anzahl gemalter, gezeichneter und fotografisch erfasster Bildnisse, Pretiosen (Taschenuhren, der Orden vom Goldenen Vlies, der akademische Ehrenring „sub auspiciis Imperatoris“) und Gegenstände des täglichen Bedarfs (Kleidung, Geschirr, Wäsche), Aufzeichnungen und Dokumente sowie heute eigentümlich anmutende Devotionalien – biogenes Material (Haarsträhnen, Barthaare oder Nägel des Kaisers), das bei den alljährlichen Weihnachtsauktionen feilgeboten und den Meistbietenden zugeschlagen worden war –, die aber durchaus in die lange Tradition des christlichen Reliquienkults zu stellen sind.

 

Diese bunte Vielfalt der präsentierten Objekte verfolgt den Zweck, vorwiegend die Persönlichkeit des österreichischen Kaisers in ihren unterschiedlichen Dimensionen auszuleuchten. Die Sphäre des Politischen fließt so auch nur dort ein, wo sie der Charakteristik persönlicher Beziehungen dienlich ist. Vorweg sei festgehalten, dass der exemplarische Charakter und der beschränkte Rahmen des Projektes keine vertiefte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Streitfragen zulassen. So bekräftigt die Darstellung in ihrer Gesamtheit ein Bild Franz Josephs, wie es in der Öffentlichkeit seit langem präsent ist: Der Sohn einer ehrgeizigen Mutter und eines minderbegabten Vaters, der früh lernen musste, Gefühle zu unterdrücken, und der bei seinem Regierungsantritt 1848 nur folgerichtig die in ihn gesetzten liberalen Erwartungen enttäuschen musste; der in seiner Cousine, der bayerischen Prinzessin Elisabeth, eine ebenso verehrte, geliebte wie wesensmäßig völlig konträre Gemahlin fand, welche die schwierige Beziehung zu Ungarn zu entspannen vermochte und bekanntlich 1898 so tragisch endete; die Schauspielerin Katharina Schratt, deren Eskapaden Franz Joseph trotz seiner sonstigen Sparsamkeit großzügig finanzierte, war ihm in der Folge umso mehr eine wohl nicht nur emotionale Stütze; ein Mann, der es schwer hatte, sich gefühlsmäßig seinen Kindern gegenüber zu öffnen, und dennoch seinen zahlreichen Enkelkindern ein umso liebevollerer Großvater war, der sich auch mit nicht wenigen missratenen Verwandten herumzuschlagen und harte Schicksalsschläge hinzunehmen hatte; der unermüdliche, pflichtbewusste, aber auch unklug seine Kompetenzen reservierende Arbeiter, der sich um halb vier Uhr morgens zum Dienst wecken ließ und sich üblicher Weise zwischen acht und neun Uhr abends zur Ruhe legte, der seinem Dienstpersonal gegenüber bescheiden und großzügig auftrat, jedermann die Möglichkeit einer Audienz zubilligte und seinen Ausgleich in Bad Ischl, bei der Jagd oder im Zuge militärischer Manöver suchte; ein Herrscher, der schließlich nach 68 Regierungsjahren am 30. November 1916 filmisch dokumentiert mit großem Pomp zu Grabe getragen wurde. Das alles ist in der Kaiserbiographie Karl und Michaela Vocelkas (2015), welche die Verfasserin nicht herangezogen hat, wesentlich genauer und kritischer nachzulesen.

 

Somit können es nicht diese wohlbekannten und wenig originellen Versatzstücke der Geschichte Franz Josephs sein, welche die gegenständliche Schrift interessant machen, sondern es sind die vielen kleinen eingestreuten anekdotischen Informationen, die sich wie in einem Kaleidoskop zu einem schillernden Bild des Protagonisten und seiner Lebenswelt fügen. Das Haus Habsburg, dem der Kaiser vorstand, war mit seinen zahlreichen Erzherzögen ein nicht immer leicht zu führendes Unternehmen. Das unglückliche Schicksal des Kaiserbruders Ferdinand Max als kurzfristig regierender Kaiser Maximilian von Mexiko 1867 gehört zum historischen Allgemeinwissen, ebenso die Tragödie von Mayerling um den Kaisersohn Kronprinz Rudolf, wohingegen man in der Regel weniger über andere, minder prominente und aus der Spur geratene Erzherzöge weiß: die Brüder des Kaisers Ludwig Viktor („Luziwuzi“; er „galt als gefährlicher Intrigant und ‚Klatschmaul‘ […], (liebte) sowohl Damen als auch Herren“ und wurde wegen eines Skandals nach Schloss Kleßheim abgeschoben; S. 59) und Karl Ludwig (der Vater des in Sarajevo ermordeten Thronfolgers Franz Ferdinand und Großvater des letzten Kaisers Karl „galt als roher Charakter und Trinker, der sogar gegen seine vielgeplagte Ehefrau handgreiflich wurde“; S. 60), sodann Otto (der Vater Kaiser Karls, „charmanter Lebemann und Casanova […], bevor er 1906 schließlich an Syphilis verstarb“; S. 62), Ferdinand Karl (bürgerlich Burg, „starb vereinsamt und schwer alkoholkrank 1915“), Ernst (musste seine Kinder aus einer nicht standesgemäßen Ehe „verleugnen“), Leopold Salvator (bürgerlich Wölfling, versuchte sich als „Eintänzer und Gemischtwarenhändler“) oder Johann (bürgerlich Orth, ging wohl „1890 auf dem Weg nach Chile im Atlantik unter“; S. 65). Dass der Kaiser persönliche Aussprachen mit solchen Sündern scheute, hing, wie Karl und Michaela Vocelka in ihrem vorhin genannten Buch überzeugend mutmaßen, mit seinen eigenen Grenzüberschreitungen zusammen, die keineswegs Gegenstand der Erörterung werden sollten.

 

Viele Informationen offenbaren Details aus dem Alltagsleben der kaiserlichen Familie. Wer hätte schon gewusst, dass Kaiserin Elisabeth ausweislich der Bestellscheine der Hofapotheke „im Sommer vor allem ‚Wilson Salbe‘ bestellte, eine mit Zink und Talk versetzte Cold Creme, die als erster Sonnenschutz auf mineralischer Basis für die Kaiserin entwickelt wurde“ (S. 38)? Der Kaiser wiederum lehnte für seine Person „modische Einflüsse und ‚Korrekturen‘ strikt ab. So färbte er sich im Unterschied zu vielen Zeitgenossen weder die Haare, noch verwendete er wie damals üblich Klebemittel zur Versteifung und Festigung der Schnurrbartspitzen“ (S. 83). Er „war zeit seines Lebens starker Raucher“ und hegte eine Vorliebe für „Virginier, eigentlich eine billige, aber aromatische Zigarre“, was nicht nur zu chronischem Husten, sondern auch dazu führte, „dass ihr Name bald von ‚Kutscherzigarre‘ zur ‚Kaiserlichen‘ mutierte“ (S. 107). Hinsichtlich der Zivilbekleidung herrschten beim Uniformträger Franz Joseph, der Punkt zwölf Uhr „sein Mittagessen immer an seinem Schreibtisch ein(nahm), um nicht wertvolle Zeit zu vergeuden“, und dabei unter Beschränkung des Bestecks auf „Gabel und Löffel“ (S. 126) „Suppe, Rindfleisch mit Gemüse, Beefsteak oder Geflügel und dazu ein Glas ‚Spaten-Bier‘“ (S. 98) konsumierte, „geradezu trostlose Zustände“ (S. 86). Die meisten dieser alltäglichen Gewohnheiten sind durch die Memoiren des Leibkammerdieners Eugen Ketterl überliefert worden, dessen anhängende gesiegelte Visitenkarten die authentische Herkunft manches der abgebildeten Objekte aus dem persönlichen Fundus des Monarchen beglaubigen.

 

Die Verfasserin des Bandes, Katrin Unterreiner, leitet als Historikerin die Kaiserhaussammlung Plachutta, die, seit 2006 als Privatsammlung aufgebaut und um die 2000 Exponate umfassend, 2015 als Teil der Landessammlungen Niederösterreich in das Eigentum des Landes Niederösterreich überführt worden ist. Der Schwerpunkt dieser Sammlung, der das im Band vorgestellte Material zur Gänze entnommen ist, „auf Objekte(n) aus dem Privatbesitz und persönlichen Gebrauch der kaiserlichen Familie“ erklärt die dargelegte, auf Persönliches konzentrierte inhaltliche Ausrichtung der vorliegenden Zusammenstellung. Insgesamt ist deren Präsentation gelungen und gefällig; für leichte Irritationen sorgen die über längere Strecken ausgesetzte Paginierung (z. B. zwischen S. 130 und S. 137, dann zwischen S. 137 und S. 144) sowie Unvollkommenheiten des Literaturverzeichnisses und des Personenregisters (im Erstgenannten fehlen die zentralen, oft zitierten Memoiren Eugen Ketterls, im Personenregister verweist etwa der Eintrag „A. E. Köchert, k. u. k. Hoflieferant“ ausschließlich auf die S. 113, obwohl der Name auch auf S. 95 mehrfach erwähnt wird; sinnvoller, weil präziser, wäre zudem auch im Register der im Text verwendete Begriff „Hofjuwelier“).

 

Der Titel ist im Übrigen in dem Buch uneinheitlich angegeben (einmal „Kaiser Franz Joseph“, dann wieder nur „Franz Joseph“).

 

 

Kapfenberg                                                    Werner Augustinovic