KöblerMarinellovonderarbeitzurerziehung20170213 Nr. 16326 ZIER 7 (2017) 53. IT

 

 

Marinello, Riccardo, Von der Arbeit zur Erziehung. Die Bedeutung der englischen Fabrikgesetze für die Herausbildung der Jugend im 19. Jahrhundert (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main 298 = Lebensalter und Recht 8).. Klostermann, Frankfurt am Main 2016. XI, 307 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Das Leben des Menschen ist von der Natur her in der Weise vorstrukturiert, dass er von nirgendwo oder irgendwo her kommt und an dem Ende wieder nach nirgendwo oder irgendwo vergeht. Diese stetige Entwicklung hat die Menschheit durch Zivilisation und Kultur beeinflusst, indem sie beispielsweise Arbeit und Erziehung erfunden hat. Einen beachtlichen Stellenwert hat in diesem Zusammenhang auch das Recht, vor allem in der allmählich anerkannten Form der Gesetze.

 

Mit einem Teilaspekt dieser Fragestellung beschäftigt sich die von Stefan Ruppert betreute, im Rahmen des Projekts Lebensalter und Recht an dem Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main entstandene, im Wintersemester 2014/2015 von dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Frankfurt am Main angenommene Dissertation des seit 2014 als Rechtsanwalt bei Allen & Overy tätigen Verfassers. Sie gliedert sich nach einer Einleitung über Fabrikgesetze als Mittel zur Segmentierung und Synchronisierung der Lebensphase Jugend sowie einen Überblick über Forschungsstand und Methode in insgesamt fünf Teile. Sie betreffen die Entdeckung der Jugend durch das erste Fabrikgesetz (Health and Morals of Apprentices Act) aus dem Jahre 1802, den Eingriff in den Freihandel und das Erziehungsrecht der Eltern durch die Ausweitung des gesetzlichen Jugendschutzes auf die free children (1815 bis 1830), den ersten gesetzgeberischen Schritt in Großbritannien in Richtung auf eine verpflichtende Erziehung für alle gesellschaftlichen Klassen (1830-1840), die Expansion des gesetzlichen Jugendschutzes zwischen 1840 und 1870 und den weiteren systematischen Wandel bis zur Ächtung der Kinderarbeit zwischen 1870 und 1900.

 

Im Ergebnis kann der Verfasser zeigen, dass die von den Verhältnissen in den Baumwollfabriken ausgehenden Fabrikschutzgesetze Großbritanniens zusammen mit den später erlassenen Erziehungsgesetzen  zur sozialen Definition der Lebensphase Jugend beitrugen, wobei die Jugend nach dem Verfasser im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert als schutzbedürftige Lebensphase mit eigenen Bedürfnissen entdeckt wurde. Durch die Einführung einer Schulpflicht verfestigte sich diese Lebensphase Jugend. Dementsprechend ergibt sich, dass die englischen Gesetze des 19. Jahrhunderts dabei mitwirkten, dass aus der Arbeit ohne Erziehung über die Erziehung neben einer Arbeit eine vom Staat herbeigeführte Erziehung ohne Arbeit mit vielen zugehörigen Arbeitsplätzen werden konnte.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler