Gailus, Manfred, Friedrich Weißler. Ein Jurist und bekennender Christ im Widerstand gegen Hitler. V&R, Göttingen, 2017. 316 S., Abb. Besprochen von Werner Schubert.

 

Es ist zu begrüßen, dass mit dem Werk von Gailus (Professor für neuere Geschichte an dem Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin) erstmals eine umfassende Biografie über Friedrich Weißler, den „ersten Märtyrer der Bekennenden Kirche“ (S. 232) vorliegt. Weißler entstammt einer jüdischen Familie aus der preußischen Provinz Oberschlesien (Leobschütz). Sein Großvater war Sohn eines Rabbiners und hatte es zu „einigem Wohlstand“ gebracht. Dessen Sohn Adolf Friedrich Weißler (1855-1919) war einer der bekanntesten Notare und Rechtsanwälte Preußens. Von ihm stammen u. a. ein Werk über das Notariat in der preußischen Monarchie (1896) und eine Geschichte der Rechtsanwaltschaft (1905) sowie zahlreiche Abhandlungen in der DNotZ, deren Schriftleiter er bis zu seinem Tode war. Außerdem war er Herausgeber des jährlich erscheinenden „Preußischen Archivs“, eines Jahrbuchs über die jeweils neuesten Rechtsvorschriften Preußens und des Reichs, das Friedrich W. bis 1933 weiterführte. Friedrich Weißler (geb. 1891 in Königshütte/Oberschlesien) wuchs in Halle auf, wohin sein Vater 1893 übergesiedelt war und sich dort als Notar etablierte. Nach Gailus war Adolf W. in seiner Hallenser Zeit „im preußisch-deutschen, protestantischen Bildungsbürgertum der wilhelminischen Epoche“ angekommen (S. 220). Er orientierte sich – so Gailus – an der „nationalliberalen Mitte des Kaiserreichs“ (S. 219) und war im Ersten Weltkrieg „hoch patriotisch“ (S. 51). Er machte seinem Leben am Tag des Versailler Vertrags ein Ende, da er die bedingungslose Zustimmung des Reichstags zu diesem Vertrag nicht ertragen konnte.

 

Friedrich Weißler hatte nach seinem Abitur 1909 das Studium der Rechtswissenschaften aufgenommen, das er 1912 mit dem ersten Staatsexamen abschloss. Er begann alsbald das Referendariat und promovierte 1914 an der Universität Halle. Im Ersten Weltkrieg „sehr konservativ, entschieden antiliberal und monarchistisch, kräftig deutsch-national“ (S. 69) eingestellt, schloss er sich in der Weimarer Zeit der DDP an, der er bis 1930 angehörte. Nach seinem Assessorexamen blieb er im preußischen Justizdienst (1925 Landgerichtsrat in Halle; Ende Oktober 1932 Landgerichtsdirektor in Magdeburg). Weißler befasste sich in mehreren Veröffentlichungen mit dem Recht der Freiwilligen Gerichtsbarkeit und kommentierte zusammen mit dem Reichsgerichtsrat Höniger, der zum 1. 4. 1935 wegen seiner jüdischen Abstammung in den Ruhestand treten musste, die Grundbuchordnung (1932 im Verlag Otto Liebmann, 1934 in zweiter Auflage bei Beck erschienen). Kurz nach dem Antreten seiner Stelle als Landgerichtsrat war er wegen einer Entscheidung einer Hetzkampagne der Nationalsozialisten ausgesetzt (S. 99ff.), was alsbald seine Suspendierung vom Dienst zur Folge hatte. Unter dem 31. 7. 1933 wurde er entsprechend § 4 des BBG (politische Unzuverlässigkeit) entlassen; eine Entlassung nach § 3 – Weißler war Frontkämpfer – war nicht möglich.

 

Noch in demselben Jahr zog Weißler nach Berlin, wo er bei der „vorläufigen Kirchenleitung“ der Bekennenden Kirche in Dahlem 1935 als nicht festangestellter „Büroleiter“ und juristischer Berater – insoweit erhielt er lediglich eine Aufwandsentschädigung – tätig war. 1936 koordinierte er die internen Beratungen über eine Denkschrift der Kirchenleitung und des Rates der Evangelischen Kirche, die sich gegen die „Gefahr der Entchristlichung“ und die „Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens“ durch den Nationalsozialismus wandte (S. 137ff.). Die Denkschrift, die streng geheim bleiben sollte, wurde am 4. 6. 1936 persönlich in der Reichskanzlei abgegeben. Bereits am 16. 7. 1936 erschien in der New York Herald Tribune ein Artikel über die Denkschrift (am 28. 7. 1936 Veröffentlichung der vollen Denkschrift) und am 23. 7. 1936 in den „Baseler Nachrichten“ die Denkschrift im Wortlaut. Da die Kirchenleitung nicht sicher klären konnte, von wem die Indiskretion stammte, bat sie die Gestapo um Mithilfe (S. 229). Am 7. 10. 1936 wurde Weißler von der Gestapo mit drei weiteren Personen verhaftet. Bei den Ermittlungen stellte sich heraus, dass Weißler eine Vorfassung der Denkschrift weitergegeben hatte; ferner stellte sich heraus, dass sie auch durch andere Kontakte in das Ausland gelangt war (S. 159). Am 13. 2. 1937 wurde Weißler in das Konzentrationslager Sachsenhausen überführt, wo er eine Woche später „in seiner Zelle liegend“ tot aufgefunden wurde. Die vom Reichsjustizminister Gürtner veranlassten Ermittlungen des Generalstaatsanwalts Berlin ergaben, dass Weißler an den Misshandlungen seitens des einem blinden Hass gegen Juden unterliegenden Wachpersonals verstorben war (S. 184). Im abschließenden Kapitel befasst sich Gailus mit „dem Weiterleben“ der Familie Weißlers und des Kirchenrats „nach der Katastrophe“ (S. 191ff.). Das Werk wird abgeschlossen mit einem „Resümee“ vor dem „Hintergrund des Reformationsgedenkens im Jahr 2017“ (S. 217ff.), der Wiedergabe von „Ego-Dokumenten“ (u. a. vom Briefwechsel Weißlers mit seiner Frau und den Kindern von Oktober 1936 bis Februar 1937; S. 247ff.) und mit einem Personenregister.

Mit seinem Werk hat Gailus eine gut lesbare Lebensgeschichte Weißlers vorgelegt, in der auch der politik- und religionsgeschichtliche Hintergrund der Zeit von Adolf und Friedrich Weißler einbezogen wird. Etwas präziser hätte er m. E. auf die Bekennende Kirche und etwas ausführlicher noch auf die „Denkschrift“ eingehen sollen. Eine Zeittafel mit den präzisen Daten wäre hilfreich gewesen. Es war nicht das Ziel von Gailus, näher auf die juristischen Schriften der beiden Weißler einzugehen. Hier finden sich weitere Einzelheiten in dem von Armin Höland und Heiner Lück herausgegebenen Tagungsband: „Juristenkarrieren in der preußischen Provinz Sachsen (1919-1945). Lebenswege und Wirkungen; ein Symposium der Juristischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg e. V. mit der Notarkammer Sachsen-Anhalt“ (Halle/Saale, 2004, S. 35ff., 43ff.; vgl. auch DNotZ 2013). Insgesamt ist zu wünschen, dass sich weitere Untersuchungen mit dem auch rechtshistorisch interessanten wissenschaftlichen Werk Adolf Weißlers und Friedrich Weißlers noch detaillierter befassen.

 

Kiel

Werner Schubert