Büschel, Hubertus, Hitlers adliger Diplomat. Der Herzog von Coburg und das Dritte Reich. Fischer, Frankfurt am Main 2016. 336 S., 24 Abb. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

In der kürzlich an dieser Stelle besprochenen, unter dem Titel „Hitlers heimliche Helfer“ (2016) aus dem Englischen in das Deutsche übersetzten Studie Karina Urbachs zum Engagement bestimmter Angehöriger des deutschen Hochadels in der geheimen bis halboffiziellen Diplomatie des nationalsozialistischen Regimes ist dem als Charles Edward Duke of Albany auf Claremont House, Esher in der britischen Grafschaft Surrey geborenen, 1900 nach Deutschland berufenen und 1905 inthronisierten Herzog Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha (1884 – 1954) eine Schlüsselrolle zugeschrieben worden. Schon 2001 hat Joachim Oltmann in der „Zeit“ Wissenswertes über „Seine Königliche Hoheit de(n) Obergruppenführer“ publiziert, und auch die Biographen Rudolf Priesner (1977) und Harald Sandner (2010) haben sich eingehender mit dem Leben und Wirken dieses „Täter(s) der zweiten Reihe“ (S. 28) befasst. Hubertus Büschel, der als Professor für Zeitgeschichte an der Universität Groningen in den Niederlanden lehrt, hält diesen beiden Lebensbeschreibungen jedoch unzureichende wissenschaftliche Analyse und Mängel in der Dokumentation ihrer Quellen vor und charakterisiert ihre Verfasser als „Laienhistoriker“ (S. 27). Er selbst hingegen habe für seine aktuelle Studie „viele neue Quellen eingesehen“, darunter erstmalig auch im Hausarchiv der Familienstiftung von Sachsen-Coburg und Gotha „die Taschenkalender Carl Eduards für die Jahre 1932 bis 1953 […], in denen er Termine vermerkte und kurze Eindrücke von seinen Begegnungen und Reisen festhielt“ (S. 31). Es gehe ihm in seinem Werk weniger um die Beweggründe oder Schuldfragen, sondern um die Darstellung der Handlungen des Herzogs und damit um die Beschreibung, „wie der Herzog von Coburg durch aktive Beteiligung, durch Duldung und Mitwisserschaft Hitler mit zur Macht verhalf und die Verbrechen des Nationalsozialismus mittrug“. Wenn „die Weltdiplomatie des Hitler-Regimes […] von so glänzend vernetzten und in Umgangsformen versierten Akteuren wie dem Herzog von Coburg betrieben wurde […,] konnten amerikanische, britische, schwedische oder schweizerische Gesprächspartner (oft) einfach nicht glauben, dass [diese] Diplomaten die Untaten des Regimes beschönigten oder – wissentlich oder unwissentlich – verharmlosten“ (S. 29f.).

 

Carl Eduards Einfluss fußte nicht allein auf seinen hochadligen Verwandtschaftsbeziehungen, sondern vor allem auch auf der Kumulation zahlreicher (Ehren-)Ämter: Seit Mai 1933 Mitglied der NSDAP, wurde er noch im selben Jahr förderndes Mitglied der SS und Gruppenführer der SA (1938 Obergruppenführer), später Obergruppenführer und Ehrenvorsitzender des NSKK (Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps) und Obergruppenführer und Ehrenführer der deutschen Luftfahrt im NSFK (Nationalsozialistisches Fliegerkorps), 1936 auch Reichstagsabgeordneter. Seit 1933 im Senat der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, „(liefen) über seinen Schreibtisch […] zentrale wirtschaftliche und wissenschaftsstrategische Entscheidungen“, viele Forscher der Kaiser-Wilhelm-Institute „waren zutiefst korrumpiert und stellten ihre Arbeiten in den Dienst der Rüstungs- und NS-Rassenforschung“. In zahlreichen deutschen Unternehmen, die „Profit aus dem Expansionskrieg, aus der Zwangsarbeit und aus der Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung zogen“, saß der Herzog von Coburg im Aufsichtsrat; genannt werden die Rhein-Metall-Borsig AG (später den „Reichswerken Hermann Göring“ einverleibt), die Deutscher Ring Lebensversicherung AG (in die Deutsche Arbeitsfront integriert), die Deutsche Bank und Discontogesellschaft, die Centralboden-Kredit AG sowie die Europäische Güter- und Reisegepäcksversicherung. „Über seine Ämter pflegte Carl Eduard regelmäßig Umgang mit Joseph Goebbels, Hermann Göring, Heinrich Himmler, Reinhard Heydrich, Rudolf Heß, Joachim von Ribbentrop und immer wieder auch mit Hitler selbst“ (S. 12ff.). Der diplomatische Mehrwert, den sich die Nationalsozialisten von den verwandtschaftlichen Beziehungen des Herzogs zum englischen Hochadel versprachen, führte 1934 zu seiner Berufung in die Position eines „Repräsentanten der Reichsregierung im Ausland mit Sonderauftrag“, in der er „als Vertreter Hitlers vertrauliche Unterredungen“ führte. Als Präsident des Deutschen Roten Kreuzes (1933), der Deutsch-Englischen Gesellschaft (1935) und der Vereinigung Deutscher Frontkämpfer-Verbände (1936) habe er wider besseres Wissen für das nationalsozialistische Regime „Freundschafts- und Friedenspropaganda“ betrieben und „wichtige politische und wirtschaftliche Kontakte“ geknüpft. „Infolge seiner vielfältigen persönlichen Beziehungen wohlbekannt“, unternahm Carl Eduard „von 1933 bis 1944 in Hitlers Diensten mindestens 39 Auslands- und zwei Weltreisen“, deren erste 1934 „innerhalb von vier Monaten England, Kanada, die USA, Japan, China, Singapur, Indien, Ägypten und Italien“ betraf, während ihn die zweite 1940 in die USA, nach Japan und in die Sowjetunion sowie zu persönlichen Gesprächen mit dem US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt und dem japanischen Kaiser Hirohito führte (S. 16f.).

 

Die vorliegende Arbeit recherchiert allerdings, entgegen der anderslautenden Ankündigung des Verfassers, nicht ausschließlich die Tätigkeiten des Coburger Herzogs in dessen vielfältigen Funktionen, sondern führt selbstverständlich auch gewichtige Indizien und Belege für die Ursachen an, die den Aristokraten sich so vorbehaltlos für Hitler engagieren ließen. Als Carl Eduard 1900 nach Deutschland kam, um 1905 seine Herrschaft anzutreten, galt er als Ausländer und war in seinem Amt auch unter den regierenden deutschen Fürsten nicht unumstritten. Deutschnational gesinnte Mentoren wie der Coburger Interimsregent Ernst II. zu Hohenlohe-Langenburg oder Kaiser Wilhelm II. höchstpersönlich machten ihren Einfluss geltend, um den jungen Herzog dahingehend zu formen, „alsbald ein ‚guter deutscher Fürst‘ zu werden“ (S. 43). Carl Eduard habe zwar niemals die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen (vgl. S. 56), erwies sich aber als gelehriger Schüler, der das Manko seiner landesfremden Herkunft gleichsam überkompensierte. Der Dienst im deutschen Heer während des Ersten Weltkriegs, begleitet vom radikalen Adjutanten von Schack, sei „als Einübung dessen zu verstehen, was Carl Eduard später auch in Hitlers Diensten praktizierte: das Dulden eines brachialen Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus, das Hinnehmen von entfesselter Gewalt, Rückzüge in den schönen Schein adliger Annehmlichkeiten und Selbstbetrug“ (S. 61). 1917 ließ der Herzog dem Einzug seiner beträchtlichen englischen Vermögenswerte die vermögensrechtliche Trennung der deutschen Linie vom britischen Zweig der Dynastie Sachsen-Coburg und Gotha per Landtagsbeschluss folgen, im Gegenzug kam es unter dem Druck der öffentlichen Meinung zur Umbenennung des britischen Königshauses in „Haus Windsor“.

 

Dem besonderen politischen Klima in Coburg geschuldet und verfassungsgeschichtlich nicht ohne Interesse ist, dass „der Herzog von Coburg auch in den Jahren nach dem offiziellen Ende der Monarchie im Deutschen Reich ganz besonders bemüht (war), weiter als Herrscher zu leben und auch politisch zu handeln“ (S. 73) und sich nur zu einer unklaren Rücktrittsformel bewegen ließ. Niemand hinderte ihn in der Folge daran, „nach eigenem Gutdünken mit dem Staats- und Stiftungseigentum zu verfahren, als wäre es sein Privatbesitz“. Auf der bis Ende 1920 modernisierten und im völkischen Stil umgebauten Veste Coburg fanden bald „regelmäßig völkische und nationalsozialistische Kundgebungen“ statt (S. 82). Die Transformation der alten Aristokratie in Hitlers neuen „Rassenadel“ hatte hier einen architektonischen Ausdruck gefunden. Dass sich der Herzog 1932 endgültig öffentlich zu Hitler bekannte, indem er nicht nur den Turm von Schloss Callenberg dauerhaft mit einem weithin sichtbaren Hakenkreuz bestücken (vgl. S. 89, Abb. 8), sondern anlässlich der anstehenden Reichspräsidentenwahl explizit einen Aufruf für Hitler und gegen Hindenburg verlautbaren ließ, habe keineswegs ausschließlich ideologische, sondern auch handfeste materielle Gründe gehabt, nämlich Hitlers seit 1926 klar ablehnende Position zur Fürstenenteignung und dessen vermutete Aufgeschlossenheit für eine Wiederherstellung der Monarchie. 1934 konnte sich Carl Eduard dann kurzfristig Hoffnungen machen, Paul von Hindenburg in der Rolle des reichspräsidialen „Ersatzmonarchen“ zu beerben. Das Dritte Reich eröffnete ihm aber, so resümiert der Verfasser, in jedem Fall „ein Dasein, das sogar das eines regierenden Bundesfürsten übertraf – ein Leben wie im Rausch von Pflichterfüllung, Macht und Luxus“ (S. 238).

 

Auf die Einzelheiten der diplomatischen Missionen des Coburger Herzogs: ihre Erfolge oder Misserfolge sowie ihren Zusammenhang mit den Verbrechen des Regimes, die der Band ausführlich ausbreitet, sei hier nicht näher eingegangen. Zu seinen bedeutsamsten Aktivitäten zählen sicherlich sein Agieren in London, wo er ab 1936 die Ungeschicklichkeiten des unbeliebten damaligen deutschen Botschafters Joachim von Ribbentrop ausglich (schon seit 1934 seien dort Carl Eduards Schwester und ihr Ehemann Alexander Athlone als Mitglieder der königlichen Familie „Türöffner für Ribbentrop hinein in die Salons der britischen High Society“ gewesen; S. 149), sein Einfluss auf Nevile Henderson, den britischen Botschafter in Berlin, den er geschickt einlullte und in der Appeasement-Politik bestärkte, das Abbiegen der Bemühungen des Prinzen Carl von Schweden um eine effektive Kontrolle der Zustände in den deutschen Konzentrationslagern sowie die Beilegung der diplomatischen Krise und die erneute Festigung des Bündnisses mit Japan nach den durch den Hitler-Stalin-Pakt hervorgerufenen, massiven Irritationen. Nichtsdestotrotz bescheinigten 1950 die Richter der Berufungskammer München, Außensenat Nürnberg, dem Herzog, er habe seine diplomatischen Reisen „lediglich im Interesse humanitärer Bestrebungen“ (S. 235) unternommen, und zementierten damit seine Einstufung als Mitläufer und Minderbelasteter. Dem essentiellen Beitrag, den Carl Eduard zweifellos zum Aufstieg des Nationalsozialismus geleistet hat, und seiner Rolle bei der Verschleierung der Verbrechen des Regimes – komplexe und juristisch nicht einfach handzuhabende Vorwürfe, welche die Hauptkammer Ansbach schon damals in ihrer Berufung angeführt hat und welche die vorliegende Studie bestätigt – wurde zu jener Zeit wenig überraschend noch keine Relevanz beigemessen.

 

Kapfenberg                                                    Werner Augustinovic